Sexuelle Übergriffe im Freibad: Was Frauen in Berlin, Köln und München schildern
Im Gelnhausener Freibad wollte vor gut einer Woche eine Gruppe junger Mädchen einfach nur schwimmen. Die Abkühlung genießen. Doch aus Freude wurde schnell Angst. Junge Männer aus Syrien sollen sie bedrängt und gegen ihren Willen berührt haben. Die Mädchen wichen zurück, holten Hilfe. Ein Vorfall, der bundesweit Schlagzeilen machte und ein Thema ins Zentrum rückte, das viele Frauen und Mädchen betrifft: sexuelle Belästigung. Laut dem Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben erleben zwei Drittel der Frauen in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben eine Form davon.
Fremde Hände auf dem Körper. Pfiffe. Unerwünschte sexuelle Kommentare. Männer, die sich plötzlich nackt zeigen. Von aufdringlichen Flirts bis zu Drohungen. Fremde, die Betroffene verfolgen und ihnen zu nahekommen.
Dabei sind nicht nur erwachsene Frauen betroffen: Zwei von drei Frauen oder Mädchen wurden nach ihrem 15. Lebensjahr sexuell belästigt. Das jüngste Opfer im Gelnhausener Freibad war gerade einmal elf Jahre alt.
Doch wie sicher fühlen sich Frauen in deutschen Schwimmbädern tatsächlich? FOCUS online besuchte Freibäder in Berlin, Köln und München und sammelte persönlichen Eindrücke. Die Schilderungen zeigen: Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit. Und sexuelle Belästigung gehört für viele Frauen leider zum Alltag.
Berlin-Neukölln: „Je größer die Männergruppe, desto unsicherer fühle ich mich“
Im Sommerbad Neukölln ist das Freibad nicht nur ein Ort der Entspannung. Viele Frauen spüren hier offenbar Unwohlsein. Selina L.* (28) erzählt, dass große Männergruppen ihr Sicherheitsgefühl trüben: „Je größer die Gruppe, desto unsicherer fühle ich mich.“ Besonders an beliebten Treffpunkten spürt sie unerwünschte Blicke. „Man fühlt sich wie ein Objekt.“ Körperliche Übergriffe hat sie nicht erlebt, doch die Blicke und die damit angenommene ständige sexuelle Bewertung belastet sie.
Ähnlich empfindet Mette B.* (22) die Stimmung. Sie fühlt sich nicht bedroht, aber auch nicht wohl. An vollen Tagen meidet sie größere, laute Männergruppen. Das habe aber nichts mit Angst vor sexueller Belästigung zu tun, sondern ein Unwohlsein, falls es zu ausufernden Schlägereien kommt. Grundsätzlich fühlt sie sich aber sicher, da sie nie allein ins Freibad geht, sondern immer mit ihrer Schwester.
Für Paula K.* (35), Mettes Schwester, ist das Freibad in Neukölln ein sicherer Ort. Sie lobt Einlasskontrollen und die sichtbare Präsenz der Security-Leute. Für sie ist sexuelle Belästigung kein Problem im Freibad.
Auch Patricia M. (30) begrüßt die neuen Sicherheitsmaßnahmen, sieht darin aber nur eine Notlösung: „Ob Security- oder Awareness-Teams – man schützt die Frauen, ändert aber nichts an den Männern.“ Sie selbst wurde in Berliner Bädern noch nie sexuell belästigt, kennt aber das Gefühl von Unwohlsein: „Ich fühle mich sofort entspannter, sobald im Freibad mindestens eine Frau in einer Männergruppe dabei ist. Sind nur Männer da, ist mein Gefühl anders.“
Patricia sieht sogenannte Awareness-Teams – also Gruppen, die auf Veranstaltungen für das Wohlbefinden und die Sicherheit von Besuchern sorgen – vor allem als Schutz für potenziell Betroffene. Eine Lösung des eigentlichen Problems seien sie aber nicht, findet sie: „Das aggressive Verhalten vieler Männer im Alltag ändert sich dadurch nicht.“
Sie steigt täglich in Berlin-Lichtenberg in die Bahn und erlebt dort häufig betrunkene Männer, die sich danebenbenehmen. Die Angst sei dort größer als im Freibad. „Ich sitze häufig nach einer Feier-Nacht in der Bahn und will meine Ruhe. Wenn ich sage, dass ich nicht reden will, werde ich beleidigt und verfolgt. Ich spüre da verletzten Stolz und eine Aggressivität, die mir Angst macht.“
Diese Erfahrungen spiegeln ein Problem wider, das nicht nur Schwimmbäder betrifft: die Angst von Frauen im öffentlichen Räumen. Genau hier setzt Sabine L. (48) an. Zwar hat sie meist positive Freibaderfahrungen, doch in öffentlichen Verkehrsmitteln ist es anders. „In den Öffis fühlt man sich als Frau oft ausgeliefert. Man kann nicht weg“, sagt sie.
