An Königsfigur Thomas Müller zeigt sich das unlösbare Dilemma der Bayern-Bosse

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FOCUS online/Wochit
Mittwoch, 02.04.2025, 09:08

Thomas Müllers Aus beim FC Bayern hat sich zu einer Posse voller Verlierer entwickelt. Im Spannungsfeld aus Sparkurs und Zukunftsweg unterlief Sportvorstand Max Eberl ein folgenschwerer Denkfehler. Dabei entzündet sich an Müller ohnehin ein unlösbares Dilemma der Münchner.

Eigentlich egal, was jetzt kommt, eigentlich egal, wer wann welche preziösen Statements absetzen wird: Angemessen würdevoll kann das Hinauskomplimentieren des Thomas Müller beim FC Bayern kaum mehr werden. Wenigstens nicht so würdevoll, wie es der Rekordmann des Rekordmeisters nach 25 Jahren im Club verdient hätte – auf dem bayernroten Teppich nämlich und durch das ganz große Tor, das Müller in seiner Karriere so oft getroffen hat.

Seitdem der sich anbahnende, offenbar unfreiwillige Abschied des 35-Jährigen an die Öffentlichkeit durchgestochen wurde, entwickelte sich eine absurde Posse, in der weder der FC Bayern noch Müller die Deutungshoheit wahrten. Im Gegenteil. Bayern steht nach all den Wirrungen als rigoroses und kommunikativ klägliches Konstrukt da – und Müller als angeschlagenes Denkmal. Auch wenn der Profi(t)fußball bekanntlich keinen Raum für Romantik lässt, nicht einmal für den Pionier aller Raumdeuter.

Thomas Müller hat alles erreicht – wobei: fast alles

Müller, das darf man sagen, hätte gerne noch ein Jahr drangehängt beim FC Bayern, für den er bisher in astronomischen 742 Spielen aufgelaufen ist, 247 Tore erzielt und 273 vorbereitet hat. In zwei Monaten kann er seine 13. Meisterschaft (!) und theoretisch zum dritten Mal die Champions League gewinnen, zudem holte er zweimal das Triple und einmal das sogenannte Sextuple. 2014 wurde er Weltmeister mit der Nationalmannschaft. Mehr. Geht. Nicht.

Abgesehen von einem eleganten Abgang, klar.

Thomas Müller ist ein Spieler, wie es ihn gar nicht geben dürfte, vor allem nicht im hochgejazzten Fußball der modernen Zeit. Zwei dürre Haxen, ein schlaksiger Körper, schmale Schultern und ein außergewöhnlich agiles Mundwerk bündeln eine Wucht, die Müller in 17 Profijahren zu einer Figur der tausend Facetten machte. Verehrt in Oberbayern wie auf dem Planeten Erde.

Über Müller sagten Eberl und Hoeneß das genaue Gegenteil

So saß Bayern-Sportvorstand Max Eberl einem respektablen Irrtum auf, als er im Januar 2025 nonchalant unkte, das mit Müllers Arbeitspapier werde eine lässliche Formalie. „Thomas braucht ja nicht groß zu verhandeln“, meinte Eberl damals. „Wenn er sagt, er hat Lust weiterzumachen, dann werden wir uns in die Augen schauen, dann schauen wir uns den Kader an, und dann wird es weitergehen. Das wird wahrscheinlich das kürzeste Gespräch.“

Eberl klang, als könnte Müller selbst über seine Zukunft beim FC Bayern entscheiden. Schon spannend, dass es ausgerechnet Uli Hoeneß war, der kurz darauf ein paar Sätze sprach, die ein Uli Hoeneß nicht aus einer Laune heraus lanciert. Wenn Müller nur noch Einwechselspieler sei, „würde ich ihm raten aufzuhören“, bemerkte Hoeneß einigermaßen drastisch. Als Antithese zu Eberl.

