Smarte Wohnungspolitik - Explosion der Mieten: Mit dieser einen Lösung kann das Mietniveau gesenkt werden

Wir alle spüren angesichts immer stärker steigender Mieten, dass der Wohnungsmarkt nicht mehr funktioniert: was sind jedoch die Ursachen hierfür?

Die Mieten in den Ballungsräumen in ganz Deutschland gehen durch die Decke. Viele Bürger finden es immer schwerer, bezahlbare Wohnungen zu finden. Tatsächlich ist der Wohnungsmangel in Städten wie Berlin sogar schon zum Hindernis für das Wirtschaftswachstum geworden: weil Arbeitgeber wissen, dass Neuankömmlinge keine Wohnung finden, stellen sie nur noch Personen mit einer Berliner Adresse ein oder lassen die Stellen vakant. 

Diejenigen, die doch eine Wohnung finden, müssen einen immer größeren Teil ihres Einkommens für Mieten ausgeben: um die Mietpreisbremse zu umgehen, werden in Innenstadtbezirken bis zu 70 Prozent aller neugelisteten Wohnungen möbliert vermietet, denn hier greift die Mietpreisbremse nicht. Diese Mietverträge liegen dann oft um die Hälfte über dem ortsüblichen Mietniveau.

Dazu kommt eine ganze Reihe an Faktoren, die den vorhandenen Wohnraum verknappen und verteuern: viele geben Altmietverträge nicht auf und vermieten inoffiziell unter der Hand; Wohnungen stehen aus spekulativen Gründen leer; in den Toplagen bekommen Mieter nicht selten Kündigungen wegen tatsächlichem oder vorgeschobenem Eigenbedarf, Wohnraum wird als Büro- und Gewerbefläche genutzt oder aber für touristische Zwecke vermietet, z.B. über AirBnb. All das verschärft die Wohnraumknappheit.

Auch auf der Angebotsseite sieht es nicht besser aus: Lieferkettenengpässe, hohe Energiepreisen, Fachkräftemangel sowie komplizierte Vorschriften für klimagerechtes und an modernen Standards ausgerichtetes Bauen sowie langwierige Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung machen den Wohnungsneubau teuer. In Ballungsräumen ist Bauland knapp, was die Preisspirale weiter antreibt. Hohe Zinsen einer auf Inflationsreduktion ausgerichteten Geldpolitik verteuern Baukredite; eine intransparente Besitzstruktur und mangelnde Digitalisierung des Immobiliensektors erschweren das effektive Teilen von Daten und Informationen zwischen Planungsbehörden, Bauherren und Entscheidern.

Dazu kommen der Einfluss von Mega-Trends: Demographischer Wandel, fortschreitende Urbanisierung durch Zuzug aus dem In- und Ausland in die großen Städte, sowie eine sich ändernde Arbeitswelt mit mehr Home Office. All das trägt dazu bei, dass die Mieten in Ballungsräumen immer weiter steigen. Das führt zu vermehrtem Druck für Lohn- und damit Preissteigerungen mit der Konsequenz allgemein steigender Unzufriedenheit, wenn hohe Lebenshaltungskosten, vor allem durchs Wohnen, jegliche Lohn- und Gehaltszuwächse auffressen.

Über Fabian Braesemann

Dr. Fabian Braesemann ist Dozent für Künstliche Intelligenz & Zukunft der Arbeit am Oxford Internet Institute der Universität Oxford und assoziierter Forscher am Einstein Center Digital Future in Berlin. In seiner Forschung analysiert er große Datenmengen, um die komplexen Wirkmechanismen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu entschlüsseln. Er publiziert regelmäßig in führenden wissenschaftlichen Fachzeitschriften und tritt als Redner bei Kongressen und öffentlichen Veranstaltungen auf.

Wie haben die politische Rahmenbedingungen dazu beigetragen, das Problem hoher Mieten zu verschärfen?

