Sauf-Partys mit Kindern? Wie üble Vorwürfe gegen Pfarrer in sich zusammenfallen
Was im Fall des Geistlichen Alexander Aulinger im niederbayrischen Hauzenberg wahr ist, darüber gibt es völlig unterschiedliche Ansichten. Ein 155-seitiges Gutachten wirft Aulinger schwerwiegendes Fehlverhalten in der Jugendarbeit vor. Laut der Bistumsführung ist von Saufgelagen auf Hüttenwochenenden oder Events der kirchlichen Jugendministranten-Arbeit die Rede.
Zudem soll der Pfarrer laut dem „Bayerischen Rundfunk“ mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam in seinem Whirlpool gebadet und mit ihnen geduscht haben. Das Bistum Passau verbot dem Pfarrer daraufhin, weiter von der Kanzel zu predigen, auch darf er im Bereich des Pfarrverbands Hauzenberg nicht mehr als Priester auftreten.
Aulinger steht Verdacht des „geistlichen Missbrauchs“
Das Verhalten Aulingers verstößt seinen Vorgesetzten zufolge gegen kirchliche Präventionsrichtlinien der Deutschen Bischofskonferenz und gegen das Schutzkonzept des Passauer Bistums.
Das belastende Gutachten beruft sich auf Aussagen betroffener Jugendlicher, deren Eltern sowie hauptamtlicher Mitarbeiter aus der Jugend- und Ministranten-Arbeit.
Dabei geht es etwa um „geistlichen Missbrauch“. Über diese Schiene soll eine religiöse Leitperson ihre Autorität ausgenutzt haben, um Druck auf andere auszuüben.
Heißt hier: Mobbing durch den Pfarrer. Laut dem Passauer Bischof Stefan Oster habe es gegen Belastungszeugen „Drohszenarien“ gegeben.
Die „Süddeutsche Zeitung “ titelte: „Pfarrer von Hauzenberg soll schwere Grenzüberschreitungen begangen haben.“ „Der Spiegel“ warf den Verdacht des „Groomings“ auf. Der Dekan habe sich als Autoritätsperson das Vertrauen von Minderjährigen für eigene Zwecke erschleichen wollen.
Solidarität mit Pfarrer Aulinger trotz massiver Vorwürfe
Starker Tobak. Angesichts der negativen medialen Resonanz müssten da die Unterstützer des Mannes eigentlich in die Knie gehen. Doch das Gegenteil ist der Fall.
In der Pfarrkirche St. Vitus solidarisierten sich viele Gläubige mit dem beliebten Pfarrer, fast alle Ministranten erklärten ihren Rücktritt.
Bei einer Messe protestierten 2000 Menschen nebst Feuerwehrleuten und dem Trachtenverein gegen das durch den Bischof verhängte Zelebrationsverbot. Zahlreiche Kirchenaustritte folgten.
In der Folge goss Bischof Oster in einer öffentlichen Ansprache, per Video gestreamt, noch mehr Öl ins Feuer, als er an Aulinger kein gutes Haar ließ. Der hohe Seelsorger kümmerte sich dabei mehr um das Heil der Belastungszeugen als um seinen Pfarrer.
Immer wieder habe es Vorwürfe gegen Aulinger gegeben. Die seien dann endgültig kurz vor Weihnachten durch einen anonymen Interaccount nebst einem Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv über das belastende Gutachten im Bistum hochgekocht. „In mehreren Gesprächen hat sich für Pfarrer Aulinger abgezeichnet, dass er sich auf Dauer nicht mehr würde halten können.“
Am 6. März habe Aulinger seinen Rückzug bekundet. Als man sich schon einig geworden und eine gemeinsame Pressemitteilung über den Rückzug des Geistlichen veröffentlicht hatte, meldete sich der neue Anwalt des Pfarrers und bestritt das Ganze.
Stellungnahme des Bischofs gleicht einer verbalen Hinrichtung
Strafrechtsprofessor Holm Putzke, der Aulinger vertritt, stellte den Vorgang im Gespräch mit FOCUS online ganz anders dar.
„Diese öffentliche Stellungnahme des Bischofs glich einer verbalen Hinrichtung. Das Ganze ist eine unglaubliche Schmutzkampagne gegen Pfarrer Aulinger. Er hat keineswegs einen Amtsverzicht erklärt. Dazu gibt es auch keinen Grund. Es ging lediglich darum, sich zeitweise aus dem Pfarrverband zurückzuziehen, bis alles aufgeklärt ist.“
Der Pfarrer werde sich „gegen die unberechtigten Angriffe auf seine Person und sein Amt zur Wehr setzen“, betonte Putzke.
Belastendes Gutachten wird vorenthalten
Allerdings scheint dies schwierig zu sein, wenn einem das belastende Gutachten durch das Bistum vorenthalten wird. Bischof Oster verweigerte über seinen Bistumsanwalt die Herausgabe.
Die Erklärung wirkt vorgeschoben. Demnach erhält Pfarrer Aulinger das Gutachten nicht, „um weiteren Schaden von allen Beteiligten, insbesondere den im Bericht genannten Personen abzuwenden“, teilte der Bistumsjurist dem Verteidiger des Pfarrers mit.
