Lobby setzt sich durch: EU rudert bei Öko-Regulierung der Landwirtschaft zurück

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Die Europäische Kommission beugt sich Bauernprotesten und rudert bei Öko-Auflagen zurück. Umweltstandards sollen aufgehoben werden. Umweltexperten sind entsetzt.

Brüssel – Die EU hat in dieser Woche eine Reihe von Gesetzgebungsvorschlägen bekannt gegeben, die die Umweltauflagen für Landwirte stark abschwächen werden. Damit beugt sie sich den anhaltenden Bauernprotesten – und widerspricht damit dem ebenfalls in den letzten Tagen veröffentlichten, alarmierenden Klima-Rat ihrer eigenen Wissenschaftler, dass die Landwirtschaft dringend nachhaltiger werden muss, da „Klimarisiken bereits ein kritisches Niveau erreicht und ohne dringende und entschlossene Maßnahmen katastrophale Ausmaße annehmen“ können.

Die Europäische Kommission plant, Umweltstandards aufzuheben, wie etwa Flächen zur Förderung der biologischen Vielfalt und die Minimierung der Bodenbearbeitung zur Vermeidung von Bodenerosion.
Die Europäische Kommission plant, Umweltstandards aufzuheben, wie etwa Flächen zur Förderung der biologischen Vielfalt und die Minimierung der Bodenbearbeitung zur Vermeidung von Bodenerosion. © Dave Reede/imago/Symbolbild

Nach Bauernprotesten: EU-Kommission leitet „Maßnahme zum Abbau von Bürokratie“ ein

Das am Dienstag (12. März) von der Europäischen Kommission veröffentlichte Dokument sieht Änderungen für den Standard der „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Bedingungen“ an insgesamt vier Maßnahmen vor, die unter anderem einen Mindestanteil an Brachland auf Ackerflächen vorgeben. Damit werden Landwirte auch in Deutschland von einer Reihe von Umweltschutz-Standards zur Entschärfung der Klimakrise entbunden, die unter anderem der Minimierung der Bodenerosion und dem Erhalt der biologischen Vielfalt dienen sollten.

Die EU-Agrarpolitik für die Landwirtschaft sah ursprünglich vor, dass Landwirte bestimmte Umwelt-Auflagen erfüllen müssen, um EU-Subventionen zu erhalten, die ein immenses Drittel des EU-Haushalts verschlingen. Laut dem veröffentlichten Papier wird die EU-Exekutive nun vorschlagen, vier dieser Auflagen abzuschaffen und stattdessen Landwirten, die sie freiwillig erfüllen, einen „finanziellen Ausgleich“ zu gewähren. 

Diese Standards, für „gute landwirtschaftliche und ökologische Bedingungen“ (GLÖZ) sollen nun gestrichen werden:

  • GLÖZ 5 - Landwirte müssen die Bodenbearbeitung minimieren, um Bodenerosion zu verhindern.
  • GLÖZ 6 - Verpflichtung der Landwirte zum Anbau von Deckfrüchten zwischen den Saisons, um Boden, Wasser und Nährstoffe zu erhalten und so den Bedarf an chemischen Mitteln wie Düngemitteln zu verringern.
  • GLÖZ 7 - Verpflichtung der Landwirte, auf derselben Fläche über mehrere Vegetationsperioden hinweg verschiedene Arten von Pflanzen anzubauen. Dies trägt dazu bei, dem Boden Nährstoffe ohne synthetischen Input zurückzugeben und den Bedarf an chemischen Pestiziden zu verringern.
  • GLÖZ 8 - Verpflichtung der Landwirte, mindestens 4 Prozent ihrer Anbauflächen für die biologische Vielfalt zu reservieren.

Die Kommission argumentiert in dem Entwurf, dass die Landwirte so in der Lage sein werden, Umweltziele auf „realistischere“ Weise zu erreichen. Von Umweltorganisationen und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) wurde der Vorstoß der Kommission scharf kritisiert; sie warnen davor, dass der Vorstoß das Wenige, was in den letzten Jahren an Umweltreformen in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) eingeflossen ist, zunichtemachen würde.

