Ungarns „Souveränitätsverteidigungsgesetz“ – das Ende der unabhängigen Presse?

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Regierungschef Orbán schränkt Ungarns Pressefreiheit wohl weiter ein. Und zwar mit einem neuen Souveränitätsgesetz.

Budapest - Ungarns Parlament hat ein Gesetz erlassen, das die nationale Sicherheit des Landes schützen soll. Mit dem neuen Souveränitätsverteidigungsgesetz soll unzulässige politische Einflussnahme von außen verhindert werden. Viktor Orbáns Fidesz-Partei hatte es in der vergangenen Woche mit einer Zweidrittelmehrheit von 141 Stimmen zu 50 Gegenstimmen im ungarischen Parlament durchgesetzt.

Vor wenigen Tagen erklärte Ungarns Regierungschef Orbán in einem Interview, einige Medien des Landes seien vom Ausland gesteuert, wie die Tagesschau berichtet. Demnach sagte Orbán: „Es ist nicht fair, mit ausländischem Geld politische Entscheidungen der Menschen zu beeinflussen, offensichtlich im Interesse der Auftraggeber“. Er hoffe, das neue Gesetz werde dies beenden.

Behörde soll für Einhaltung des Souveränitätsverteidigungsgesetzes sorgen

Dem Gesetzestext zufolge soll eine neu berufene Behörde Personen und Organisationen überprüfen, die im Verdacht stehen, Einfluss auf die öffentliche Debatte im Land zu nehmen. Als Gefährdung für die nationale Sicherheit Ungarns gilt dem Gesetz zufolge „jeder Akt der Desinformation, der darauf abzielt, die demokratische Debatte und die gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse des Staates zu beeinflussen“. 

Außerdem verbietet Ungarns neues Souveränitätsverteidigungsgesetz Organisationen und Verbänden, die wahlkämpfende Gruppen unterstützen, finanzielle Mittel aus dem Ausland entgegenzunehmen. „Die Ausländer wollen die künftige ungarische Regierung und mit ihr das Land kiloweise kaufen“, wird Orbán vom Sender Euronews zitiert.

Wie das Gesetz konkret ausgelegt werden wird, solle die neue Behörde entscheiden. Geplant ist, dass sie ihre Arbeit ab Februar aufnimmt. Zu den Aufgaben der Behörde soll es dann auch gehören, jährliche Berichte über verdächtige Personen und Gruppen zu erstellen. 

Neues Souveränitätsgesetz könnte Journalistinnen und Journalisten treffen

Für die ungarische Medienlandschaft und insbesondere für unabhängige Medien im Land könnte das Souveränitätsverteidigungsgesetz verheerende Folgen haben. Denn es dürfte allem Anschein nach auch auf Journalistinnen und Journalisten abzielen, erklärt die Budapester Medienwissenschaftlerin Agnes Urban gegenüber der Tagesschau: „Es ist wichtig zu wissen, dass diese Behörde zur Verteidigung der Souveränität auch Geheimdienstinformationen nutzen kann. Sie wird also Berichte über Personen und Organisationen verfassen.“

Allerdings sei noch nicht klar, ob aus den Berichten rechtliche Folgen hervorgehen. Die Medienwissenschaftlerin glaubt deshalb, dass jene Berichte vor allem als Basis für Schmutzkampagnen dienen dürften. Vorfälle aus der jüngeren Vergangenheit, in der es immer wieder zu derartigen Kampagnen kam, legten diese Vermutung nahe: „Die Zielpersonen werden als Betrüger, ausländische Agenten, Dollar-Linke, Dollar-Medien bezeichnet werden“, betont die Medienwissenschaftlerin Urban.

Offene Formulierung des Gesetzestexts stößt auf deutliche Kritik

Dabei waren unabhängige Medien in Ungarn auch schon vor dem Erlass des neuen Souveränitätsgesetz in der Minderheit. Auf gerade einmal 20 Prozent schätzt die Medienwissenschaftlerin Urban den Anteil freier Medienanstalten im Land. Medien, die auch in der Vergangenheit bereits regierungsnahe Propaganda verbreitet haben, gehören zudem oftmals regierungsnahen Unternehmern. Finanziert werden sie zum Teil über Werbekampagnen staatlicher Behörden, also indirekt auch über Steuergelder.

Zudem kritisieren Expertinnen und Experten, wie offen der Gesetzestext formuliert ist: ,,Der Text ist so allgemein gehalten, dass jede Organisation, die eine Meinung zur Politik hat und internationale Beziehungen unterhält, in seinen Geltungsbereich fallen kann“, erklärt etwa der Politologe Péter Krekó gegenüber Euronews. Im Prinzip könne so jeder zu einem unerwünschten Akteur werden, der die Souveränität bedroht. 

An anderer Stelle sorgt man sich darum, die offene Formulierung im Gesetzestext könne der neuen Behörde einen größeren Spielraum verschaffen. Denn welche rechtlichen Folgen eine Untersuchung durch die neue Behörde haben könnte, bliebe bislang unklar: „Wenn wir dieses Gesetz lesen, wissen wir nicht, was das bedeutet. Das können wir nicht entscheiden. Das kann die Behörde entscheiden“, erklärt Andras Stumpf, der für das unabhängige Medium Válasz Online arbeitet, gegenüber der Tagesschau.

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