Nach Bluttat: Murnau „zurück im Alltag“
Das Verbrechen hat Murnau erschüttert: Im April 2024 tötete ein Russe mutmaßlich nach einem Streit am helllichten Tag auf offener Straße zwei ukrainische Soldaten. Ab Montag steht Iouri J. in einem Mordprozess vor Gericht, das Geschehen wird juristisch aufgearbeitet. Bleibt die Frage: Wie hat Murnau die Bluttat verkraftet?

Murnau – Die Pilgerstätte, an der Menschen rund neun Monate zuvor ein Meer aus bunten Blumen und Kerzen geschaffen und gemeinsam getrauert hatten, ist an diesem grauen Februarmontag ein eher einsamer Ort. Vereinzelt kommen Passanten vorbei, niemand bleibt in dieser feuchten Kälte stehen. Der Winter hat Spuren hinterlassen, auch wenn die meisten Gedenkdevotionalien wetterfest wirken; eine leere Bierflasche liegt unter dem angrenzenden Strauch, ein halbnackter Nadelbaum hinter einem großen Holzkreuz, an dem Bilder von Volodymyr K. und Viacheslav B. mit Geburts- und Sterbedatum hängen. Der Todestag ist bei beiden identisch: 27. April 2024. Damals waren sie 36 und 23 Jahre alt.
Gewaltverbrechen in Murnau: Für die Menschen „ein großer Schock“
Die Menschen hier leben seit über einem Dreivierteljahr mit dem Gedenkort am Tengelmann-Center, an dem sich ein brutales Gewaltverbrechen abgespielt hatte. Hier, auf offener Straße in diesem idyllischen Künstlerort, soll ein damals 57 Jahre alter Russe am helllichten Tag die zwei kriegsversehrten ukrainischen Soldaten erstochen haben, deren schwere Verletzungen in der Unfallklinik behandelt worden waren. Eine Bluttat, die Entsetzen und Aufsehen ausgelöst hatte, weit über die Gemeinde hinaus. „Sie hat für Murnau einen großen Schock bedeutet“, sagt Vize-Landrat und Altbürgermeister Dr. Michael Rapp (CSU). „Einmal, weil so etwas überhaupt passiert ist. Und es gab diese Betroffenheit auch, weil Murnau ein weltoffener Ort ist.“
Doppelmord: Mutmaßlichen Täter wird der Prozess gemacht
Ab Montag rückt das Verbrechen wieder in den öffentlichen Fokus. Iouri J., dem mutmaßlichen Täter, wird am Landgericht München II der Prozess gemacht; er muss sich wegen des Verdachts des Mordes in zwei Fällen verantworten. Die Generalstaatsanwaltschaft München (Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, ZET) wirft dem Russen, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, vor, Volodymyr K. und Viacheslav B., die in der Flüchtlingsunterkunft am Seidlpark untergebracht waren, nach einem Streit über die Situation in der Ukraine mit einem Messer getötet zu haben. Die Ankläger gehen davon aus, dass Iouri J. überraschend gehandelt und den Opfern aufgrund ihrer Nationalität das Lebensrecht abgesprochen habe. Der Vorsitzende des Schwurgerichts Thomas Bott hat für die Hauptverhandlung sieben Termine bestimmt, die Kammer könnte am 27. Februar das Urteil fällen.
Anwohner sieht die Beteiligten am späteren Tatort
Ein Anwohner des Tengelmann-Centers, der die Beteiligten kannte, plant, mindestens einmal in München dabei zu sein. Er kam am Tag des Verbrechens am späteren Tatort vorbei, sah die Ukrainer und den Russen dort. Sein Eindruck: Der 57-Jährige sei „bereits aufgeheizt“ gewesen. Die zwei verwundeten Soldaten hatte er zuvor beim Einkaufen kennengelernt, „das waren zwei ganz liebe Menschen. Schlimm, dass so etwas hier passiert“.
Bürgermeister sieht „keine nachhaltigen Schäden im Miteinander“
Bei der Tat handelte es sich um eine Zäsur, deren Folgen in der Wahrnehmung von Rolf Beuting (ÖDP/Bürgerforum) allerdings nicht anhielten: Das Ereignis habe „über den ersten Schock hinaus keine nachhaltigen Schäden im Miteinander verursacht“. Murnau habe „zum Alltag zurückgefunden“. Kurz vor dem Prozess erreichen den Bürgermeister verstärkt Medienanfragen, die sich auch darum drehen, was denn von der Tat noch spürbar sei. Mit längerfristigen Auswirkungen durch die Verhandlung rechnet er nicht. „Ich denke, das wird nur ein kurzes Blitzlicht sein.“ Natürlich: „Jede Kommune möchte mit anderen Meldungen in den Medien aufschlagen.“ Für Beuting ist es aber keine Frage, dass nach kurzer Zeit wieder neue Themen die Schlagzeilen dominieren werden. Das sei auch direkt nach der Tat so gewesen, als „anfangs ganz kurz vereinzelt Nachfragen“ kamen, ob der Urlaubsort denn überhaupt sicher sei. Nach wenigen Wochen sei davon nichts mehr zu merken gewesen. Beuting verweist auf Statistiken und sagt: „Es gibt keine Zunahme der Kriminalität, die sich auf die einheimische Bevölkerung auswirken würde. Murnau ist ein sehr sicherer Ort.“
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189 Geflüchtete aus der Ukraine in Murnau untergebracht
Im Nachhinein sieht Beuting sich im aktiven Umgang mit der Situation bestätigt. Er stehe auch immer wieder mit Vertretern der ukrainischen Community in Kontakt und hat den Eindruck: „Wir sind übern Berg.“ Ende Januar waren nach Angaben des Landratsamts 189 Geflüchtete aus dem Kriegsland in Murnau untergebracht.
Name Murnau wird im Zusammenhang mit der Tat transportiert
Rapp und Beuting werden die Berichterstattung über den Prozess verfolgen. Der Name Murnau werde natürlich in diesem Zusammenhang fallen, weiß Rapp. Eine Schande liege deshalb nicht auf ihm: „Das war ein Einzeltäter und ein Einzelfall“, betont der Altbürgermeister, der auch „sehr vorsichtig wäre“ mit der Interpretation, der Krieg setze sich im Kleinen in Deutschland fort.
Gedenkstätte auf einer Privatfläche
Nicht alles, was niedergelegt worden ist, schmückt den einst mit vielen Blumen, Kerzen und Fahnen gestalteten Gedenkort am Tengelmann-Center: ein dürrer Christbaum etwa, eine leere Flasche oder der verwaschene Hinweis auf eine Gedenkfeier, die am 2. Mai stattfand, der in faltiger Klarsichtfolie an einem Pfosten hängt. Wäre hier nicht ein Mini-Ramadama angebracht, eine Aufgabe für den Bauhof vielleicht? Bürgermeister Rolf Beuting verweist darauf, dass sich die Gedenkstätte auf einer Privatfläche befindet, auch wenn sich ein anderer Eindruck aufdrängen könnte. Man werde sich mit dem Eigentümer in Verbindung setzen, sagt Beuting. Und: Wenn man dies sehe, könnte man daraus schließen, dass sich die Erinnerung eventuell auch so verflüchtigt habe, dass der Pflege dieses Orts möglicherweise nicht mehr so hohe Priorität eingeräumt werde. Er sehe von seiner Seite aus „keine Veranlassung, für zusätzliches Gedenken an diesem Ort zu sorgen. Das müsste aus der ukrainischen Gemeinschaft heraus kommen. Dagegen hätte ich nichts, da würde ich mich an deren Seite stellen“. sj