Netanjahus Verrat an Trump: Gewagtes Doppelspiel im Iran-Krieg

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Israel geht militärisch gegen den Iran vor. Die USA sind offiziell außen vor. Trump und Netanjahu verfolgen sehr unterschiedliche Ziele.

Tel Aviv/Washington, D.C. – Der Nahe Osten erlebt durch den Israel-Iran-Konflikt derzeit eine Neuordnung der Machtverhältnisse. Mit dem Angriff Israels auf iranische Nuklearanlagen und der Tötung von mindestens zwei hochrangigen iranischen Sicherheitsbeamten legte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine Bereitschaft offen, einen Alleingang zu wagen – und den Druck der Trump-Regierung zu ignorieren. Ein Verrat unter Freunden?

Israel startete am frühen Freitagmorgen (13. Juni) seine Angriffe unter dem Namen „Operation Rising Lion“ – und zielte dabei nach eigenen Angaben auf iranische Nuklearanlagen sowie Militärführer und Atomwissenschaftler ab. Das kündigte an, die Angriffe würden „so lange fortgesetzt, bis die Bedrohung durch das iranische Atomprogramm beseitigt ist“. Der Iran reagierte am Freitagabend mit Vergeltungsschlägen auf Tel Aviv und Jerusalem. Seitdem dauern die Kampfhandlungen an.

Medienberichte über israelisch-amerikanische Koordination: Widersprüchliche Aussagen häufen sich

Die USA haben wiederholt eine Beteiligung an Israels Erstschlag gegen den Iran dementiert. Eine Reihe von Berichten deutet jedoch darauf hin, dass sie möglicherweise eine größere Rolle gespielt haben, als offiziell zugegeben wurde. Ungenannte US-Beamte teilten mehreren Nachrichtenagenturen am Sonntag (15. Juni) mit, dass US-Präsident Donald Trump einen israelischen Plan zur Ermordung des obersten iranischen Führers Ayatollah Ali Chamenei abgelehnt habe. Israel hat einen solchen Plan dementiert, aber die gemeldete Ablehnung durch Trump deutet auf eine gewisse Abstimmung zwischen hin.

Zudem war das Vorgehen Israels seit Monaten in Vorbereitung. Berichte vom Mai über Israels Vorbereitungen für einen Angriff auf den Iran deuteten darauf hin, dass die Trump-Regierung Israel bei einer solchen Operation nicht unterstützen würde – zumal Washington gerade mitten in Verhandlungen über ein Atomabkommen mit Teheran stand. Das Nachrichtenportal Axios berichtete jedoch am Freitag, israelische Beamte hätten angegeben, dass die Angriffe seien tatsächlich mit den USA abgestimmt gewesen seien. Sie behaupteten zudem, die Trump-Regierung habe öffentlich vorgegeben, einen israelischen Angriff abzulehnen, Israel jedoch hinter verschlossenen Türen „grünes Licht“ gegeben.

Netanjahu strebt militärische Lösung an: Trump setzt auf diplomatischen Kurs mit dem Iran

Monatelang habe sich die Trump-Regierung den Bitten Netanjahus widersetzt, Israel grünes Licht für einen Angriff auf den Iran mit Unterstützung der USA zu geben, schreibt auch der britische Guardian. Trump habe jedoch auf eine Chance bestanden, mit den iranischen Führern ein Abkommen auszuhandeln. Ein Abkommen, das Teheran dazu zwingen würde, sein Atomprogramm aufzugeben, im Gegenzug für die Aufhebung der US- und anderer internationaler Sanktionen. Während Netanjahu derzeit also behaupte, er wolle den Iran lediglich daran hindern, Atomwaffen zu entwickeln, ziele der Angriff ebenso sehr darauf ab, die Verhandlungen zwischen Teheran und Washington zu sprengen.

Mit dem Angriff auf den Iran und der Torpedierung der Verhandlungen habe Netanjahu Trump übertrumpft, so das Blatt. Der israelische Regierungschef könne die USA so in einen neuen Nahostkonflikt verwickeln, den Trump nach eigenen Angaben nicht will. Seit Netanjahu nach dem Angriff der Hamas auf den Süden Israels im Oktober 2023 mehrere Kriege in der Region entfesselt habe, sei er zuversichtlich, dass die USA ihm immer aus der Patsche helfen werden. Selbst nach dem Krieg Israels gegen Gaza, einer zweimonatigen Bodeninvasion im Libanon und häufigen Angriffen auf Syrien erhalte Israel weiterhin praktisch unbegrenzte Waffenlieferungen und politische Unterstützung aus Washington – und werde deshalb immer risikobereiter.

Netanjahu nimmt regionalen Machtumbau ins Visier: Trump will Abkommen statt Konfrontation

Die unklaren Aussagen über das Ausmaß der Beteiligung der USA könnten jedoch auf unterschiedliche Prioritäten zwischen den USA und Israel hindeuten. Trita Parsi vom Quincy Institute for Responsible Statecraft erklärte gegenüber NPR, dass es „eindeutig eine Abstimmung und eine Art grünes Licht“ der Trump-Regierung für die israelischen Angriffe gegeben habe. „Trump geht hier ein großes Risiko ein, weil er glaubt, dass dies die iranische Position tatsächlich mildern und sie zur Kapitulation zwingen wird“, ist Parsi überzeugt. „Wenn sie das nicht tun, welche Optionen hat er dann noch? Und hier hoffen die Israelis meiner Meinung nach, dass die Iraner nicht kapitulieren und die Vereinigten Staaten damit in den Krieg gezwungen werden.“

Hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu US-Präsident Donald Trump hintergangen?
Hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu US-Präsident Donald Trump hintergangen? © Shealah Craighead via www.imago-images.de

Es sei kaum überraschend, dass Israel gegenüber dem Iran in die Offensive gegangen sei, urteilt The Conversation. Die USA sähen ihren Einfluss in der Region schwinden und seien trotz jährlichen Waffenlieferungen im Wert von 3,8 Milliarden US-Dollar (3,2 Milliarden Euro) kaum mehr in der Lage, Einfluss auf Israel zu nehmen. Für Netanjahu sei dies eine einmalige Gelegenheit, den Nahen Osten neu zu gestalten und die regionalen Machtverhältnisse zu verschieben. Dabei scheine er sich wenig darum zu kümmern, was die USA oder der Rest der Welt von seinem Vorgehen halten. (tpn)

Auch interessant

Kommentare