Für Prestige-Duell mit Italien muss Nagelsmann vier wichtige Aufgaben lösen

Einst ein vor Irrelevanz langweilendes Fußball-Turnier, hat die Nations League unter Julian Nagelsmann hierzulande eine neue Bedeutsamkeit gewonnen. Wer bei den großen Europa- und Weltmeisterschaften erfolgreich sein will, muss auch in der Vorbereitung glänzen können – so der Tenor. Die Nations League bietet diesen Wettkampfcharakter, den der Bundestrainer ins DFB-Team re-integriert hat.

Nun peilt die deutsche Mannschaft erstmals den Einzug ins Final-Four der Nationenliga an. Im Viertelfinale kommt es zum großen Prestige-Duell mit dem fußballerischen Erzrivalen Italien.

Als wäre der Klassiker gegen die Squadra Azzurra nicht schon Hürde genug, muss Nagelsmann mit einem arg geschwächten Kader anreisen. Nagelsmann hat im doppelten Härtetest vier knifflige Aufgaben, die er lösen muss

DFB-Elf: Nummer eins gesucht – und gefunden

Nummer 1: Wer steht im Kasten gegen Italien? Nagelsmann hatte bereits im Vorfeld angekündigt, in Abwesenheiten des verletzten Stammtorhüters Marc-André ter Stegen in beiden Spielen auf denselben Torhüter zu vertrauen. Zuletzt mussten sich hier noch Oliver Baumann und Alexander Nübel abwechseln.

Während die Feldspieler am Dienstagmorgen für das für Medien öffentliche Training auf sich warten ließen, durften die anwesenden Journalisten und Fotografen vorab das Torwarttraining in der Ferne bestaunen und darüber rätseln, wer denn nun am Donnerstag im mailändischen San Siro und drei Tage später im Rückspiel in Dortmund zwischen den Pfosten stehen wird. 

„Theoretisch“ könne auch Stefan Oretga zum Einsatz kommen, wie er selbst in einer anschließenden Medienrunde sagte. „Ich weiß nicht, wie sie aussehen wird“, meinte er aber über die Pläne seines Trainers. 

Wer ersetzt Deutschlands Torproduktion?

Nummer 2: Nicht nur im Kasten fehlt das Stammpersonal, auch der Angriff muss ohne seine gewohnte Torproduktion zurechtkommen. Kein Florian Wirtz, kein Kai Havertz, kein Niclas Füllkrug – einzig Bayern-Zauberer Jamal Musiala ist von dem magischen Offensiv-Quartett der Heim-EM noch übrig.

Neben Gladbachs Tim Kleindienst dürfte auch Leory Sané gute Chancen auf die Startelf haben. Dahinter wird es ein Kampf um den vierten vakanten Platz. DFB-Rückkehrer Nadiem Amiri und Stuttgarts Jamie Leweling bezeichnete Nagelsmann zuletzt als die perfekten Joker. Deniz Undav, der mit einer tollen Torquote im Nationaldress auwarten kann (3 Tore in 5 Länderspielen), ist aktuell aus der Form.

Die Chance für Jonathan Burkardt? Der Mainzer Kapitän sammelte in dieser Saison in 23 Spielen starke 19 Torbeteiligungen (16 Tore, 3 Vorlagen) und kam auch nach seiner Oberschenkelverletzung im Januar treffsicher zurück. Dortmunds Karim Adeyemi ist derweil einer der wenigen Lichtblicke beim kriselnden BVB. 

Die gelbe Gefahr gegen Italien

Nummer 3: Das Personalproblem könnte für Nagelsmann im Rückspiel am Sonntag im Dortmunder Westfalenstadion noch größer werden. Gleich fünf Spielern droht im Falle einer weiteren Verwarnung eine Sperre.

Vorbelastet mit je einer Karte sind Kapitän Joshua Kimmich, Antonio Rüdiger, David Raum und Robert Andrich. BVB-Innenverteidiger Nico Schlotterbeck, der im laufenden Wettbewerb schon gegen Bosnien-Herzegowina (7:0) gesperrt fehlte, würde bei seiner vierten Karte erneut zuschauen müssen. Gestrichen werden die Gelben Karten erst nach Abschluss der Viertelfinalspiele.

