"Überhaupt nicht lustig": Als Bas die SPD-Linie verteidigt, glucksen die Zuhörer

Der Kanzler war da, plus der Vizekanzler, plus drei leibhaftige Bundesminister. Doch der Hoffnungsträger der versammelten Unternehmerschaft war ein Bundestags-Novize, dessen Namen die moderierende Journalistin zwischendurch stammeln ließ: „Johannes Winker, Winkler, Winkel“. Ja, der letzte Nachname stimmt. 

Der Bundesvorsitzende der Jungen Union und Wortführer der Revolte gegen das Rentenpaket der Bundesregierung bekam auf der Bühne für nahezu jeden Satz Applaus.

Und das, obwohl im Publikum jene Grauköpfe überwogen, die dem Ruhestand mutmaßlich nahe sind und vom regierungsamtlichen Status-quo-Denken in der Rentenpolitik eher profitieren würden als vom Ruf nach Generationengerechtigkeit, den der junge CDU-Bundestagsabgeordnete intonierte.

„Deutschland kann mehr“, versicherte der Arbeitgeberpräsident

Wir sind beim Deutschen Arbeitgebertag in Berlin, und Gastgeber Rainer Dulger eröffnete den Ruf nach Reformen und Wachstum. „Deutschland kann mehr“, versicherte der Arbeitgeberpräsident und Heidelberger Unternehmer. „Alle in der Koalition brauchen mehr Ambition.“ 

Rente war in den Reden und Diskussionen der Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik stets ein Thema, und auch Dulger, ebenfalls schon knapp über 60, hielt mit seiner Sympathie für eine Korrektur des schwarz-roten Rentenpakets nicht hinterm Berg: „Zusammen mit dem Wahlgeschenk namens ‚Mütterrente‘ wird uns die Festschreibung des Rentenniveaus in den nächsten 15 Jahren rund 200 Milliarden Euro kosten – plus unabsehbarer Folgekosten.“

Er kündigte Friedrich Merz an, ganz am Ende der Konferenz wird der Kanzler sprechen, was wird er dazu sagen? Und was sein Vize Klingbeil?

Zunächst aber Katherina Reiche, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie und auch für Klartext. Sie sei sich nicht sicher, ob „wir bei der Analyse der ökonomischen Situation in unserem Land tatsächlich kein Erkenntnisproblem, sondern nur ein Umsetzungsproblem haben“. 

Wildberger beklagte ausufernde Bürokratie

Sie fürchte vielmehr, so die Christdemokratin und vormalige Managerin, „dass die Dramatik, dass die Ernsthaftigkeit und dass der Stress, unter dem die Wirtschaft in unserem Land steht, nicht hinreichend wahrgenommen wird“. Es brauche „Reformen jetzt, weil uns die Zeit davonläuft“. 

Ohne gesamtgesellschaftliche Anstrengungen, „ohne Rückkehr zum Leistungsprinzip werden wir nicht dahin zurückkommen, wo wir immer waren, an der Spitze vielleicht nicht, aber definitiv in der Spitzengruppe“ der globalen Wirtschaft.

Karsten Wildberger, der Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung, beklagte vor den Arbeitgebern die ausufernde Bürokratie. Es gebe in deutschen Betrieben allein „im Sicherheitsbereich 123.000 Beauftragte, (das) können wir zurücknehmen. „Geht das schnell genug? Nein. Aber ich glaube, wir haben jetzt einen Prozess aufgesetzt, der mich eigentlich positiv nach vorne gucken lässt“.

Zwischendurch meldete sich in einem Panel Christian Dürr zu Wort, der Vorsitzende der FDP, und erinnerte daran, dass „in Sonntagsreden alle Politiker sagen: Bürokratie abschaffen. Das Problem ist immer Montag bis Freitag.“

Beim SPD-Chef verwandelte sich das Publikum in einen Schweigeorden

Und dann kam Johannes Winkel, der Rentenrebell. Er und die anderen, die der Bundesregierung in der Frage der Altersversorgung die Gefolgschaft verweigern, wollen weder Renten kürzen („das darf man auch gar nicht“) noch aktuell über ein späteres Renteneintrittsalter diskutieren: „Das ist ja, wenn überhaupt, der zweite Schritt.“ Der erste Schritt sei, „dass erstmal alle bis zum regulären Renteneintrittsalter arbeiten sollen, also bis 67“. 

