
Bildquelle: Julia Ruhs
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Links-grüne Meinungsmacht: Die Spaltung unseres Landes
Es waren meine ersten Monate als Volontärin beim Bayerischen Rundfunk, und es war auch die Zeit, als das Thema Gendern hochkochte. Medien bauten plötzlich ein Sternchen in ihre Texte ein. Oder einen Doppelpunkt. Nicht nur der Deutschlandfunk sprach plötzlich von "Gäst*in", und das geht nun wirklich gegen alle grammatischen Regeln.
Auch andere Medienunternehmen sprangen auf den Zug auf, und große Konzerne. Audi kündigte an, künftig von "Audianer*innen" zu sprechen. Plötzlich waren sie überall. Spotify. LinkedIn. Instagram. "Krieg der Sterne", titelte der "Spiegel". Einerseits wurden die Sternchen mehr, andererseits fielen sie mir auch viel mehr auf als zuvor. Weil ich mich darüber ziemlich ärgerte.
Im ersten Redaktionsaufenthalt meines Volontariats ploppte das Thema schließlich auch auf. Ich machte damals bei einem Diskussions-Podcast über das Gendern mit. Denn innerhalb des Senders jemand pro Gendern zu finden, war kein Problem. Bloß Contra, da wurde es schwieriger. Es gab schon welche, ein paar ältere Herren, doch die zierten sich. Aber es ist ja als Mann auch eine etwas heikle Sache.
Ich dagegen hatte eine ganz günstige Ausgangslage. Jung, weiblich, laut wokem Regelwerk sprechberechtigt bei dem Thema – und definitiv keinen Bock auf Gendern. Ein guter Fang, die Redaktion freute sich.
Nicht allzu lang später brauchte das ARD-Mittagsmagazin auch jemanden, der gegen das Gendern ist. Es wäre doch echt mal Zeit, meinte die Programmplanerin damals am Telefon zu mir. Also schrieb ich den ersten richtigen Kommentar meines Journalistenlebens. Genug angesammelten Frust hatte ich bei dem Gender-Thema wahrlich genug. Und einen Hang zur Meinungsfreude bei dem Thema sowieso.
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Links-grüne Meinungsmacht: Die Spaltung unseres Landes
Gendern sei vor allem ein Ding der akademischen Blase, schrieb ich. Kritisierte, dass das gut gemeinte Sternchen, das es eigentlich ja allen recht machen wolle, nicht nur die Worte in ihrer Mitte spalte, sondern auch unsere Gesellschaft.
An dem Tag, als der Kommentar in der ARD gesendet wurde, repostete ich ihn auch auf meinem Twitteraccount, der damals ein paar wenige Hundert Follower hatte. Inklusive des Hashtags #gendergaga. In WhatsApp-Gruppen mit Freunden war dieses Wort schließlich ziemlich gängig. Warum also nicht. Dann begann mein erster Shitstorm.
Ich muss zugeben, ich hatte die Vehemenz des Ganzen doch deutlich unterschätzt. Natürlich wusste ich, dass das Thema polarisiert. Aber so? Diese Meinung sei rechtsradikal, rückständig, reaktionär, AfD, eines ÖRR nicht würdig. Für viele war ich offenbar jetzt eine "Rechtspopulistin", eine "AfD-Puppe" oder eine "rechte Schildmaid". Und das Wort "Gendergaga" ginge selbstverständlich absolut gar nicht. Dass ich dieses Wort verwendet habe, darin zeige sich, welch Geistes Kind ich sei!
Heute würde ich sagen: das Übliche eben. Aber damals war das für mich natürlich neu. Selbstverständlich retweeteten mich auch AfD-Accounts. Dann hieß es, schau her, dich haben die AfDler retweetet, da siehst du, wie rechtsradikal du bist!
Ich musste damals noch lernen, dass das "Kontaktschuld" ist, was sie einem da anlasten wollen. Nur wegen Applaus von der falschen Seite. Denn was kann ich dafür, wenn ein AfDler mal ähnlich denkt wie ich? Nur, weil die Falschen das Richtige sagen, wird das Gesagte nicht automatisch falsch.