Europäische Umweltagentur: Europa auf die schnell wachsenden Klimarisiken nicht vorbereitet

Erst an diesem Montag (11. März) wurde ein alarmierender Bericht von Wissenschaftlern der Europäischen Umweltagentur EEA veröffentlicht, in dem die Landwirtschaft als Sektor genannt wird, in dem dringender Handlungsbedarf besteht, wenn der Kontinent katastrophale Überschwemmungen, jahrelange Dürreperioden und sengende Hitzewellen vermeiden will.

Die EEA fordert darin die EU auf, für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion zu sorgen, und erklärte, dass „die Verringerung der Umweltverschmutzung durch landwirtschaftliche und industrielle Aktivitäten eine Priorität für den Schutz der europäischen Ökosysteme im Klimawandel sein sollte“.

Jahrzehntelange Fortschritte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft aus kurzfristigen wahltaktischen Gründen zunichtezumachen, ist ein großer Fehler, für den die gesamte Gesellschaft einen hohen Preis zahlen wird.

„Letzte Fetzen des Umweltschutzes in der EU-Agrarpolitik entfernt“: Umweltschützer entsetzt

Doch offenbar sitzt die Landwirtschafts-Lobby am längeren Hebel. Marco Contiero, EU-Landwirtschaftsbeauftragter von Greenpeace in Brüssel, zeigt sich besorgt über die Maßnahme, die von der Europäischen Kommission als Reaktion auf die Proteste der Landwirte vorgeschlagen wurde: „Die Landwirte befinden sich in einer ernsten Notlage, aber diese Vorschläge tragen kaum dazu bei, diese zu beheben, sondern entfernen nur einige der letzten Fetzen des Umweltschutzes in der EU-Agrarpolitik“, so Contiero gegenüber IPPEN.MEDIA.

Jahrzehntelange Fortschritte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft aus kurzfristigen wahltaktischen Gründen vor der anstehenden Europawahl zunichtezumachen, sei ein großer Fehler, für den die gesamte Gesellschaft einen hohen Preis zahlen werde. „Die Kommission schlägt wieder einmal die ‚Landwirte gegen die Natur‘‘-Trommel, ein Scheingefecht, das von den eigentlichen Ursachen der Probleme der Landwirte ablenkt und auf lange Sicht ihre Situation verschlimmert.“

Naturschutzverbände alarmiert: „Status quo bietet keine Zukunftsperspektive“

Jörg-Andreas Krüger, Präsident vom Naturschutzbund Deutschland (NABU), fragt: „Ist das noch fair, wenn wir weiter ein erkennbar krankes System subventionieren, von dem nur wenige profitieren und am Ende die Gesellschaft die Folgen trägt?“. Beim Bürokratieabbau solle es um die vernünftige Neuorganisation von Verwaltungsprozessen gehen. „Genau davor drücken sich Brüssel und Berlin trotz der Bauernproteste und der damit zum Ausdruck gebrachten Dringlichkeit“, erklärt er in einer Mitteilung.

Ist das noch fair, wenn wir weiter ein erkennbar krankes System subventionieren, von dem nur wenige profitieren und am Ende die Gesellschaft die Folgen trägt?

Ungerechte Scheinlösungen brächten niemanden weiter: „Nicht nur wir, auch die Wissenschaft sagt seit langem, dass es anders gehen muss und der Status quo keine Zukunftsperspektive bietet. Wo bleibt der Anspruch, dass Politik allen dienen soll?“.

Der Rat und das Europaparlament haben nun zwei Monate, den vorgelegten Rechtstext zu prüfen. Innerhalb dieses Zeitraums können die Co-Gesetzgeber ein Veto gegen die Pläne der Europäischen Kommission einlegen. Tun sie dies nicht, tritt der Rechtsakt in Kraft. Änderungen daran sind dann nicht möglich. Die neue Regelung soll rückwirkend zum 1. Januar 2024 und in jedem Mitgliedstaat in Kraft treten.

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