Ansonsten: „Wenn die SPD beteuert, wir wollen mit euch 100 Prozent sicher eine große Rentenreform“ und „Wir wollen das auch ganz schnell machen“, schon im Sommer, dann frage er sich, warum man das aktuelle Rentenpaket, in dem kein Aspekt zeitkritisch sei, „nicht einfach ein halbes Jahr verschiebt“.

Auftritt Lars Klingbeil: Zur Begrüßung und zwischendurch bekam der Finanzminister und Vizekanzler freundlichen Applaus. Allerdings nur gelegentlich und mit verhaltener Energie – über weite Strecken schien sich das Plenum in einen Schweigeorden verwandelt zu haben, als der SPD-Chef sprach. 

„Ich komme gerade aus dem Plenum, hab da einem Kollegen erzählt, dass ich auf dem Weg zum Arbeitgebertag bin, und die Kommentierung war: Mal gucken, ob das genauso anstrengend für dich wird wie ein SPD-Bundesparteitag.“ Schweigen im Saal. Ja, es ist fremdes Terrain. 

Als Klingbeil übers Bürgergeld sprach, taute das Publikum auf

Während Klingbeils Rede kam nicht der Verdacht auf, dass der Sozialdemokrat sich in diesem Kreis extrem wohlfühlte. „Wir müssen die Bereitschaft haben, Veränderungen vorzunehmen“, sagte er und schob nach: „Ich weiß nicht, ob wir immer von den gleichen Veränderungen ausgehen.“ 

Oder: „Wir müssen unser Land schneller machen, damit wir unser Land auf die großen Veränderungen, die in der Welt gerade stattfinden, vorbereiten. Und das bedeutet dann ein deutlich höheres Tempo.“ Korrekt, schneller bedeutet mehr Tempo. Der Finanzminister will das nutzen, um beispielsweise die Bürokratie schneller abzubauen.

Das Publikum wurde munterer, als Klingbeil über Reformen des Bürgergelds sprach, das er indes nicht beim Namen nannte. „Der Staat darf nicht ausgenutzt werden von Menschen, die arbeiten können, aber nicht arbeiten wollen“, sagte er, erntete Beifall, und ergänzte: „Aber er darf auch nicht ausgenutzt werden von denen, die in großem Maße Steuern hinterziehen.“ Was allerdings wohl auch niemand gefordert hat.

Merz kann das besser

Bei der Rente hält er an dem Paket fest. Darüber sei schließlich “stundenlang in Koalitionsverhandlungen gesprochen worden“, darum solle man es jetzt auch so im Bundestag beschließen, „aber wir völlig klar als SPD, dass wir in einer Rentenkommission, die wir im Dezember einsetzen werden, über die Zukunft der Altersvorsorge in unserem Land sprechen werden“. Da komme dann „alles auf den Tisch“. 

Im Moment aber? Es sei „schon ein bisschen komisch, wenn man in Südafrika ist, wenn man beim G20-Treffen ist, wenn es dort um die Probleme der Welt geht, wenn dann parallel auch noch die Situation mit der Ukraine eine solche Dynamik entwickelt“, so Klingbeil, und trotzdem habe man angesichts der Debatten dann „das Gefühl: Es geht um nichts anderes als die Rente.“

Das Rentenproblem als Kleinigkeit angesichts der turbulenten Weltlage – netter Versuch, aber Merz kann das besser, wie wir noch sehen werden.

Die SPD-Co-Vorsitzende Bärbel Bas ist in der Partei beliebter als Klingbeil, hier allerdings traf auch sie nicht auf einen Fanclub. Vielleicht, weil die Bundesministerin für Arbeit und Soziales sich in ihrer Rede früh dafür lobte, das Tariftreuegesetz auf den Weg gebracht zu haben. 

Bei Bas stöhnte es im Publikum

Da stöhnt es im Publikum und Bas konterte, ja, sie höre schon „Oh Gott“, aber wie oft habe sie von Unternehmen gehört: „Ich bekomme den staatlichen Auftrag nicht, weil die Dumpinglöhner mir diese Aufträge wegschnappen“. 

Das Rentenpaket verteidigte sie ebenso wie Klingbeil. Und als sie ihre Partei dafür lobte, dass die Verlängerung der Haltelinie im Rentenpaket aus Steuermitteln bezahlt würde und nicht vom Beitragszahler, glucksten Zuhörer. 