Es sind außerdem immer noch meine Worte, meine Meinung, das heißt nicht, dass ich davon abrücken muss. Diesen Fehler begehen sowieso viel zu viele. Überlassen Platz, obwohl es Ansichten sind, die absolut demokratisch und legitim sind. Kein Wunder, dass die AfD so absahnt, wenn nur noch deren Politiker selbstbewusst das aussprechen, was die Mehrheit denkt.
Ich nahm mir die ganzen Kommentare damals noch sehr zu Herzen. Zwei Tage nahm mich das ziemlich mit. Ich glaube, es ist schwierig, die Dynamik eines Shitstorms und wie es Menschen dabei geht, vollumfänglich zu verstehen, wenn man das nicht mal selbst erlebt hat.
Denjenigen, die ständig auf X unterwegs sind, schildere ich jetzt nichts Neues. Doch wer ist das schon? X ist eins der kleinsten sozialen Netzwerke in Deutschland, aber eines der mächtigsten. Die CSU-Politikerin Dorothee Bär sagte einmal: "Auf Twitter sind ohnehin nur Politiker, Journalisten und Psychopathen unterwegs." Recht hat sie.
Gar nicht mal so schlimm empfand ich die Kommentare von anonymen Usern, auch wenn "dumm" und "hohl" da zum Standardrepertoire gehören. Weh taten vor allem die reichweitenstarken Accounts, die auf mich einprügelten – so fühlte es sich zumindest an.
Selbstverständlich habe ich mir versucht einzureden: "Das ist doch nicht real! Das ist alles nur im Internet!" Aber natürlich sind die Gefühle dabei real. Es fühlte sich an, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen – jedes Mal, wenn ich an die Sache dachte, die im Netz gerade auf mich eindrosch. Beim Lesen mancher fiesen Retweets kam es mir vor, als ob ich tatsächlich einen großen Fehler begangen hätte mit dem, was ich da öffentlich gesagt hatte.
Obwohl ich mich beim rationalen Nachdenken dann doch wieder fragte, was an der Meinung nun so schlimm sein sollte. Zugespitzt war der Kommentar, klar, aber nicht überspitzt. Es war schließlich auch das, was viele in meinem Freundes- und Bekanntenkreis dachten.
Die schickten mir gerade fleißig Nachrichten: Endlich, endlich sage es mal jemand laut in den Medien! Außerdem lehnt auch die große Mehrheit der Bevölkerung – das belegen genug Umfragen – das Gendern ab. Und ich bekam schließlich auch lauter nette Nachrichten von unbekannten Menschen, hatte plötzlich zahlreiche Fans und unzählige Likes.
Im Nachhinein regte mich vor allem eine Sache auf: Wie kann es sein, dass so eine "normale" Meinung so viel Aufregung verursacht? Eine, bei der die Mehrheit der Bevölkerung dahinter steht? Wie kann es sein, dass ich mich danach zwei Tage schlecht fühlte?
Aber so ist es eben – im heutigen Zeitalter von Social Media: Ein möglicher Shitstorm ist der Preis geworden, den man zahlt für das Privileg, seine Meinung an so prominenter Stelle äußern zu dürfen. Es gehört heute zum Job dazu.
Es bringt nichts, an die digitale Mitmenschlichkeit zu appellieren. Darauf zu hoffen, dass die Internet-Welt sensibler oder anständiger wird. Man muss sich eben selbst ein Fell wachsen lassen, anders geht es nicht.
Als ich Ende Oktober 2023 zum ersten Mal in den ARD-Tagesthemen kommentierte, erwartete mich noch ein viel größerer Shitstorm. Diesmal ging es ums Thema Flüchtlingspolitik. Wieder ein heißes Eisen. Aber diesmal verstand ich die Dynamik auf den Sozialen Medien schon zu gut, um mir darüber viel zu große Gedanken zu machen.
Die damalige Ampelregierung hatte gerade mehr Abschiebungen beschlossen. Überfällig und richtig fand ich das, denn es kamen (und kommen) immer noch zu viele. Es war aber eine völlige Farce, denn die beschlossenen Maßnahmen reichten längst nicht. Schließlich schiebt man damit nur ein Bruchteil derjenigen ab, die schon im Land sind. Während jeden Tag unzählige Migranten neu über die Grenze kommen.
