Lieber länger kühl miteinander reden, als früher in einen heißen Zollkrieg eintreten
Je länger der von Trump selbstverschuldete Handelskonflikt auf die Unternehmens-, Verbraucher- und Finanzmarktstimmung drückt, umso gravierender fallen Investitions- und Konsumzurückhaltung aus. Die mittelständische US-Wirtschaft, die von teuren Importzöllen und brüchigen Lieferketten besonders gefährdet wäre, zeigt sich in puncto Frühindikatoren angeschlagen. Eine Abkopplung von China ist nicht möglich.
Dem Druck der „Straße“ durch Wirtschaftseintrübung, nervösen Zinsmärkten und schlechten Umfragewerten konnte Trump nicht länger widerstehen. Aber auch China kann angesichts bestehender Deflationsprobleme als Exportnation keine weiteren Reibungsverluste aus dem umfangreichen Außenhandel mit Amerika gebrauchen.
Beide Erzrivalen können wechselseitige Abhängigkeiten nicht leugnen. Es hat etwas von Hassliebe. Der Realität gehorchend, haben beide jetzt die Reißleine gezogen. So werden die US-Zölle auf die meisten chinesischen Importe von 145 Prozent auf 30 Prozent gesenkt. Die Aufschläge Pekings auf US-Einfuhren sinken von 125 Prozent auf zehn Prozent. Die Regelung gilt zunächst zwar nur bis 10. August. Eine Fristverlängerung ist jedoch zu erwarten, da der Teufel bei Verhandlungen im Detail steckt.
Tatsächlich müssen im amerikanisch-chinesischen Konflikt dickste Brocken aus dem Weg geräumt werden. Aber inwieweit kann China wie von Trump gefordert, alle nichttarifären Handelshemmnisse wie massive direkte und indirekte staatliche Subventionen und Infrastrukturmaßnahmen abbauen, obwohl Peking diese aktuell dringend zur Konjunkturstützung braucht? Vor diesem Hintergrund soll ein „heißer Draht“ erneute Eskalationen in Handelsfragen frühzeitig verhindern.
Mit gutem Beispiel voran
Grundsätzlich signalisiert der „Waffenstillstand“ im US-chinesischen Handelskrieg, dass Deeskalation bei reziproken Zöllen auch mit anderen Ländern möglich ist. Es sei an die Aussetzung der Zölle im transatlantischen Handel bis 9. Juli erinnert. Widerstand gegen US-Sanktionen kann in diesem Verhandlungszeitraum Früchte tragen.
Dennoch, mit Blick auf in Amerika diskutierte Sektor-Zölle auf Arzneimittel, Halbleiter und Kupfer ist das Thema Handelsstreit nicht aus dem weltkonjunkturellen Getriebe verschwunden. Am Ende wird es absolut nicht ohne Zölle gehen. Doch geht es um deren relative Verkraftbarkeit. Dies spricht für Basiszölle von maximal 20 Prozent.
Trump ist kein orthodoxer Ideologe, der stur an seinen Meinungen festhält
Nimmt Donald Trump Abstand von seinen Horror-Zöllen, hat er den Vorwurf des Einknickens nicht zu befürchten. Er wird kundtun, diese seien nur Druckmittel zum Zweck gewesen, um die von ihm insgeheim beabsichtigten Ergebnisse zu erreichen, die den USA über immerhin Basiszölle und Abbau weiterer Handelshemmnisse konjunkturell zugutekommen.
Tatsächlich, sich wieder einengende Risikoaufschläge von US-Hochzinsanleihen niedriger Bonität zu US-Staatsanleihen signalisieren, dass eine US-Rezession keine ausgemachte Sache ist. Die Wirtschaft profitiert auch von den Trump beim Besuch im Nahen Osten zugesagten Investitionen in den Bereichen Rüstung, Energie, Technologie und Gesundheit.
Längerfristig soll Amerika aber auch von einem neuen Zeitgeist gewinne. Trump bricht mit der klassischen amerikanischen Leitkultur. Er will Amerika von der Rolle des Weltpolizisten befreien, der anderen Ländern seinen way of life aufdrückt. Leben und leben lassen. In diesem Zusammenhang spricht er selbst mit ehemaligen Feinden wie Syrien oder Iran. Wenn Amerika dort Charmeoffensiven startet, hilft dies auch in der Auseinandersetzung mit China und Russland, die ihre Ambitionen mit harter Knute vertreten. Da kommt Uncle Sam, der Sanktionen lockert und hilft, die marode Wirtschaft wiederaufzubauen, gerade recht. Nebenbei, wenn Trump den „Friedensfürsten“ spielt, spart Amerika dramatisch an Militärausgaben ein.
