Russland in „Frühstufe“ des wirtschaftlichen Rückgangs – So wirksam sind westliche Sanktionen

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Kommentare

Seit fast zwei Jahren hat der Westen Russland mit Sanktionen belegt. Neulich tauchten Zahlen auf, nach denen die russische Wirtschaft sich erstaunlich resilient zeigte. Londoner Experten sehen trotzdem einen Absturz voraus.

London – Am 24. Februar jährt sich der russische Einmarsch in die Ukraine. Die westliche Welt hatte damals zögerlich geantwortet, dann aber Sanktionen eingesetzt. Ein Großteil dieser Sanktionen zielte darauf ab, die russische Wirtschaft zu schwächen, betraf jedoch auch Einzelpersonen wie Wladimir Putin oder verschiedene Oligarchen. Ihr Erfolg ist bislang Gegenstand von Diskussionen. Der Londoner Thinktank „Official Monetary and Financial Institutions Forum“ will nun Anzeichen für eine Korrosion in Russlands Wirtschaft entdeckt haben.

Wachstumsprognose Russland für 2024 2,6 Prozent (International Monetary Fund)
Tatsächlicher Kriegsbeginn in Russland 18. März 2024 (Einmarsch auf der Krim)
Bislang wegen des Kriegs aus Russland geflüchtete Russen Bis zu eine Million
Russlands Anteil an der globalen Kaufkraft Unter 2 Prozent (von 4 Prozent in 2008)

Westliche Sanktionen lösen „tief sitzende“ Probleme aus

Erst kürzlich machte die Nachricht von Russlands wirtschaftlicher Widerstandskraft die Runde. Der International Monetary Fund hatte sogar seine Wachstumsprognose für das Land von 1,1 Prozent auf 2,6 Prozent erhöht. Laut dem OMFIF ist das jedoch zu kurzsichtig gedacht – der Thinktank nennt dafür zwei hauptsächliche Gründe. Viele Experten würden aktuell „tief sitzende“ Probleme ignorieren, die langfristig Russlands Wirtschaft plagen werden.

Wladimir Putin an seinem Schreibtisch in Moskau.
Wladimir Putin an seinem Schreibtisch in Moskau. Neulich tauchten Zahlen auf, nach denen die russische Wirtschaft sich erstaunlich resilient zeigte. Londoner Experten sehen trotzdem einen Absturz voraus. © IMAGO / ZUMA Wire

„Russland vertuscht gerade einen Prozess des signifikanten wirtschaftlichen Verfalls, der sich weit bis in die Zukunft fortsetzen wird“, warnte Mark Sobel vom OMFIF in einer Unternehmensmeldung dazu. Dies werde zu einer „weiteren Marginalisierung“ seines globalen Fußabdrucks führen. Der Schlüssel für das derzeitige Wirtschaftswachstum ist der Militärkomplex. Massive Ausgaben in der Rüstungsindustrie treiben die Wirtschaft an – andere Branchen, zum Beispiel der Technologiesektor oder die Bildung, fallen dabei hinten herunter. Dabei mahnt das OMFIF: Die wirtschaftlichen Daten, auf die sich die Berichte vom Wachstum stützen, stammen aus Russland und sind daher mit Vorsicht zu genießen.

Russlands Kaufkraft schwächelt – Öl und Gas sind zu billig

Ein tieferer Blick in die Finanzen des Kreml zeichne ein trübes Bild. Russlands Anteil an der weltweiten Kaufkraft sei von etwa vier Prozent (Stand 2008) auf weniger als zwei Prozent gefallen, berichtete das OMFIF. Gleichzeitig gebe es Beweise dafür, dass Russlands Einnahmen aus der Energiebranche ebenfalls sinken. Ural Crude, Russlands normalerweise verkaufstärkstes Öl, ist deutlich im Preis gefallen. Die Nachrichtenagentur Reuters gab an, dass Russlands Einnahmen aus Öl und Gas im vergangenen Jahr um 24 Prozent eingebrochen seien.

