In Merz‘ großem Zukunftsplan für Deutschland steckt ein Konstruktionsfehler

Nach der Herbstklausur will Bundeskanzler Friedrich Merz mit seiner Koalition Deutschland nun fit machen für die Zukunft. Rund 80 Maßnahmen sollen den Staat modernisieren, die Bürokratiekosten um 25 Prozent senken und die Verwaltung effizienter machen. 

Ein großer Wurf – zumindest auf dem Papier. Doch wer sich mit Change-Management auskennt, weiß: Gute Absichten sind schnell verkündet. Entscheidend ist, was danach kommt.

Rund 70 Prozent aller Veränderungsprojekte scheitern, wie der "Harvard Business Review" zeigt. Auch der große Wandel von Merz und seiner Koalition trägt bereits jene typischen Konstruktionsfehler im System, die zum Scheitern führen – in der Politik genauso wie in Unternehmen.

Große Ziele – aber es fehlt das Wie

Große Ziele sind schnell gesteckt: In Unternehmen spricht man über Marktanteile oder Umsatzziele. Bei der Koalition lauten sie: 25 Prozent weniger Bürokratiekosten bis 2029 (rund 16 Milliarden Euro jährlich), eine Unternehmensgründung in 24 Stunden, 8 Prozent weniger Personal im Bund. Wer keine Ziele hat, wird nie etwas erreichen. Doch wenn das „Was“ definiert ist, scheitert es oft am „Wie“, also an der Umsetzung.

Nehmen wir die 24-Stunden-Unternehmensgründung. Eine gute Idee – aber wie wird sie umgesetzt? Schaut man sich nach dem Best-Practice-Prinzip Vorgehensweisen in Ländern wie Singapur ab, wo die 24-Stunden-Gründung seit Jahren gelebte Normalität ist, oder erfindet man alles neu?

Nun kann man selbstverständlich nicht alles in zwei Tagen definieren, doch wir sollten die nächsten Wochen darauf achten, wie genau der Weg im Detail definiert wird. Denn die Erfolgsaussichten eines Projekts sind nicht an den Absichten, sondern am Umsetzungsplan zu messen. Ohne das „Wie“ bleibt das „Was“ wertlos.

Dort, wo es wirklich wehtut, bleibt man lieber vage

Allzu oft erlebe ich es in Unternehmen, dass man harmlose Themen gerne bespricht, aber jene, bei denen Interessenkonflikte oder Zündstoff bestehen, einfach ausblendet oder verschiebt. Nicht anders bei der Koalition.

Die Koalition greift lieber auf angenehme Projekte zurück – wie die digitale Fahrzeugzulassung (iKfz) oder die zentralisierte Online-Gründung. Das sind Themen, die sich gut verkaufen, weil sie konfliktarm sind. Doch dort, wo es wirklich wehtut, bleibt man lieber vage.

Denn wer die wirklich schwierigen Themen angeht, müsste Parteiideologien infrage stellen und Besitzstände aufbrechen.

Hierzu gehören:

  1. Umweltauflagen: Immer neue Regularien und Nachweispflichten binden Ressourcen, statt sie zu schonen. Unternehmen verbringen mehr Zeit mit Dokumentation als mit Innovation.
  2. Arbeitsschutzvorgaben: Gut gemeint, aber häufig so komplex, dass sie betriebliche Abläufe lähmen. Vorschriften, die sich inhaltlich überschneiden, sorgen für Unsicherheit statt Sicherheit.
  3. Melde- und Berichtspflichten: Oft identische Daten müssen mehrfach an verschiedene Behörden gemeldet werden. Bürokratie bremst Unternehmen aus.
  4. Aufsichtsbehörden: Unzählige kleinteilige Strukturen blockieren sich gegenseitig. Zuständigkeitsgerangel statt Planungssicherheit.

Im Grunde ist es wie in Unternehmen, wo Abteilungen zusammengelegt werden müssten, aber keiner sich traut, das offen zu sagen – und jeder an seinem Lieblingsprojekt festhält.

Keine Konsequenz bei Fristen ist immer der Anfang des Scheiterns

Wirklicher Change entsteht nur, wenn man die sperrigen Themen anpackt. Veränderung verlangt Mut, die dicksten Bretter zu bohren – auch wenn das bedeutet, die eine oder andere bittere Pille zu schlucken.

„Wir hatten fünf Deadlines, wir haben vier gerissen – und keinen hat es interessiert. Danach ist alles einfach versandet“ 

Doch die eigentliche Herausforderung im Change-Prozess ist, dafür zu sorgen, dass die Beteiligten ihre Fristen einhalten. Dabei macht man sich selten beliebt. Hier benötigen Change-Manager Führungskompetenz, Fingerspitzengefühl, Nervenstärke, aber auch Druck und Konsequenz – Psychologie eben.

Die Bereichsleiterin eines DAX-Konzerns fasste es mir Gegenüber nach einem Vortrag so passend zusammen: „Wir hatten fünf Deadlines, wir haben vier gerissen – und keinen hat es interessiert. Danach ist alles einfach versandet.“ Keine Konsequenz bei Fristen ist immer der Anfang des Scheiterns.

Nur mit Konsequenzen entsteht eine Dynamik, die zum Erfolg führt

Doch wer sorgt für die Umsetzung bei den Ressorts der Koalition – und vor allem wie? Welche Sanktionen gibt es, wenn ein Ministerium seine Maßnahmen nicht liefert? Vermutlich keine.

Wie in erfolgreichen Unternehmen braucht es Review-Termine, Statusberichte und Konsequenzen bei Verzögerungen. Doch nur so entsteht eine Dynamik, die zum Erfolg führt – doch das ist bislang nicht definiert.

Welches Deutschland wollen wir?

Doch letztlich scheitern Change-Prozesse nicht nur an fehlenden Zielen, Umsetzungsplänen und Fristen – sie scheitern an der fehlenden Vision.

Gerhard Schröders Reformkurs hatte ein klares Leitmotiv: „Fördern und Fordern.“ Man wusste, wofür das Land stehen sollte. Heute fehlt genau das: eine gemeinsame Richtung, eine Vorstellung davon, was Deutschland künftig sein will.

  • Was ist die Vision für unser Land? Wer wollen wir sein?
  • Eine führende Industrienation?
  • Ein europäischer Vorreiter in Künstlicher Intelligenz?
  • Eine Gesellschaft, die für Mut und Aufbruch steht?

Solange der Mut zu einem klaren Leitbild fehlt, bleiben alle Maßnahmen Stückwerk.

Wer ein Leitbild oder eine Vision formuliert, zeigt klare Kante und macht sich dadurch auch angreifbar. Eben weil man für etwas steht, an dem sich andere reiben.

Aber die erfolgreichsten Unternehmen und Persönlichkeiten waren und sind eben jene, die für etwas standen – und einstanden, auch wenn es zu Gegenwind führte. Genau diesen Mut brauchen wir wieder in unserem Land mit der dann auch maximalen Konsequenz in der Umsetzung.

Kishor Sridhar ist angesehener Berater, Keynote-Speaker und Autor, spezialisiert auf Change Management, Führung und Digitalisierung. Er unterstützt Führungskräfte bei Transformationsprozessen und lehrt an der ISM in München. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.