Insgesamt gilt: Vor der Kamera spielt Trump gerne den laut bellenden Hund. Im operativen Geschäft beißt er jedoch nicht entsprechend zu. Er will mit seiner polarisierenden Art am Ende gute Deals machen. Ihm geht es darum, was am Ende unter dem Strich für die amerikanische (Finanz-)Wirtschaft herauskommt. Allerdings besteht dabei das Risiko, das er überreizt und viel Schaden anrichtet.
Inflationsangst wird weniger heiß gegessen, als sie gekocht wurde
US-Importeure, die die Zollpause für vorgezogene Einfuhren nutzen, müssen vorerst keine Horror- und Knappheitspreise zahlen, was die Preisüberwälzung auf Kunden mindert. Daneben wirken günstige Energiepreise und Mietpreisrückgänge - die bei der Inflationsbestimmung eine deutlich größere Rolle spielen - einer Inflationsbeschleunigung entgegen. Das verschafft auch der Fed wieder mehr Beinfreiheit, konjunkturstützend einzugreifen.
Marktlage - Die Börsen sind vom „Liberation Day“ befreit
Der US-Dollar kann angesichts zunächst besänftigter geopolitischer und US-Wachstumssorgen zwar einen Teil seiner Verluste gegenüber anderen Welt-Währungen wettmachen. Eine Grund-Skepsis gegenüber der US-Politik steht einer deutlichen Wiedererstarkung aber entgegen. An einen komplett „Kreide fressenden“ US-Präsidenten glaubt man nicht.
Dennoch, die insgesamt verbesserte Gemengelage honorieren die globalen Aktienmärkte mit einer V-förmigen Erholung. Für Amerika sprechen gleichzeitig geringe Steuern, geplante Deregulierung und kostengünstige Energieversorgung. In der Tat holt vor allem Wall Street klar auf.
Sicherlich werden Zollstreitigkeiten als Hauptgrund für die zuletzt dramatische Herabsetzung der weltweiten Gewinnerwartungen zunächst nicht vollständig wegfallen. Doch die geringe Erwartungshaltung bei Unternehmenserträgen - nicht zuletzt in den USA - sollte als Kontraindikator gesehen werden. Bei fortgeführter Entspannung wäre ein ordentlicher fundamentaler Hebel vorhanden.
Grundsätzlich wird sich die Anlagestrategie in den kommenden Wochen in einer breiteren Regionen- und Branchenrotation sowie in Schnäppchenjagd dokumentieren. Die Frage nach neuen Allzeithochs stellt sich nicht. Kurzfristig wird Defensivqualitäten vor konjunkturzyklischen Titeln gegeben. Dennoch sollten Unternehmen und Branchen, die strukturelles Wachstum aufweisen, weniger zollanfällig sind und von der fiskal- und geldpolitischen Entwicklung profitieren, nicht links liegen gelassen werden.
Sentiment und Charttechnik DAX - Ein Ende der Malaise ist schwierig abzuschätzen
Neben den Zollerhebungen, die schlimm genug sind, ist vor allem die Verunsicherung Gift für den Aktienmarkt. Welche Eskalationsstufe wird noch erreicht? Bis zur Klärung wollen Anleger zunächst nicht beherzt zugreifen. Vorsichtige Anleger fahren ihre Absicherungen an den Terminmärkten weiter hoch, um von neuen Rücksetzer nicht kalt erwischt zu werden.
Immerhin, der von CNN Business ermittelte Fear & Greed Index zeigt extreme Angst an und spricht als Kontraindikator für eine allmähliche Bodenbildung.
Aufgrund des dramatischen Stimmungsverfalls ist bereits viel Negatives in den Aktienkursen enthalten. Wegen vorangegangenen Kursverlusten hat sich die Fallhöhe verkleinert. Auch wenn es schwerfällt, sollte man sich nicht vollständig von den Börsen verabschieden. Antizyklische Anleger mit längerfristigem Horizont könnten sich bei einer weiter fortgeschrittenen Korrektur allmählich wieder Zyklikern nähern, regelmäßige Aktiensparer ohnehin.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725