„Im Übrigen beruhen die ergangenen Entscheidungen des Bischofs nicht auf diesem Bericht, gegen den sich das Bistum selbst positioniert hat, so dass aus der Fürsorgepflicht des Bischofs heraus ein Anspruch nicht abgeleitet werden kann. Schließlich sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Verfasser dieses Berichts diesen ausdrücklich als vertraulich bezeichnet und die Weitergabe an Herrn Aulinger schriftlich untersagt hat.“
Aulinger soll fälschlicherweise Administrator einer Chatgruppe gewesen sein
Ein fairer Umgang in so einem heiklen Verfahren sieht anders aus, meint Aulingers Anwalt Putzke: „Die halbe Medienlandschaft kennt dieses Gutachten, nur unser Mandant bekommt keine Einsicht und kann sich deshalb auch nicht mit aller Kraft gegen die Vorwürfe wehren. Christliche Nächstenliebe sieht anders aus, das Bistum und der Bischof mit seiner öffentlichen Rede haben die Persönlichkeitsrechte meines Mandanten schwer verletzt.“
Einen Vorgeschmack zu den angeblichen Vergehen des Pfarrers lieferte ein dreiseitiger Brief der Missbrauchsbeauftragten des Bistums, der FOCUS online vorliegt. In dem Schreiben der Anwältin an Bischof Oster, in dem sie eine Strafanzeige gegen den Pfarrer anregt, wirken die Anschuldigungen wie ein krudes Sammelsurium nebst fragwürdigen Beweisen.
So soll Aulinger fälschlicherweise Administrator einer Chatgruppe namens „Minibunker“ mit Ministranten gewesen sein. Die Missbrauchsbeauftragte empörte sich über das Profilbild etlicher urinierender junger Männer an einer Hecke.
Auch fand sich eine Aufnahme mit zwei jungen Männern, die sich in Unterhose und kurzer Leggins auf einem Sofa lümmelten. Im Hintergrund sei eine Tür zu sehen, die in die Wohnung des Pfarrers führe, hieß es in dem Schreiben.
Angeblich hätten Zeugen berichtet, dass man jederzeit in die Privaträume des Geistlichen gehen durfte, um seinen Whirlpool im Garten zu benutzen. Ein weiteres Foto zeige einen Jugendlichen in dem Pool.
Keine Beweise für Fehlverhalten
Dazu erklärte Aulingers Verteidiger Putzke: „Die Ministranten suchten nach einem Aufenthaltsraum. Nachdem etliche Versuche scheiterten, stellte mein Mandant im Einvernehmen mit der Kirchenverwaltung seine Einliegerwohnung im Keller zur Verfügung. Das war ein Akt, um diese jungen Leute wieder näher an die Kirche heranzuführen. Der Zugang zu seinen Privaträumen war stets verschlossen.“ Auch habe es keine Pool-Partys gegeben, versicherte Putzke. Für diesen Vorwurf gebe es auch keine Beweise.
Das Foto von dem Jugendlichen im Whirlpool sei geschossen worden, nachdem dieser das Becken aufgebaut und Wasser eingelassen habe.
„Es handelt sich um den Sohn einer Gastronomen-Familie, die mit dem Pfarrer befreundet ist.“ Aulinger und die Eltern hätten beim Grillen dabeigestanden, aber dies zeige das Foto nicht, sondern nur den Jugendlichen im Pool, so Putzke.
Es wird aber noch bunter. Laut der Missbrauchsbeauftragten deutet eine Aufnahme von Aulinger und seinem Patenkind in Tracht nebeneinander mit Armberührung auf Anzeichen sexueller Nähe hin.
FOCUS online kennt das Bild. Da stehen zwei Erwachsene nebeneinander und schauen lächelnd in die Kamera. Zwei Handaußenflächen touchieren sich leicht. Daraus eine sexuelle Nähe zu kreieren, wirkt abstrus.
Ein Vorwurf reihte sich an den nächsten. So soll Aulinger in seinem Pfarrhaus einen Fitnessraum eingerichtet haben, in dem er Jugendliche zum Training eingeladen habe. Tatsächlich existiere ein solcher Raum gar nicht, sagt der Anwalt.
Zeugenbericht widerlegt Duschraum-Vorwürfe gegen Pfarrer
Bei einem Fußballturnier soll der Geistliche die Duschräume junger Kicker aufgesucht und trotz Aufforderung „der Buben“ nicht gegangen sein. Nichts davon scheint wahr zu sein. FOCUS online liegen Zeugenaussagen zweier junger Fußballer vor, die seinerzeit dabei waren.
Am 27. Januar 2024 fand in der Turnhalle am Oberhaus das Turnier von Ministranten statt. Eine Mannschaft aus Salzweg hatte laut Aussage eines Teammitglieds einen guten Draht zu Pfarrer Aulinger. Da man sich lange nicht gesehen hatte, bat man den Geistlichen in die Kabine.