Football 1.Bundesliga      FC BAYERN MUENCHEN - FC ST. PAULI  3-2
IMAGO/ActionPictures Zuletzt muss Müller meist auf der Bank Platz nehmen

Tatsächlich ist Müller nur noch Einwechselspieler, in dieser Saison bestritt er bloß vier Partien über 90 Minuten. Dafür wird er unverhältnismäßig entlohnt (kolportiertes Jahressalär: 17 Millionen). Was wiederum den Blick vom Rasen in die Chefbüros lenkt.

Müller, die Königsfigur: Eberl unterlief folgenschwerer Denkfehler

Hoeneß war früher mal Eberl-Fan, aber allem Anschein nach ist das Verhältnis abgekühlt. „Es sieht so aus, als würde die Chemie nicht ganz stimmen, als sei es nicht so harmonisch“, hielt Lothar Matthäus neulich via „Bild“ fest. Tatsächlich sind interne Dissonanzen schwer zu kaschieren. Zunächst wurde Eberl die dilettantisch wirkende Trainersuche im Sommer 2024 angelastet, danach der Umstand, dass er Bayerns ausgerufenen Sparkurs kontrastiere. 

Dabei ist Eberls Aufgabe undankbar: Einerseits soll er das explodierte Gehaltsniveau senken (schöne Grüße auch von Amtsvorgänger Hasan Salihamidzic). Andererseits ist er instruiert, den FC Bayern von morgen zu gestalten, wofür die teuren Vertragsverlängerungen mit Jamal Musiala, Joshua Kimmich, Alphonso Davies und Manuel Neuer fast unvermeidlich waren. Flop-Transfers wie Joao Palhinha (50 Millionen) sind freilich eigene Versäumnisse. Und ob Davies für seine Unterschrift wirklich 22 Millionen Handgeld kassieren muss, geschätzt natürlich, darf gerne diskutiert werden.

In diesem Spannungsfeld unterlief dem Schachspieler Eberl ein strategischer Denkfehler: Er hat unterschätzt, wie akut die Königsfigur Thomas Müller trotz sportlichem Kursverfall weiterhin die Dynamik diktiert, das Geschehen bestimmt, das Gebilde beeinflusst. Und wie schwer es ist, wie heikel und diffizil, mit dem Sparen bei ihm zu beginnen. Zumal Müller bereits in der Vergangenheit manch politische Debatte auslöste. Er ist ein spektakulär gewitztes Kerlchen, aber auch ein cleverer Vertreter der eigenen Ich-AG.

Thomas Müller stellt den FC Bayern vor unlösbares Dilemma

Laut „Spiegel“ kam die Information über das Müller-Aus nicht aus dem Management um Eberl, sondern direkt aus dem Aufsichtsrat. Mitglieder unter anderem: die ewigen Granden Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Zufall oder nicht, dass an der Säbener Straße just dieser Tage wieder der Name Ralf Rangnick zirkuliert, diesmal als potenzieller Eberl-Ersatz?

Ohnehin stellt Thomas Müller die Bayern-Bosse, ob sie nun Hoeneß oder Rummenigge, Eberl oder Rangnick heißen, vor ein prinzipiell unlösbares Dilemma. Er hat derart immense Meriten, derartige Zustimmungswerte und eine derart emotional aufgeladene Strahlkraft, dass die Fragen immer gleich fatalistisch wären: Wer sagt ihm, dass es vorbei ist? Wer erklärt‘s dem Volk? Und wie, um Himmels willen, füllt man das Vakuum einer verlorenen Seele?

Zumal es lediglich als aktiver Fußballer vorbei sein soll; dem FC Bayern ist sehr viel daran gelegen, Müller irgendwann in anderer, idealerweise leitender Funktion einzubinden. Auch deshalb ist sein Spieler-Exodus gerade so relevant. „Bayern“, sagt Matthäus, „darf es auf keinen Fall verpassen, die Beziehung mit Thomas so zu pflegen, dass er später bereit ist, einen wichtigen Posten im Verein zu übernehmen.“ Was zu beweisen sein wird.

jmi