Ergebnis der Sachsen- und Thüringen-Wahl: „Hat nichts mit Landespolitik zu tun“

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Populistische Parolen zündeten bei den Landtagswahlen. Eine Expertin will aber nicht nur Parteien in die Verantwortung ziehen: Wähler sind Teil des Problems.

AfD und BSW, oft aber auch CDU und Linke: viele Parteien fokussierten sich bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen auf Themen, die mit der Landespolitik kaum etwas zu tun hatten. Bundespolitische und sogar globale Fragen hatten Konjunktur. Außerdem beliebt: einfache Antworten auf komplizierte Fragen. Für die Jenaer Soziologie-Professorin Silke van Dyk zeigen die Wahlen, dass sich „inzwischen fast alle demokratischen Parteien von der AfD treiben lassen“.

BSW und AfD feiern Erfolge – nachdem beide radikal auftraten

Das starke Abschneiden der AfD in beiden Ländern überraschte die Professorin, die zu sozialer Ungleichheit und Sozialpolitik forscht, nicht. Wie „schnell und radikal das BSW der Linken das Wasser abgraben konnte“, dagegen schon, sagt van Dyk im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „Zumal die BSW-Mitglieder sich seit der Parteigründung deutlich radikaler äußern als noch zu Wagenknechts Zeiten in der Linken.“ Der Linken habe das wider Erwarten nicht geholfen: „Viele sind von der Rechnung ausgegangen ‚je weiter nach rechts das BWS rückt, desto weniger schadet es der Linken‘. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen.“

Sahra Wagenknecht und Björn Höcke von BSW und AfD sind große Gewinner der Landtagswahlen. Wenden sich künftig immer mehr Menschen von der klassischen politischen Mitte ab? © IMAGO / Panama Pictures/ arl

Doch nicht nur das BSW punktete in Thüringen und Sachsen mit den großen Themen in der Sozial- und Außenpolitik: „Beim Thema Russland und der Frage nach Frieden wurde deutlich, dass Parteien in diesen Wahlen Fragen in den Fokus rückten, die wirklich nichts mit Landespolitik zu tun haben“, sagt Professorin van Dyk und führt weiter aus: „Man muss sich fragen: Geht es den Menschen bei einer solchen Landtagswahl überhaupt noch um die Frage, was Landespolitiker verändern können? Oder sind die Landtagswahlen einfach zu einer Bühne für ganz andere Fragen geworden?“

Professorin über Debattenverschiebung: „Hochgradig populistisch“

Van Dyk beobachtet durch diese Form der politischen Kommunikation, die über Parteigrenzen hinaus betrieben wurde, eine Verschiebung der Debatten: „Nicht nur die Reaktionen auf den Anschlag von Solingen zeigen, dass sich inzwischen fast alle demokratischen Parteien von der AfD treiben lassen. Es ist hochgradig populistisch, wie die Frage der inneren Sicherheit alles andere verdrängt, insbesondere Menschenrechte und soziale Sicherheit“, so die Jenaer Professorin. „Das heißt nicht, dass innere Sicherheit nicht auch wichtig ist. Aber in der aktuellen Debatte wird innere Sicherheit zum Substitut für soziale Sicherheit.“

In diesem Kontext kritisiert die Expertin auch die Debatten, die nach der Wahl von Politik und Medien geführt wurden: „Apropos innere Sicherheit: Hat irgendjemand am langen Wahlabend eigentlich mal die Frage aufgeworfen, wie es um die Sicherheit derjenigen bestellt ist, gegen die sich die AfD-Hetze richtet?“

Parteien der Mitte schrumpfen

Besonders klassisch sozialstaatsorientierte Parteien wie die SPD, die Grünen und die Linke wurden in den beiden Wahlen abgestraft. Besonders beim Thema Migration darf sich van Dyks Analyse folgend aber kaum Partei vom Benutzen populistischer Narrative lossagen kann. Die Parteienlandschaft verschiebt sich in beiden Ländern weg von den lange bekannten Parteien. Die rechte AfD erstarkt, für das BSW greift die simple links-rechts-Skala in Teilen zu kurz.

Die Forscherin, die selbst in Thüringen lehrt, beobachtet in den neueren Bundesländern deutlich geringere Parteienbindung im Vergleich zu westlichen Ländern. „Auf kommunaler Ebene wirkt sich das Verschwinden vieler etablierter Parteien besonders drastisch aus: Unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten werden immer häufiger und versprechen pragmatische, lokale Politik“, sagt van Dyk, die darin eine mögliche Gefahr sieht. „Sie können sich zwar vor Ort für eine andere Abwasserversorgung oder ein neues Jugendzentrum einsetzen, sind aber nicht mehr in ein größeres Parteisetting eingebunden. Damit fehlt dann oft aber auch die Vermittlung anderer Themen, zum Beispiel Antirassismus neben Abwasser.“

Nicht nur Parteienkritik, auch Wählerkritik

Viele etablierte Parteien haben bei den Wahlen verloren. Ein Ansatz, Menschen wieder von diesen zu überzeugen, könnte eine konsequentere Politik, die den Menschen vor Ort spürbar hilft sein, sagt die Wissenschaftlerin: „Bessere Sozial- und Infrastrukturpolitik wäre zumindest die Voraussetzung dafür, auch in strukturschwachen Regionen wieder Vertrauen herzustellen. Es braucht eine Politik, die Menschen offener für Veränderungen, zum Beispiel in der Klimapolitik, macht.“

Doch alle Verantwortung auf die Politik der Parteien schieben, ist van Dyk zu einfach. „In einer demokratischen Gesellschaft sollte es nicht nur Parteienkritik geben, sondern auch Wählerkritik. Davon ist leider nirgends etwas zu lesen und hören“, so die Professorin. „Mehr als 30 Prozent derjenigen, die in Thüringen ihre Stimme abgegeben haben, haben einen Rechtsradikalen gewählt. Mann muss die Ampelregierung nicht lieben, um einmal zu sagen: Hier sind die Wählerinnen und Wähler das Problem. Und nicht die Ampel.“

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