Die Bundeskriminalamt-Statistik zeigt, wie ernst die Lage ist. Im Jahr 2024 wurden in Deutschland insgesamt 423 Fälle von sexuellen Übergriffen an Schwimmbädern und Badestellen erfasst, wozu Hallen- und Freibäder zählen. Die Aufklärungsquote liegt mit 81,3 % relativ hoch. Von den ermittelten Tatverdächtigen sind 365 männlich und nur 2 weiblich. Rund zwei Drittel der ermittelten Verdächtigen sind nichtdeutsch, wobei die häufigsten Nationalitäten Afghanistan, Syrien und Türkei sind.
Altersmäßig verteilen sich die Tatverdächtigen vor allem auf die Gruppen Jugendlich (14–18 Jahre) mit 67 Fällen und Erwachsene über 21 Jahren mit 221 Fällen. Das Bundeskriminalamt weist darauf hin, dass diese Zahlen nur für das Jahr 2024 vorliegen, da frühere Daten zu Tatörtlichkeiten bundesweit nicht valide sind.
Das Dunkelfeld ist deutlich größer, denn viele Vorfälle bleiben ungemeldet. Öffentliche Orte wie Schwimmbäder, Parks oder Verkehrsmittel sind häufig Schauplätze solcher Übergriffe. Besonders junge Frauen sind betroffen. Die Behörden reagieren mit verstärkter Prävention und Awareness-Programmen.
München, Thalkirchner Freibad: Beobachtet und fotografiert
Sarah K.* (31) aus München berichtet von einem beunruhigenden Freibad-Erlebnis: „Ein älterer Herr hat seinen Liegestuhl so platziert, dass er mich beobachten konnte. Als ich mir Essen holte, sprach er mich an und wünschte mir guten Appetit. Ich bin dann weggegangen, weil ich mich sehr beobachtet fühlte.“
Cintia M.* (25) aus Augsburg erzählt von einem Vorfall am Ammersee: „Ein etwa 50-jähriger Mann hat mich fotografiert. Als ich bemerkte, dass er auch andere Frauen fotografierte, haben wir gemeinsam die Polizei gerufen. Der Mann hat das gemerkt und ist verschwunden.“
Köln, Zollstockbad: Zwischen Unsicherheit und Schutz
Auch in Köln kennen die Frauen das Gefühl der Unsicherheit im Alltag. Lisa T.* (24) und ihre Freundin besuchen regelmäßig das Kölner Zollstockbad. „Dass mehr über sexuelle Belästigung gesprochen wird, hilft, Menschen dafür zu sensibilisieren“, sagt Lisa. Für die Frauen gehört es zum Alltag, sie sprechen offen darüber. „Sexuelle Belästigung ist immer ein Thema, auf jeden Fall.“ Eigene negative Erfahrungen im Freibad haben die Freundinnen bisher nicht gemacht. „Im Schwimmbad habe ich nicht so viel Angst. Eher, wenn ich nachts oder abends allein unterwegs bin."
„Am Ende war es immer ein Mann“
Sexuelle Belästigung ist leider Alltag – Frauen erleben sie überall: im Freibad, in Bus und Bahn, auf der Straße. Die Berichte aus Berlin, München und Köln zeigen: Auch wenn mehr Sicherheitsmaßnahmen kommen, ist noch viel zu tun. Die befragten Frauen wollen nicht nur Schutz, sondern vor allem, dass Respekt wieder selbstverständlich wird.
Das Problem steckt aus ihrer Sicht tief: Machtstrukturen und Rollenbilder müssten auf den Prüfstand, damit sich der Aufenthalt an öffentlichen Orten sicherer anfühlen. Awareness-Teams und Security sind für die Frauen ein Anfang, aber das reicht ihnen nicht. Ihre Forderung: Ein klares „Nein“ muss überall gelten – ohne Wenn und Aber.
Im Gespräch mit den Frauen spielte das Thema Migration oder der Hintergrund von Tätern kaum eine Rolle. Zwar wird das in der Öffentlichkeit oft diskutiert und spielt auch für den Fall in Gelnhausen eine wichtige Rolle. Doch zumindest in der nicht repräsentativen Umfrage von FOCUS online zeigte sich: Die Angst vor Belästigung trifft Frauen unabhängig von Herkunft. Das Problem ist komplex und lässt sich nicht auf einzelne Gruppen reduzieren. „Nicht alle Männer sind so“, sagt Selina aus Berlin über ihre negative Erfahrungen, „aber am Ende war es immer ein Mann.“
*Namen wurden von der Redaktion geändert.