„Ja, das mag für Sie lustig klingen! Aber wir hätten… das ist nicht, das ist überhaupt nicht lustig, weil wir wirklich die Beiträge nicht… übrigens bei der Rente, das ist der stabilste Zweig seit acht Jahren, 18,6 Prozent, und auf der anderen Seite zahlen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieses System ein, und die haben dann eben auch das Recht, dass am Ende eine Rente dabei rauskommt, die eben zu Leben reicht“. Da ging der Faden gründlich verloren.

Die Grünen waren auch da, deren Co-Vorsitzende Franziska Brantner sprach sich in einem Panel gegen das Rentenpaket aus – und außerdem gegen die Rente mit 63, die lange Zeit von ihrer Partei verteidigt wurde, und zudem gegen die Mütterrente und gegen die Aktivrente, die „ziemlich unfair für Selbstständige“ sei“.

Merz sprach von einer Zeitenwende

Dann der Kanzler. Rente? Standortkrise? Wirtschaftsprobleme? Friedrich Merz wagte zunächst eine Tour d’Horizon. Er kam gerade heim vom G20-Gipfel, musste gleich danach in eine Schalte zum Ukraine-Friedensplan, also noch mal rasch die geopolitische Großwetterlage: Start der Regierung im Mai, als sich die Welt drumherum „in einem geradezu atemberaubenden Tempo änderte“. 

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) spricht beim Arbeitgebertag 2025.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) spricht beim Arbeitgebertag 2025. dpa

Donald Trump, die Zölle, das vierte Jahr des russischen Krieges gegen die Ukraine, die beinahe durch Trump aufgegebene Nato, und man werde zugleich mit einem immer dreister werdenden „linken und vor allem rechten Populismus konfrontiert“. 

Man werde wohl erst in einigen Jahren „ganz verstehen, was in der Welt gerade passiert“. Merz redete von einer Zeitenwende, nein, eigentlich sei es mehr, ein „tiefer Epochenbruch“ und eine „tektonische Verschiebung der politischen und ökonomischen Machtzentren der Welt“. 

Merz bezeichnete die Bundesrepublik als "Dickschiff"

Merz formulierte fesselnd, mitreißend, zog das Publikum hinein in diese geschichtsmächtige Darstellung des Weltenwandels, der wohl beste Redner des Bundestags ist zugleich Regierungschef. 

Trotz dieser herausfordernden Umstände habe seine Regierung es geschafft, Kurskorrekturen in der Flüchtlingspolitik zu setzen und zugleich immer im Blick gehabt, „dass wir nicht erst seit kurzem ein strukturelles Problem unserer Volkswirtschaft haben, sondern dass sich seit mindestens zehn Jahren Probleme verfestigt haben“. 

Nimm das, Merkel! Und die Bundesrepublik sei „kein Schnellboot“, sondern ein „Dickschiff, jedenfalls ein ziemlich großer Tanker“, zeichnete er ein weiteres Bild, das sich nicht „mal eben im 180-Grad-Winkel in die andere Richtung steuern“ lasse. 

Dennoch habe die Bundesregierung die Abschreibungsbedingungen für Investitionen verbessert und beschlossen, die Körperschaftssteuer „mit fünf Schritten dann runter auf 10 Prozent zu bringen“. Auch die Stromkosten sinken und es gibt eine neue Kraftwerkstrategie. Das Bürgergeld wird abgeschafft und stattdessen eine Grundsicherung eingeführt.

Keine Bewegung in der Koalition bei der Rente

Ach ja, und die Rente. Die Union habe die Haltelinie bis maximal 2029 festschreiben wollen, die SPD wollte bis 2039, jetzt sei der Kompromiss 2031, „also zwei Jahre mehr als wir eigentlich wollten und sieben Jahre weniger als die SPD“. Das sei nun das Paket, und weil man „Verlässlichkeit und Stetigkeit“ brauche, solle es dabei bleiben.

Plötzlich wirkt der Streit um die paar Prozente kleinlich, ja, Winkler oder Winkel oder wie der hieß, hatte eben gesagt, er sei ja kein Pedant, es gehe immerhin um 120 Milliarden Euro, aber was ist das, wenn ringsum die Welt in ihren Grundfesten zittert? 

Merz musste weiter, er wurde mit nicht überschwänglichem, aber anständigen Beifall verabschiedet. Beim Arbeitgebertag war viel zu besichtigen – nicht aber Bewegung innerhalb der Koalition in Sachen Rentenreform.