„Ja, die Bodycam hilft“: Drei Polizisten sprechen über Belastungen in ihrem Dienst

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Traumberuf, trotz allem: Die Weilheimer Polizisten (v.l.) Sebastian Liebhart, Thessa Streibl und Wolfgang Aubeck. © Ralf Ruder

Im Interview sprechen drei Weilheimer Polizisten über ihren Weg in den Beruf, was sich verändert hat und warum der Dienst im Moment besonders herausfordernd ist.

Landkreis – Bauern, Montagsspaziergänger, Bürger, die sich für die Demokratie stark machen: Im Landkreis reiht sich wie bundesweit gerade Demonstration an Demonstration. Die Menschen nehmen ihr Recht, für eine Sache auf die Straße zu gehen, rege wahr. Die Polizei ist immer dabei und sorgt für Sicherheit und Ordnung. Ein Kraftakt – zumal Polizeibeamte auch immer wieder Opfer von Angriffen und Beleidigungen werden. Mag man da noch Polizist werden? Und wie hat sich der Beruf in den letzten Jahrzehnten verändert? Wir haben mit drei Polizisten der Polizeiinspektion Weilheim über ihren Alltag in unruhigen Zeiten gesprochen: Polizeiobermeisterin Thessa Streibl (30) und Polizeihauptmeister Sebastian Liebhart (31) stehen am Anfang ihrer Karriere. Polizeihauptkommissar Wolfgang Aubeck (59) steht kurz vor der Pensionierung.

Herr Aubeck, haben Sie in Ihrer Zeit bei der Polizei jemals so viele Demos und Versammlungen erlebt wie jetzt?

Aubeck: Ich bin seit 32 Jahren bei der Weilheimer Polizei, freilich gab es vereinzelt immer mal Demonstrationen. Aber in letzter Zeit, eigentlich seit Corona, ist es immer mehr geworden. Die Montagsspaziergänger haben am Anfang vielleicht zwei Beamte in Anspruch genommen, heute wesentlich mehr. Auch die sogenannten Bauerndemos und natürlich zuletzt die große Demo für Demokratie in Weilheim binden viele Polizisten. Aber so ist es halt jetzt, damit kommen wir klar.

Sie sind seit 1984 bei der Polizei. Was hat Sie bewogen, Polizist zu werden?

Aubeck: Ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr, was genau der Grund war. Eigentlich wäre ich am liebsten gleich nach der Schule zur Polizei gegangen, doch ich war zu jung. Also habe ich erst eine Ausbildung gemacht. Über meinen Bruder habe ich dann vom Bundesgrenzschutz gehört und mich dort beworben. Ich war in Coburg, Deggendorf und München beschäftigt, da gab es ja die Mauer noch. Ich wollte aber immer zur Landespolizei. Als Weilheim zur Wahl stand, war klar, dass ich hierher komme.

Frau Streibl, wie hat es Sie zur Polizei verschlagen? Auch eher durch Zufall?

Streibl: Ich wollte eigentlich Lehramt studieren. Durch Freunde bin ich dann über einen Polizei-Infotag gestolpert. Da hat sich schnell herauskristallisiert, dass mich das mehr interessiert.

Drei Weilheimer Polizisten über ihren Beruf und extreme Situationen

Was hat Sie begeistert?

Streibl: Das Gesamtpaket hat mich angesprochen. Zum Beispiel, dass man kein Einzelkämpfer ist. Das habe ich nach meiner Ausbildung bei der Einsatzhundertschaft in Königsbrunn erlebt. Zum Beispiel 2016 beim Amoklauf in München.

Da waren Sie gerade mal 23. Eine heftige Erfahrung für eine so junge Polizistin.

Streibl: Ja, das war schon heftig. Ich war zwischendrin, musste in die Gefahr rein, während alle anderen rausgelaufen sind. Ich habe die Waffe drei Stunden lang nicht aus der Hand gelegt, war extrem angespannt. Aber der Verbund aus 30 Kollegen hat mir ein großes Sicherheitsgefühl gegeben. Und das macht den Polizeiberuf ja auch aus, dass man immer etwas Neues erlebt und nie auslernt.

Liebhart: Das hat mich auch so gereizt an dem Beruf. Ich weiß morgens nie was passiert. Helfe ich einer Oma über die Straße oder passiert ein Amoklauf. Das ist schon ein gewisser Nervenkitzel, aber bitte nicht falsch verstehen. Natürlich ist so ein Einsatz vor allem schrecklich.

„Meine allererste Nachtschicht werde ich nie vergessen“

Warum wollten Sie Polizist werden?

Liebhart: Ich war vorher mit meinem besten Spezl beim Rettungsdienst. Uns war aber klar, dass wir das nicht bis ins Alter machen können, wegen der fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten und der körperlichen Belastung. Bei der TV-Sendung Galileo haben wir dann was über Einstellungstests bei der Polizei gesehen und gesagt: Das probieren wir mal. Und es hat geklappt. Ich war erst bei der Hundertschaft in Königsbrunn und dann in Weilheim.

