Experte: Putin wird Selenskyj treffen, dem droht "schlimmster Moment seines Lebens"
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FOCUS online: US-Präsident Donald Trump will, dass sich der russische Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj zu einem Zweier-Gespräch treffen. Wie wahrscheinlich ist es, dass es zeitnah dazu kommt?
Klemens Fischer: Ich halte die Wahrscheinlichkeit für sehr hoch, dass sich Putin und Selenskyj treffen, weil bei dem Ukraine-Gipfel am Montag in Washington die Hauptpunkte abgehandelt wurden. Dort wurde nicht mehr über Gebietsabtretung gesprochen, offenbar hat man eine andere Variante gefunden, die es Selenskyj ermöglicht, gesichtswahrend Putin entgegenzutreten.
Zudem haben die USA und die Europäer wohl sehr robuste Sicherheitsgarantien gegeben, bei denen die Ukraine daran glaubt, dass sie diesmal wirklich eingehalten würden.
Das ist die eine Seite. Welchen Grund hat Putin, dem Treffen zuzustimmen?
Fischer: Es gibt offenbar eine Absprache zwischen Trump und Putin. Sie sind nämlich wechselseitig abhängig. Putin benötigt Trump, wenn er auf die internationale Bühne zurückkehren will. Und umgekehrt braucht der US-Präsident seinen russischen Amtskollegen, um in der Ukraine etwas zu erreichen. Vor diesem Hintergrund gibt es wohl eine Vereinbarung, dass sich Putin für ein Treffen mit Selenskyj hergibt.
"Wenn Putin zurückschreckt, ist er im Erklärungsnotstand"
Bislang sind die russischen Reaktionen aber noch verhalten. Warum könnte Putin das Treffen noch ablehnen?
Fischer: Ich sehe wenige Möglichkeiten, dass er dem Treffen fernbleiben kann. Wenn Putin zurückschreckt, ist er im Erklärungsnotstand. Denn selbst wenn Selenskyj sagt, er wolle keine Gebiete abtreten, wäre das kein Grund, hinter seine Bereitschaft für ein Treffen zurückzufallen – denn die ukrainische Position ist ja nicht neu.
Allerdings würde Putin mit einem Treffen Selenskyj als legitimen Vertreter der Ukraine akzeptieren, was bisher von Russland bestritten wird. Diese Linie zu ändern, wäre für Putin aber zu verschmerzen.
Fischer: Das kann gut sein. Dabei sind Putin die Europäer sehr hilfreich, denn sie haben immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Gespräch zwischen Putin und Selenskyj gründlich vorbereitet werden müsse. Das geht aber nicht über Nacht. Auf der anderen Seite muss Putin aber aufpassen: Das Momentum, dass er sich als der Verhandlungswillige präsentiert, wird er nicht lange aufrechterhalten können.
"Putin und Selenskyj werden sich nicht vor leeres Blatt setzen"
Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow hat erklärt, dass lediglich die Istanbuler Gespräche zwischen Russland und der Ukraine auf höherer Ebene fortgesetzt werden könnten. Von einem Treffen zwischen Putin und Selenskyj sprach er nicht. Was hat das zu bedeuten?
Fischer: Wenn sich die beiden Staatschefs treffen, wird es zuvor vorbereitende Gespräche geben. Putin und Selenskyj werden sich nicht vor ein leeres Blatt Papier setzen. Für Selenskyj bedeutet das ein Dilemma: Einerseits muss er gut vorbereitet in das Treffen gehen. Auf der anderen Seite rückt Russland jeden Tag, an dem nicht verhandelt wird, auf dem Schlachtfeld vor.
Wer könnte bei den Vorbereitungen am Tisch sitzen?
Fischer: Der Klassiker wäre, dass die jeweiligen Präsidentenberater das Treffen vorbereiten. Es könnte dann aber auch auf Ebene der Minister gespielt werden, also mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem ukrainischen Kollegen Andrij Sybiha. Beide Seiten werden sicherstellen wollen, dass es bei einem Treffen von Putin und Selenskyj zu keinem Eklat kommt. Die beiden Staatschefs werden sich nur zusammensetzen, wenn bereits eine Schnittmenge ausgelotet wurde.
Treffen innerhalb von zwei Wochen wäre möglich
Ließe sich ein Putin-Selenskyj-Gipfel innerhalb der nächsten zwei Wochen – wie es die westlichen Staats- und Regierungschefs offenbar planen – sinnvoll vorbereiten?
Fischer: Das ist abhängig davon, welches Ergebnis das Treffen der beiden Staatschefs bringen soll. Es kann aber tatsächlich schnell gehen, denn die Fakten liegen auf dem Tisch. Alle Beteiligten wissen, dass es um die Frage geht, ob die Ukraine Gebiete abgibt. Ein Waffenstillstand vorab ist für die Ukraine schwierig zu argumentieren, das Thema ist hochkomplex und so schnell nicht zu lösen.
Ein Waffenstillstand ist daher eigentlich das Ergebnis von Verhandlungen. Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass Moskau als gute Geste auch in Richtung Trump zumindest eine Waffenruhe für die Zeit des Treffens ausruft.