Der Blick auf die Vielzahl der Faktoren zeigt: Wohnraumknappheit, unbezahlbare Mieten und deren Folgen (Verdrängung und Gentrifizierung, Unzufriedenheit, Armut trotz Arbeit) sind ein komplexes Problem vieler miteinander verwobener Elemente. Die meisten dieser Faktoren erstrecken sich weit über lokale Ursachen hinaus: hohe Energiepreise, Lieferketten, Geldpolitik, demographischer Wandel, sich ändernde Arbeitswelten - all das sind Faktoren, die nicht an Spree, Main oder Isar entschieden werden, aber wiederum das lokale Mietniveau in den deutschen Ballungsgebieten beeinflussen.

Politische Entscheidungsträger müssen deshalb einsehen: Wohnraumknappheit ist kein lokales, regionales oder sogar nationales Phänomen, sondern ein globales. Das ist auch der Grund, weshalb "sicheres und bezahlbares Wohnen" als eigenes Ziel im Rahmen der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Ziel 11.1) definiert ist.

Aus dieser Erkenntnis ergibt sich, dass politische Maßnahmen auf lokaler oder nationaler Ebene an den richtigen Stellschrauben ansetzen müssen. Sie können nur dann funktionieren, wenn sie systemisch arbeiten, d.h., wenn sie das Gesamtsystem Wohnungsmarkt so beeinflussen, dass mehr Wohnraum für bezahlbare Mieten zur Verfügung gestellt wird und mithin die Mietpreise stabilisiert werden. Andernfalls drohen politische Maßnahmen zu verpuffen, angesichts der großen, globalen Treiber von Wohnraumknappheit und zu hoher Mieten. Schlimmstenfalls verschärfen sie das Problem sogar noch. Maßnahmen der Wohnungspolitik müssen also anhand ihrer systemischen Wirksamkeit auf dem Wohungsmarkt bewertet werden, und nicht nur an ihren direkten Effekten.

Und genau hier liegt das Problem: kurzfristig orientierte Politik entwirft nur zu oft Maßnahmen, die vordergründig Abhilfe zu schaffen scheinen, die Probleme in Wirklichkeit aber verschärfen, was dann weitere kurzsichtige Markteingriffe nach sich führt, die das System Wohnungsmarkt statt in die Richtung von mehr Angebot und bezahlbarer Mieten in die andere Richtung kippen lässt: weniger Neubau, mehr Wohnraumknappheit, mehr Leerstand und Zweckentfremdung. Die Folge: immer weiter steigende Mieten.

Wie haben Mietpreisbremse & Co. den Wohnungsmarkt beeinflusst und wie sollte stattdessen eine smarte, evidenzbasierte Wohnungspolitik aussehen?

Eine trügerische Maßnahme, die dem Ziel bezahlbarer Mieten entgegensteht, ist paradoxerweise die Mietpreisbindung selbst - besser bekannt als Mietpreisbremse, Mietendeckel oder Mietenstopp. Dabei scheint die Idee so einleuchtend: die Mieten sind zu hoch und steigen zu schnell, also definiert man staatlich festgelegte Höchstpreise für zulässige Mieten und löst so (scheinbar) das Problem.

Was die Mietpreisbremse aber ignoriert, ist, welche mittelbaren Auswirkungen sie hat: da Eigentümer, Vermieter und Investoren angesichts regulierter Mieten nicht die Rendite realisieren können, die sie gerne hätten (oder aber für die Finanzierung des immer teureren Neubaus bräuchten), reduzieren sie ihre Investitionen in den Wohnungsneubau, wandeln Miet- in Eigentumswohnungen um, um so im Verkauf höhere Renditen zu erzielen (und lassen hierfür die Wohnung bis zum Verkauf leerstehen), oder aber sie nutzen alle Schlupflöcher und vermieten über AirBnb an Touristen oder möbliert auf dem unregulierten Markt.

Tatsächlich haben zahlreiche empirische Studien aus Deutschland und anderen Ländern gezeigt, dass Mietpreisbindungen nicht dazu geeignet sind, kostengünstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Anstatt dieses Ziel zu erreichen, führt eine Mietpreisbindung zu einer Fehlallokation am Wohnungsmarkt. Sie reduziert die Mobilität von Mietern und verknappt den ohnehin schon knappen Mietwohnraum weiter: der direkte Eingriff in den Preisbildungsmechanismus schafft also nicht mehr bezahlbaren Wohnraum, sondern verschärft das Problem überbordender Mieten!

