Deutschlands Stahlindustrie leidet vor sich hin: „Realitätsverweigerung im Kanzleramt“

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Vom Rückgrat der Industrie zur Krise: Inwiefern Deutschlands Stahlproduktion auf der Kippe steht und welche Lösungen die Zukunft für die Branche bringen könnte.

Berlin/München - Die deutsche Stahlindustrie stand über Jahrzehnte im Zentrum der wirtschaftlichen Stärke des Landes. Als größter Stahlproduzent in der EU und einer der führenden weltweit stellt Deutschland jährlich Millionen Tonnen Rohstahl her. 

Doch hat sich längst auch hier Krisenstimmung breitgemacht: 2023 waren es nur 32,8 Millionen Tonnen, ein Wert, der zuletzt während der Finanzkrise 2009 unterschritten wurde. Diese Entwicklung markiert einen Abschwung, deren Ursachen in steigenden Energiepreisen, globaler Konkurrenz und einer schwächelnden Nachfrage liegen.

Die Stahlindustrie und ihre Bedeutung für Deutschland

Die Stahlindustrie ist das Fundament für mehrere Industriezweige: Rund zwei Drittel der Arbeitsplätze in Deutschlands Industrie – etwa vier Millionen – hängen laut Wirtschaftswoche an stahl-intensiven Branchen. Diese Zahl verdeutlicht, dass der ökonomische Erfolg Deutschlands eng mit der Stahlproduktion verknüpft ist.

Seit 2020 kämpft die Branche jedoch mit massiven Einschnitten: Die Corona-Pandemie brachte globale Lieferketten ins Wanken, und der Ukraine-Krieg mit anschließender Loslösung von russischen Ressourcen verschärfte die Energiekrise, was insbesondere die energieintensive Stahlproduktion hart traf.

Strukturelle Probleme: Für die Stahlbranche sieht die Prognose 2025 mau aus

Die beiden Hauptfaktoren sind der Kosten- und Wettbewerbsdruck: Stahl aus Asien setzt deutsche Produzenten unter Druck, während hohe Strompreise die Produktionskosten in die Höhe treiben. Zusätzlich wirkt sich die schwächelnde Nachfrage der Automobilindustrie – einem der größten Abnehmer – negativ aus. 

Fertigungshalle eines deutschen Stahlbauunternehmens: Hierzulande werden EU-weit die größten Mengen Stahl produziert
Fertigungshalle eines deutschen Stahlbauunternehmens: Hierzulande werden EU-weit die größten Mengen Stahl produziert. © Andreas Franke/Imago

Da deutsche Autobauer derzeit weniger Fahrzeuge produzieren, schrumpfen auch die Auftragsbücher der Stahlwerke. So kommt es, dass die Prognosen für die deutsche Stahlindustrie kurz- bis mittelfristig keine Besserung der Lage vorhersagen, das Gegenteil ist der Fall: „Die Stahlnachfrage in Deutschland entwickelt sich dieses Jahr deutlich schwächer als noch im April erwartet und auch für 2025 ist noch keine wirkliche Erholung in Sicht“, erklärte jüngst Martin Theuringer, seines Zeichens der Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Deutscher Stahlverband feiert getrübtes Jubiläum - „die Unsicherheit ist hoch”

Kürzlich traf sich der Verband der deutschen Stahlindustrie, um sein 150-jähriges Jubiläum zu feiern. Berichten zufolge ist die Feierfreude jedoch getrübt: Festredner und Bundeskanzler Olaf Scholz sprach laut Angaben Beteiligter zwar von einer „system- und sicherheitsrelevanten“ Bedeutung für den Industriestandort Deutschland, allerdings haben sich in dem Sektor dem Vernehmen nach Sorgen um die Zukunft breitgemacht. 

„Die Unsicherheit ist hoch, die Rezessionssorgen steigen und der Kostendruck macht fast allen Branchen zu schaffen“, wird Jan Lindenberg von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) zitiert. Die wirtschaftliche Lage verdeutlichen Aussagen eines Stahl-Chefs, der von „Realitätsverweigerung im Kanzler-Amt“ spricht.

Stahlproduktion: „Grüner Stahl” als Hoffnungsschimmer

Die Umstellung auf „grünen Stahl“ bietet für die deutsche Stahlbranche in diesen Zeiten einen Hoffnungsschimmer: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat Subventionen in Höhe von sieben Milliarden Euro für Unternehmen wie Thyssen-Krupp und Salzgitter bereitgestellt. Ziel ist die CO₂-arme Produktion mithilfe von Wasserstofftechnologien. 

Ob diese Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit der Branche langfristig sichern können, bleibt abzuwarten. Eine weitere unsichere Komponente sind die Vorgänge in den USA: Nach dem Regierungswechsel von den Demokraten zu den Republikanern und Donald Trump als US-Präsident ist die Frage offen, inwieweit der Import von stahl-intensiven Gütern zusätzlich beschränkt wird, um die landeseigene Produktion anzukurbeln.

Deutschlands Stahlindustrie kämpft um ihren internationalen Status

Laut Wirtschaftswoche sei der in den USA produzierte Stahl in Sachen Qualität nicht vergleichbar mit den Erzeugnissen aus Europa und speziell Deutschland. Ein wesentlicher Punkt in der aktuellen Wirtschaftsflaute ist dem Bericht zufolge die Frage, welche Teile der Wertschöpfung künftig in der Bundesrepublik stattfinden. 

Vorprodukte für die Verarbeitung könnten demnach in vielen Regionen der Welt billiger produziert werden als hierzulande. Bei technologisch anspruchsvolleren, weiterverarbeiteten Produkten sehe dies jedoch anders aus und erscheint damit maßgeblich, dass Deutschlands Stahlindustrie zu ihrer einstigen Stärke zurückfinden kann. 

Derweil drückt die EU-Kommission ihre Wirtschaftsprognose: Aus deutscher Sicht beinhaltet das erwartete Wachstum eine bedrückende Erkenntnis. (PF)

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