Besonders problematisch: Nahezu der gesamten Defensive droht eine Sperre! Jonathan Tah ist neben DFB-Neuling Yann Aurel Bisseck der einzige Innenverteidiger ohne Vorbelastung. Letzterer formulierte seine Ansprüche auf Einsatzzeiten aber noch bescheiden: „Es geht darum, sich zu akklimatisieren, die Jungs und das System des Trainers kennenzulernen und sich im Training anzubieten.“

Löst ein längst abgeschriebener DFB-Star Nagelsmanns größtes Problem?

Nummer 4: Während all diese Probleme für Nagelsmann nur temporär sind, gestaltet sich eine Aufgabe als die zentrale Herausforderung in Richtung WM 2026. Wer zieht die Fäden im zentralen Mittelfeld?

Leon Goretzka feiert sein Comeback in der deutschen Nationalmannschaft
Leon Goretzka feiert sein Comeback in der deutschen Nationalmannschaft dpa

Seit dem Karriereende von Toni Kroos und dem DFB-Rücktritt von Ilkay Gündogan sucht Nagelsmann nach den richtigen Taktgeber. Die Doppelsechs hat sich dabei noch nicht final gefunden. Pascal Groß und Robert Andrich übernahmen hier überwiegend die Doppelrolle, beide sind aktuell nicht in Form. Der Leverkusener hat im Verein seinen Stammplatz verloren, Groß steckt mit dem BVB in der Krise.

So auch Angelo Stiller beim VfB Stuttgart. Er gilt als Mann der Zukunft, muss aber konstanter werden. Sein designierter Compagnon Aleksander Pavlovic fehlt erneut krankheitsbedingt.

Und Joshua Kimmich? Der Kapitän wird weiterhin als Rechtsverteidiger benötigt, das hat Nagelsmann dieser Tage noch einmal bestätigt. 

Nagelsmann holt Goretzka zurück

Auftritt Leon Goretzka. 16 Monate – oder anders gesagt 484 Tage – lagen zwischen seinem letzten DFB-Auftritt beim desaströsen 0:2 gegen Österreich in Wien und seinem ersten Training am Dienstag auf dem BVB-Trainingsgelände im Dortmunder Ortsteil Brackel. Der Bayern-Star hat sich nach der bitteren Ausbootung vor der Heim-EM wieder zurück ins Nagelsmann-Team gekämpft. Löst er dort sofort die Probleme des Bundestrainers und rückt direkt in die Startelf?

Ehemalige Nationalspieler machen Werbung für den 30-Jährigen. „Er ist zurück im DFB-Team und gehört meiner Meinung nach auch in die Startelf“, forderte Lothar Matthäus in seiner Sky-Kolumne. „Auf Leon kann man sich immer verlassen und ich bin überzeugt, dass er auch in der Nationalmannschaft abliefert und seine Leistung bringt. Die Position auf der Doppel-Sechs ist ihm auf den Leib geschnitten“, schrieb Matthäus weiter.

Auch Philipp Lahm lobte im Rahmen des Beckenbauer Cups in München: „Er ist ein Spieler, der sehr viel Erfahrung hat, der auch in letzter Zeit Rückschläge erlebt hat und sich davon nicht hat abbringen lassen.“ Goretzka zeige immer „Leidenschaft“ und „vollen Einsatz“. 

Er ist in Topform, seine DFB-Konkurrenz nicht. Das ist nun die große Chance für Goretzka, sich wieder im Team festzuspielen und sich für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr unverzichtbar zu machen.

Findet in Deutschland nach Heim-EM das nächste Mini-Turnier statt?

Die WM in Nordamerika steht über allem. Nagelsmann will als Vorbereitung für das Großturnier maximalen Erfolg im Vorfeld – und die lang verschollene Euphorie rund um die Nationalmannschaft weitertragen. Eine Mini-EM im Sommer, die bei einem Erfolg über Italien in München und Stuttgart stattfinden würde, wäre nach dem Vorbild des Vorjahres solch‘ ein Energie-Erzeuger.