Herr Aubeck, Ihre jungen Kollegen scheinen trotz der kurzen Zeit im Beruf schon einiges erlebt zu haben. Wie war das bei Ihnen?

Aubeck: Meine allererste Nachtschicht werde ich nie vergessen. Ich musste erst zu einem tödlichen Verkehrsunfall, dann die Angehörigen verständigen. Und kaum war ich wieder auf der Dienststelle, wurden wir zu einem Suizid gerufen.

Das muss man erst einmal verkraften.

Aubeck: Da gab es nicht viel Gelegenheit. Man hat die Zähne zusammengebissen und am nächsten Tag weitergemacht. Viel wurde über solche Einsätze nicht gesprochen.

Polizisten erfahren immer mehr Aggressionen aus der Bevölkerung

Das ist heute hoffentlich anders?

Aubeck: Auf jeden Fall. Es gibt den psychologischen Dienst. Es ist zum Teil sogar vorgegeben, den in Anspruch zu nehmen. Einsätze werden nachbesprochen und auch unter den Kollegen wird geschaut, wie es dem anderen geht. Früher war das verpönt, sich schwach zu zeigen. Wir waren eine Männertruppe, da hat man sich durchgebissen.

Frau Streibl, Sie nicken.

Streibl: Ja, das ist heute anders. Man wird auch nicht schief angeschaut, wenn man nach einem harten Einsatz zwei Tage frei nimmt, weil es einfach nicht anders geht. Obendrauf kommt, dass Polizisten ja auch zunehmend mit einer aggressiven Stimmung in der Bevölkerung umgehen müssen. Laut einer Erhebung des Bundeskriminalamtes hat die Gewalt an Polizisten in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. Dort ist von einem „immanenten Verletzungsrisiko, psychischem Belastungspotential und Hass und Hetze“ die Rede.

Kommt Ihnen das bekannt vor?

Aubeck: Ja, das hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren schon sehr gewandelt. Früher war der Respekt vor der Polizei höher. Heute zeigen mir Radlfahrer den Stinkefinger, nur wenn ich auf Streife an ihnen vorbeifahre.

Liebhart: Früher waren wir halt einfach die Polizei. Heute sehen uns viele als Vertreter eines Staates, den sie hassen. Das ist mit Corona richtig schlimm geworden und das spüren wir tagtäglich. Ich rede von körperlichen Angriffen, aber auch Beleidigungen. Ich versuche, das in ein Ohr rein und am anderen wieder rauszulassen, wenn mich jemand als „Drecksbulle“ beschimpft. Und ich bin wirklich froh über die Bodycam. Streibl: Ja, die Bodycam hilft.

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Das müssen Sie erklären...

Liebhart: Ich kann mit der Bodycam, die ich an der Schulter trage, Einsätze filmen. So kann ich mein Handeln beweisen, wenn mir vorgeworfen wird, dass ich mich gewalttätig verhalten habe.

Streibl: Und man muss nicht mehr so zuhören und sich alles merken, wenn man beleidigt wird. Weil die Kamera ja mitfilmt. Das entlastet.

Nutzen Sie die Bodycam auch, Herr Aubeck?

Aubeck: Ich hatte sie mal dabei, aber ich habe sie nicht benutzt. Ich habe lieber nur das nötigste dabei, wie schon immer: Pistole, Handfesseln und eine Taschenlampe.

„Oft sind die Bürger auch total dankbar“

Sind Sie manchmal froh, dass Sie in dieser Zeit kein junger Polizist mehr sind?

Aubeck: Ich habe meinen Job immer sehr gern gemacht. Aber heute sind die Einsätze oft anders. Für mich ist es abgeschlossen. Aber ich wünsche mir schon, dass wir mehr Personal bekommen, um die Sachen besser händeln zu können. Das ist mein Anliegen für Euch (zeigt auf Liebhart und Streibl).

Und Sie Jungen? Sehen Sie zuversichtlich in Ihre Zukunft als Polizisten?

Liebhart: Ich bin auf jeden Fall weiter stolz auf meinen Job. Und ich mache meinen Dienst gerne. Oft sind die Bürger ja auch total dankbar. Dann sind wir wieder richtig „Freund und Helfer“.

Streibl: Das stimmt. Bei einer Demo im Sommer, als es wahnsinnig heiß war, hat mir eine Frau Wasser gebracht. Oder auch wenn man am Kindergarten vorbeifährt, kurz das Blaulicht anmacht, und die Kinder winken. Das sind so kleine Momente, die mich wahnsinnig freuen.

Das Gespräch führte Veronika Mahnkopf

Die Heimatzeitungen im Landkreis Weilheim-Schongau sind unter „merkur_wm_sog“ auf Instagram vertreten.

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