Es war politische Kosmetik, sonst nichts. Der Kommentar war also kein Jubelgesang auf die Vorzüge der irregulären Migration, sondern migrationskritisch. Er hatte ein, zwei provokante Spitzen. Was auch so sein sollte. Eine Meinung, bei der alle mitgehen, ist nun mal keine.
Im letzten Satz des Kommentars habe ich mich vorsorglich vom Rechtspopulismus distanziert – sicherheitshalber, damit diesmal nicht das passierte, was bei meinem Anti-Gender-Kommentar passiert war: missverstanden zu werden oder, besser gesagt, Angriffsfläche zu bieten, um absichtlich missverstanden werden zu können. Und in der Folge abgestempelt zu werden – als AfDler, Rassist, Nazi, Menschenfeind.
Julia Ruhs ist Journalistin, vor allem beim Bayerischen Rundfunk. Sie ist Teil jener Generation, die vor Klimaaktivisten, Gender-Bewegten und Zeitgeist-Anhängern scheinbar nur so strotzt. Sie will denjenigen eine Stimme geben, die sich darin nicht wiederfinden und sich oft allein fühlen mit ihrer Meinung. Wenn alle das gleiche zu denken scheinen, verspürt sie Unwohlsein.
Passiert ist es trotzdem. Die linksgrüne Schnappatmung brach aus. Über Instagram und X wurde ich geflutet mit digitalen Kotz-Smileys und braunen Hundehäufchen. Außerdem waren unter den Nachrichten Programmbeschwerden bei der Tagesschau, Beleidigungen und gewagte Anschuldigungen: Ich sei grausam und niederträchtig, grundgesetzfeindlich, würde vielen Menschen den Tod wünschen, sabbele rechtspopulistischen Müll und verbreite nationalsozialistische Positionen zur besten TV-Sendezeit.
Natürlich waren auch die üblichen einschlägigen Sprüche zur Stelle: "Rassismus ist keine Meinung", "Menschenfeindlichkeit ist keine Meinung", "Hass ist keine Meinung". Und natürlich die äußerst inflationär verwendete Nazi-Keule.
Ich kannte diese substanzlosen, moraltriefenden Parolen zu diesem Zeitpunkt bereits auswendig. Sie finden sich ständig in irgendwelchen Kommentarspalten. Sie dienen dazu, Argumente zu ersetzen. Dazu, Menschen mundtot zu machen. Indem man ihnen das Gefühl gibt: Wer solche Gedanken hat und sie auch noch laut ausspricht, ist ein ganz übler Mensch.
Es ist schon erstaunlich: Gerade diejenigen, die sich wohl selbst als die Vorzeige-Demokraten sehen, das personifizierte Gute, verhalten sich autoritärer, als ihnen bewusst ist. Sie haben förmlich eine Sehnsucht danach, den Diskurs frei von angeblich diskriminierenden, fremdenfeindlichen, "rechtsgerichteten" Meinungen zu halten.
Es hat schon fast etwas Inquisitorisches, wie schnell einem bei völlig zulässigen Aussagen wie bei meinem Kommentar vorgeworfen wird, man "spalte", "zündele" oder sei irgendwie populistisch. Diese Menschen glauben, sie täten der Demokratie einen Gefallen, wenn sie den Druck so stark erhöhen, so dass jeder am Ende lieber seinen Mund hält. Als würden die "falschen" Meinungen dann einfach aussterben.
Sie behandeln unsere Demokratie wie einen gebrechlichen Senioren: Bloß gut aufpassen, was man ihr zumutet. Als könnte bei zu viel Provokation ein Herzinfarkt eintreten. Aber da haben sie wohl etwas nicht richtig verstanden. Es ist gerade andersherum: Eine Demokratie ohne streitbare Meinungen ist keine mehr. Unser Staat ist einfach kein Safe Space. Und die Grenze des Sagbaren ist immer noch das Strafrecht.