Über Klemens Fischer
Klemens Fischer ist Professor für Internationale Beziehungen und Geopolitik an der Universität zu Köln. Von 1993 bis 2022 war er Angehöriger der österreichischen EU-Botschaft in Brüssel. Fischer studierte Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre an der Johannes-Kepler-Universität Linz, wo er 1989 mit einer Dissertation zum Völkerrecht promovierte.
Gibt es überhaupt noch belastbare diplomatische Kontakte zwischen Moskau und Kiew, oder braucht es doch einen Vermittler für so ein Treffen?
Fischer: Die Europäer würden gerne vermitteln, aber sie spielen in Wahrheit keine Rolle. Wenn es im Gebälk knarzt, werden die USA ihre „guten Dienste“ anbieten, wie es im Völkerrecht heißt. Sie wären dann in der Rolle, die Positionen der jeweils anderen Seite mitzuteilen. Wobei in diesem Fall der Vermittler in Gestalt von Trump ja schon selbst Positionen und Inhalte eingebracht hat.
Trotz Haftbefehl gegen Putin ist fast jeder Gipfel-Ort denkbar
Welchen Gipfel-Ort halten Sie für am wahrscheinlichsten mit Blick auf die Einschränkungen, die sich durch den internationalen Haftbefehl gegen Putin ergeben?
Fischer: Es reißen sich jetzt viele Städte darum, den Gipfel zu bekommen und damit in der obersten diplomatischen Liga mitzuspielen. Istanbul wäre ein Klassiker für die beiden Konfliktparteien, auch die Vereinigten Arabischen Emirate würden gerne mitspielen.
Theoretisch ist aber jeder Ort möglich, weil es in diesem Fall umgekehrt wäre: Wer zu solchen Friedensverhandlungen anreist, genießt im Völkerrecht freies Geleit. Die Vollstreckung des Haftbefehls wäre in diesem Moment ein massiver Verstoß gegen einen der fundamentalsten Grundsätze des Völkerrechts.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat Genf als Treffpunkt vorgeschlagen.
Fischer: Genf ist wie New York oder Wien ein Standort der Vereinten Nationen, dort gilt grundsätzlich immer freies Geleit. Und der Vatikan hätte den Vorteil, dass er das Recht hat, jeden Gast zu empfangen, ohne dass Italien eingreifen darf. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni müsste also gar nicht erst abwägen, wie sie mit dem Haftbefehl umgeht. Wobei es seltsam wäre, dass ausgerechnet der Heilige Stuhl zwei Orthodoxe empfängt.
Selenskyj droht "schlimmster Moment seines Lebens"
Selenskyj würde bei dem Treffen zum ersten Mal auf den Mann treffen, der den Befehl zum Töten seines Volkes gibt. Wie kann der ukrainische Präsident damit umgehen?
Fischer: Das ist der Moment der letzten Wahrheit. Wenn Selenskyj in diesem Moment die Nerven behält und Putin die Hand reicht, wäre das eine Art Vergebung, die es im Völkerrecht nicht gibt. Er muss ihn nicht anlächeln und nicht in die Augen schauen, aber der Handschlag wäre eine große Geste. Es wird aber definitiv einer der schlimmsten Momente in Selenskyjs Leben sein.
Welche Gefahren bestehen, wenn die beiden zusammensitzen?
Fischer: Die kurze Zündschnur Selenskyjs könnte zum Problem werden. Er hat zwar eine Schauspielkarriere hinter sich, aber hier spielt er keine Rolle. Auf der anderen Seite sitzt der abgekochte ehemalige KGB-Agent Putin, der nahezu prädestiniert ist für solche Verhandlungen.
Zudem gibt es noch eine politische Asymmetrie: Putin kann das Treffen einfach aussitzen, er muss sich nicht bewegen. Wenn Selenskyj sich nicht bewegt und aufsteht, kann er sich nicht sicher sein, dass dann noch Trump hinter ihm steht.
Beim Treffen geht es um zahlreiche Detailfragen
Wie kann bei dem Treffen ohne dritte Partei sichergestellt werden, dass beide Seiten danach auch ein gemeinsames Verständnis über das Ergebnis haben – und Putin am Ende nicht andere Dinge behauptet als Selenskyj?
Fischer: Es ist beiden Seiten bewusst, dass sie dem anderen nicht die Hoheit der Interpretation überlassen dürfen. Deshalb gibt es in der Regel gemeinsame Zusammenfassungen.
Was könnte darin stehen?
Fischer: Der Umgang mit Frontlinien und Gebietsgrenzen lässt sich sehr klar festlegen. Es könnte zum Beispiel auch um die Rückkehr der entführten ukrainischen Kinder gehen. Oder darum, wer welches Minenfeld räumen muss. Es geht da um viele Details – deshalb ist auch die Vorbereitung des Treffens so wichtig.
Was passiert nach dem Treffen?
Fischer: Egal, welches Ergebnis Selenskyj seinem Volk präsentiert, wird er politischen Selbstmord begehen. Geht er ohne Ergebnis aus dem Treffen, ist er erledigt. Stimmt er einem Kompromiss mit Putin zu, ist er es auch. Es könnte sein, dass er mit seiner Zustimmung zu einem Deal seinem Land den letzten politischen Dienst erweist.