Der Grund hierfür ist, dass Länder wie China und Indien, die nach den westlichen Sanktionen in die Bresche gesprungen sind, deutlich weniger zahlen. Viele Länder zeigen sich darüber hinaus nicht willens, russisches Öl zu kaufen, seitdem der Westen sich zu Handelsrestriktionen entschieden hat. Mehr als die Hälfte der russischen Öltanker dümpeln aktuell ohne Ziel auf See, teilte Bloomberg mit.

Investments bleiben aus und Fachkräfte flüchten

Hinzu kommen verschiedene Faktoren, die sehr langfristige Effekte haben. Einer davon ist die russische Zentralbank, oder konkreter, die von ihr hochgetriebenen Zinsraten. Je länger die Zinsraten auf dem hohen Niveau verbleiben, umso deutlicher spürt das Land am Ende das Ausbleiben von Investments. Die Yale School of Management hatte dazu eine Liste von mittlerweile über 1000 Unternehmen veröffentlicht, die sich aus Russland zurückziehen wollen. Schon früh hatten die westlichen Länder kommuniziert, dass die Sanktionen exakt solche langfristigen Effekte auslösen sollen.

Neben diesen Unternehmen werden Russland zwangsläufig die Menschen fehlen. Laut Militärberichten sind etwa 300.000 Russen in der Ukraine gestorben oder schwer verletzt worden, bis zu einer weiteren Million sollen geflüchtet sein – darunter meistens junge und gebildete Menschen. Die Auswirkungen dieses Brain-Drain sind noch nicht in voller Tragweite abzusehen.

Russland bezahlt Kriegsmaschinerie mit seiner Zukunft

Und auch die technologischen Sanktionen vonseiten der EU zeigen Wirkung. Sie äußern sich in Berichten explodierender Rohre, dem Verlust von grundlegender Infrastruktur und in den Problemen von Russlands Fluggesellschaften, Flugzeuge in der Luft zu halten. Der frühere NATO-General Anders Fogh Asmussen drängte auf eine Verschärfung der Sanktionen, besonders im Bereich Öl und Gas. Auch wenn diese den Krieg nicht auf der Stelle beenden würden, sollen sie Russland erheblich schwächen.

Zusammen mit der schweren Konzentration auf die Rüstungsindustrie ohne Rücksicht auf Zukunftssektoren würde diese Entwicklung dafür sorgen, dass Russland global noch weiter abgehängt wird. Im Grunde bezahlt Russland also seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine, indem es Innovation, Forschung und Bildung opfert.

Welche Sanktionen hat der Westen verhängt?

Die von westlichen Ländern eingesetzten Sanktionen unterscheiden sich je nach Nation und Branche. Deutschland zum Beispiel hat in vielen Bereichen von Transport bis Industrie eine große Bandbreite Sanktionen gegen Russland verhängt. Ein Exportverbot macht es Russland zum Beispiel unmöglich, seine Ölraffinerien zu modernisieren. Der Zugang zu wichtigen Technologien wie Halbleitern, Dual-Use-Gütern und moderner Software ist beschränkt, außerdem gilt ein Importverbot für Güter, mit denen Russland normalerweise hohe Einnahmen erzielt. Darunter Bitumen, Asphalt, Carbon und synthetisches Gummi. Weitere Informationen dazu gibt es hier bei der Bundesregierung.

Derzeit konnte sich Russland noch auf Staaten wie den Iran, Nordkorea oder China verlassen, um verschiedentliche Sanktionen zu umgehen, aber ob diese Partnerschaft von Dauer ist, scheint unklar. Die chinesische Zhejiang Chouzhou Commercial Bank will nun ihre Transaktionen mit Russlands aussetzen, wie die russische Zeitung Wedomosti berichtete. In Russland geht die Sorge vor „starken Folgen für die Wirtschaft“ um.

Mit Material von Reuters

Auch interessant

Kommentare