Natürlich helfen Mietpreisbindungen kurzfristig denjenigen mit einem existierenden Mietvertrag, aber diese Abhilfe ist ein Trugschluss, der langfristig allen Mietern schadet: Mieter werden an ihre existierenden Verträge gebunden, neue Wohnungen sind deshalb kaum zu finden und dem Untervermieten unter der Hand zu Wuchermieten sind Tür- und Tor geöffnet.

Eine smarte, evidenzbasierte Wohnungspolitik hingegen ist sich der mittelbaren Auswirkungen politischer Maßnahmen bewusst und sie versucht durch verschiedene Ansätze das Gesamtsystem im Sinne der Erreichung des gesamtgesellschaftlichen Ziels zu ändern: bezahlbaren Wohnraum dort schaffen, wo Menschen leben wollen. Selbstverständlich überlässt auch smarte Wohnungspolitik das Feld nicht allein den auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Marktkräften, aber statt diesen konträr entgegenzustehen, setzt sie Leitplanken so, dass diese Kräfte in produktive Bahnen gelenkt werden.

Wie könnte smarte Wohnungspolitik dazu beitragen, den Wohnungsmarkt zu entlasten?

Smarte Wohnungspolitik versucht, den knappen Platz in beliebten Wohnlagen, vor allem in den Ballungsräumen, fürs Wohnen nutzbar zu machen und so das Angebot an Wohnraum zu erhöhen. Ein Haupthindernis hierfür ist die unzureichende Nutzung verfügbarer Flächen und leerstehender Immobilien: Neben ungenutzter Flächen und Gewerbeimmobilien stehen in Deutschland über zwei Millionen Wohnungen leer. Wenn es gelänge, diese Leerstände dem Mietmarkt zuzuführen, würde dies sofort mehr Angebot bereitstellen und das Mietniveau senken.

Smarte Wohnungspolitik setzt hier an. Anstatt die Situation allein dem Markt zu überlassen (der das Problem nicht lösen wird, da leer stehende Wohnungen aufgrund steigender Immobilienpreise aus spekulativen Gründen gehalten werden) oder Immobilien zu vergesellschaften (was kostspielig und mit erheblichen rechtlichen Hürden verbunden ist), entwirft sie eine Maßname, die Immobilien- und Grundstückseigentümern Anreize gibt, ihr Eigentum dem Wohnungsmarkt zuzuführen: die progressive Leerstandssteuer.

Wie wirkt die progressive Leerstandssteuer? Je länger eine Immobilie leergehalten wird, desto höher wird sie besteuert. Es bleibt damit weiterhin den Eigentümern überlassen, mit ihren Immobilien zu tun, wie es ihnen beliebt. Allerdings müssen sie durch die Leerstandssteuer eine Kompensation für die künstliche Angebotsverknappung leisten, wenn sie sich entscheiden, ihre Wohnung dem Wohungsmarkt vorzuenthalten.

Durch die Einführung dieser Steuer könnte das Wohnungsangebot vor allen in den Ballungsräumen, die maßgeblich von Leerstand und unzureichendem Wohnungsangebot geprägt sind, unmittelbar erhöht und somit das Mietniveau gesenkt werden.

Natürlich löst nicht eine Einzelmaßnahme das komplexe Problem der Wohnraumknappheit. Dennoch kann die progressiven Leerstandssteuer einen wichtigen Beitrag leisten. Zudem zeigt sie, wie eine smarte, evidenzbasierte Leitplankenpolitik in kritischen Bereichen wie dem Wohnungsmarkt funktionieren kann. Sie macht die Kräfte des Marktes nutzbar durch zielgerichtete Anreize: in diesem Fall zur Bereitstellung des knappen Gutes Wohnraum in Ballungsgebieten.

Deshalb brauchen wir - nicht nur im Wohnungsmarkt - smarte, evidenzbasierte, und systemische politische Maßnahmen, die auch ihre mittelbaren Konsequenzen berücksichtigen und mit einplanen. Mit solchen Maßnahmen kann es gelingen, die dynamischen Kräfte der Menschen und des Marktes nutzbar zu machen zur Überwindung der drängenden, komplexen Probleme unserer Zeit.

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