„Jede Entscheidung ein Jahr zu spät“ – Selenskyj fordert direktere Beteiligung seiner Partner

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Nach monatelangem Warten erhält die Ukraine nun Militärhilfen aus den USA – laut Präsident Selenskyj viel zu spät. Er fordert ein schnelleres Eingreifen.

Kyjiw – Dass parlamentarische Entscheidungsprozesse sich nur bedingt dafür eignen, schnell auf akute Krisensituationen zu reagieren, müssen die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten am eigenen Leib spüren. Die Abhängigkeit von Waffenlieferungen erfordert einen langen Atem und hält das Schicksal des Staates im Ungewissen. Zu lange würden die Verbündeten für ihre Entscheidungen brauchen, sagte nun der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj. Er appelliert an seine Partner, sich unmittelbarer am Krieg gegen Russland zu beteiligen.

In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters am Montag (20. Mai) bezeichnete Selenskyj die Waffenlieferungen, die nach monatelanger Debatte in den USA nun in der Ukraine eintreffen, als „großen Schritt vorwärts“, nachdem „vorher zwei Schritte zurück“ erfolgt seien. „Jede Entscheidung, zu der wir – dann später alle gemeinsam – kommen, kommt um etwa ein Jahr zu spät.“

Aufnahmen aus der ukrainischen Grenzstadt Wowtschansk, Brennpunkt der Charkiw-Offensive, nachdem drei russische Gleitbomben dort eingeschlagen waren.
Aufnahmen aus der ukrainischen Grenzstadt Wowtschansk, Brennpunkt der Charkiw-Offensive, nachdem drei russische Gleitbomben dort eingeschlagen waren. © Madiyevskyy Vyacheslav/Ukrinform/Imago

Selenskyj verhandelt mit Partnern: Er will die Waffen auch auf russischem Territorium nutzen

Selenskyj betonte gegenüber Reuters, dass er sich eine direktere Beteiligung der Ukraine-Partnerstaaten im Krieg wünsche. Diese könne etwa daraus bestehen, dass benachbarte Nato-Staaten russische Raketen über ukrainischem Territorium abfangen. Er verstehe zwar, dass diese davor zurückschreckten, Russland zu verärgern und eine Eskalation zu provozieren. Es habe sich aber auch jeder „daran gewöhnt, dass Ukrainerinnen und Ukrainer sterben – das ist keine Eskalation für die Menschen.“

Die Ukraine habe sich bislang an ihre Vereinbarungen mit Verbündeten gehalten, deren Waffen nicht auf russischem Territorium einzusetzen, sagt Selenskyj. Mit internationalen Partnern verhandle er dennoch gerade darüber, Waffen auch an der Grenze und innerhalb Russlands zu nutzen, um russische Militärausrüstung anzugreifen.

Entscheidungen dauern zu lang – Die Fronten zwischen der Ukraine und Russland haben sich verlagert

Die Ukraine steht unter Druck: Selenskyj bezeichnet die Situation gegenüber Reuters als „eine der schwierigsten“ seit Beginn der russischen Invasion 2022. Anfang Mai sind die russischen Truppen von Belgorod aus in Richtung Charkiw, der zweitgrößten ukrainischen Stadt, vorgestoßen und haben mehrere Dörfer an der Grenze besetzt.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, inspiziert Befestigungslinien in der Region von Charkiw. Selenskyj hatte zuletzt gewarnt, dass sein Land den Krieg verlieren könne, wenn weitere internationale Militärhilfe – vor allem die der USA – ausbliebe.
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, inspiziert Befestigungslinien in der Region von Charkiw. Selenskyj hatte zuletzt gewarnt, dass sein Land den Krieg verlieren könne, wenn weitere internationale Militärhilfe – vor allem die der USA – ausbliebe. © picture alliance/dpa/Ukrainian P

In der Grenzstadt Wowtschansk würden die ukrainischen Streitkräfte gegenwärtig etwa 60 Prozent der Stadt halten, zitiert The Independent die öffentliche Einschätzung Roman Semenukhas, des stellvertretenden Gouverneurs der Region Charkiw. Seit dem 10. Mai, als Russland den Angriff auf die Region Charkiw startete, hätten die örtlichen Behörden etwa 10.500 Menschen aus den Grenzgebieten evakuiert. Laut The Independent verortet der Gouverneur Oleh Syniehubov die gegenwärtige Frontlinie entlang des Flusses Wowtscha, der durch die Stadt fließt. Der russische Plan, den Norden der Region schnell zu erobern, sei gescheitert.

Aber auch im Donbass würden erbitterte Kämpfe toben, betont Selenskyj gegenüber Reuters: „Niemand bemerkt überhaupt, dass es im Osten des Landes tatsächlich noch mehr Kämpfe gibt, insbesondere in Richtung Donbass: Kurachowe, Pokrowsk, Tschassiw Jar.“

Ukraine-Gipfel im Juni: Selenskyj will eine Entscheidung der Staaten

In Hinblick auf die Ukraine-Konferenz, die kommenden Monat in der Schweiz stattfindet, betonte Selenskyj die Relevanz der Anwesenheit der chinesischen Regierung. „Denn im Prinzip ist nach diesem Gipfel klar, wer den Krieg beenden will und wer in engen Beziehungen zur Russischen Föderation bleiben will.“ Es sei entscheidend, so viele Staaten wie möglich an einen Tisch zu bringen. Russlands Präsident Wladimir Putin war erst am Donnerstag nach China gereist, um mit seinem Amtskollegen Xi Jinping die gemeinsame Staatenpartnerschaft zu erneuern.

Mit Blick auf die USA sah Selenskyj gegenüber Reuters kein Problem in einem möglichen Sieg des Präsidentschaftskandidaten Donald Trump: „Ich glaube nicht, dass die Republikaner gegen eine Unterstützung der Ukraine sind, aber einige Botschaften, die von ihrer Seite kommen, geben Anlass zur Sorge.“ (ses)

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