Kempten: #MeToo – Pflegerinnen sind besonders oft von sexuellen Übergriffen betroffen
Geht es beim Bewegten Donnerstag des Kempten-Museums um ein feministisches Thema, füllt sich der Saal. Zumal wenn Katharina Simon, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, zwei sehr kompetente Fachfrauen und einen sehr kompetenten Fachmann zur Debatte um #MeToo („ich auch“) auf das Podium bittet, nämlich Sonja Eismann, Mitherausgeberin und -gründerin des feministischen Missy Magazins, die Gesundheits- und Krankenpflegerin Antonia Hecht sowie den Kulturjournalisten und Autor Christian Dittloff.
Kempten – Eismann, die Kulturwissenschaftlerin, erinnerte an den Anfang der öffentlichen Debatte um sexuelle Übergriffe als alltägliche Erfahrung der meisten Frauen, den Weinstein-Skandal vor sieben Jahren. Bis dahin habe die Gesellschaft die Erzählung geglaubt, dass Frauen gleichberechtigt sind, schließlich sei „schon alles erreicht“. #MeToo sei extrem wichtig, hat diese Aktion doch die Perspektive von Frauen öffentlich gemacht und diese dank der Anonymität der Meldungen in den sozialen Netzwerken weltweit verbreitet. Sie empfindet die Rede von „Übergriffen“ als Bagatellisierung, „sexuelle Gewalt“ als das treffendere Wort. Was fehle, sei die Geschichtsschreibung über feministische Errungenschaften, denn thematisiert werde der Missstand von mutigen Frauen bereits seit Jahrzehnten. Jetzt sei eine kritische Masse von Menschen erreicht, die sich über sexuelle Übergriffe empört, und dieses Wissen müsse verstetigt werden, damit der neue Schub nicht verebbt.
#MeToo: Jede vierte Frau hat sexuelle Übergriffe erlebt
Und was hat #MeToo im Arbeitsleben, z. B. im Bereich der Krankenpflege ausgelöst? Hecht ist dieser Frage nachgegangen und hat Erschreckendes festgestellt. Gesichert ist, dass jede vierte Frau sexuelle Übergriffe erlebt hat, die Zahlen in der Pflege jedoch deutlich höher sind. Ihrer Recherche zufolge haben über 60 Prozent der Pflegerinnen sexuelle Übergriffe durch Patienten erlebt. In Interviews wurden sehr konkrete und abstoßende Beispiele auch extremer Grenzüberschreitungen geschildert. Dabei handele es sich um Gewalt, nicht um Belästigung. Auch in den Teams auf den Stationen werde nicht darüber geredet, sei das Thema doch kein „cooles“, vielmehr schambehaftet. Es werde quasi als Berufsrisiko abgetan, nach dem Motto: „War nicht so gemeint.“
Wo bleibe hier die Verantwortung der Arbeitgeber? Inzwischen ist eine Beschwerdestruktur vorgeschrieben, Führungskräfte sollen im Umgang mit einschlägigen Klagen geschult werden, Kliniken und Heime müssen sich klar positionieren, ihre ethischen Leitlinien öffentlich machen („Rassistisches und sexistisches Verhalten wird nicht toleriert.“) und mögliche Sanktionen benennen. Nach Präventionsstrategien wurde bislang überhaupt nicht gesucht.
#MeToo: Prävention richtet sich potenzielle Opfer, nicht an potenzielle Täter
„Was ist los mit den Männern? Warum wird toxisches Verhalten von Männern geduldet?“, fragte Simon den Repräsentanten des anderen Geschlechts. Dittloff hat über Männlichkeit intensiv nachgedacht und über Prägung geforscht. Ein Entschuldigungsmodell habe er nicht parat, eher ein Erklärungsmodell für die gesellschaftliche Abwertung des Weiblichen. Auch er sei in Kindheit und Jugend „fit gemacht worden für’s Patriarchat“. „He-Man“ als Master of the Universe habe ihn als Sechsjährigen schwer beeindruckt. Ein gewaltvolles Vorbild. Das gesellschaftliche Klima in den 70er und 80er Jahren sei so sexistisch gewesen, wie es heute kaum noch vorstellbar sei. So habe er gelernt, dass es ein „handelndes“ und ein „objektifizierbares“ Geschlecht gibt. Männer profitierten vom Patriarchat, häufig ohne es zu wissen und zu wollen, ist Dittloff überzeugt. Es schädige und überfordere sie aber auch, indem es ihr emotionales Repertoire einschränke. „Männer sind dran, feministische Arbeit zu leisten, sollen Verantwortung übernehmen und Verbündete von Frauen sein“, so Dittloff.
Im Gespräch mit dem Publikum ging es zum Beispiel um die feministische Erziehung von Jungen, um eine Erziehung zu Empathie. Moniert wurde auch, dass sich Aufklärung über Gewaltprävention und einschlägige Schulungen stets an die potenziellen Opfer richte, statt an die potenziellen Täter.
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