„So konnten wir uns ungestört unterhalten und uns austauschen, was wir alles so erlebt haben in der Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten“, berichtete der Ministrant. Als eine zweite Mannschaft in den Raum kam, sei der Pfarrer sofort hinausgegangen. „Aus diesem Grund dürfte jegliche Beschwerde nicht der Wahrheit entsprechen.“
Vorwürfe zu Hüttenwochenende widerlegt
Ferner listete die Bistumsanwältin angeblich schwere Verstöße an Hüttenwochenenden auf. Ein Video zeige, wie zwei junge Männer herumtorkelten. Offenbar völlig betrunken.
„Tatsächlich spielten die beiden Jungs gerade Fußball, hatten möglicherweise ein oder zwei Bier getrunken und einen Heidenspaß daran, sich mehrfach den Abhang herunterzurollen, nachdem sie dem Ball nachjagen mussten“, lässt der Pfarrer durch seinen Verteidiger vortragen. Dafür gebe es zahlreiche Zeugen.
Zudem erhoben die Eltern eines damals fast 16-jährigen Mädchens den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung an einem dieser Hütten-Events. Der jungen Frau sei es schlecht gegangen, doch Aulinger habe sich nicht gekümmert.
Auch hierzu findet sich eine Erklärung. „Der jungen Frau ging es nicht gut“, berichtet Anwalt Putzke. „Erst hat Herr Aulinger mit ihr spätnachmittags fast zwei Stunden gesprochen, anschließend war alles wieder in Ordnung, abends hat noch eine Betreuerin auf ihrem Zimmer lange mit ihr geredet. Danach erweckte das Mädchen den Eindruck, als ginge es ihr wieder gut. Der Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung ist völliger Quatsch.“
Staatsanwaltschaft Passau schließt Anfangsverdacht gegen Aulinger aus
Die Staatsanwaltschaft Passau sieht dies bisher auf Anfrage genauso. Die Bistumsanwältin hatte letztlich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
„Auf ein anwaltliches Schreiben im Auftrag der Diözese Passau an die Staatsanwaltschaft Passau vom 20.03.2025 wurde ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet“, berichtete Behördensprecher Klaus Fruth. „Ein Anfangsverdacht für eine konkrete Straftat liegt nach derzeitigem Sachstand (aufgrund dieses Schreibens) nicht vor.“
Die Kriminalpolizeiinspektion Passau soll nun noch eine Zeugin vernehmen, „um zu prüfen, ob ein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten gegeben ist“. Der Verdacht falscher Verdächtigungen durch das Bistum Passau oder durch die Anzeigenerstatterin sei ebenso nicht gegeben.
Anwalt Putzke will nun rechtliche Schritte gegen das Bistum einleiten. „Bei der Inquisition im Mittelalter kam der Schuldspruch immerhin vor dem Scheiterhaufen – heute liefert die Kirche ihre Priester den Medien aus, noch bevor klar ist, ob überhaupt ein Vergehen vorliegt“, so Putzke.
Medienanwalt fordert Konsequenzen für Diözese und Medien
Angesichts der Entwicklungen empfiehlt Markus Hennig, der Medienanwalt des Pfarrers, auch presserechtlich vorzugehen: „Der öffentliche Diskurs – insbesondere durch die Diözese Passau, den Bischof und einzelne Medien – ist ein medienethisches Unding – eine publizistische ‚Sünde‘.“
Auch Aussagen eines Bischofs, so Markus Hennig, „unterliegen der journalistischen Überprüfungspflicht – daran ändern weder ein inszenierter Videoauftritt noch wohlklingende Pressemitteilungen der Diözese etwas.“
Besonders kritisch sieht Hennig die Berichterstattung der „Süddeutschen Zeitung“: „Anonyme Zitate, nicht überprüfbare Quellen und die unterlassene ordnungsgemäße Anhörung unseres Mandanten – das ist weder fairer Journalismus noch rechtlich zulässig.“
Auch der „Bayerische Rundfunk“ verstoße „gegen Grundsätze zulässiger Verdachtsberichterstattung – trotz öffentlich-rechtlichem Auftrag, der vorurteilsfreie Ausgewogenheit verlangt“.
Alkohol für Wirtshaus und Hütte, nicht für Ministranten
So wollen die Anwälte etwa gegen die Behauptung vorgehen, dass Pfarrer Aulinger für eine kirchliche Freizeit auf einer Hütte 18 Flaschen Wodka mitgebracht und minderjährigen Schützlingen offeriert habe.
Den Verdacht sollte ein Foto vom Einkauf für ein Hüttenwochenende durch Aulinger und drei Ministranten in einem Supermarkt belegen. Tatsächlich aber nutzte einer der beteiligten Ministranten die Gelegenheit, zugleich Spirituosen für das örtliche Wirtshaus zu beschaffen, das seine Eltern betreiben.
Der hochprozentige Alkohol sei für das Lokal und die Hütte des älteren Bruders eingekauft worden, versicherten der Wirt und sein Sohn bereits schriftlich bei der Anhörung durch das bischöfliche Generalvikariat am 13. Dezember 2023. Offenbar aber schenkte man den Zeugen keinen Glauben. Vielmehr ging das Bistum gegen Pfarrer Aulinger vor.