„Verblüffend, wie wenig Energiepolitik im deutschen Wahlkampf ein Thema ist“, findet das „Wall Street Journal“ (WSJ). Nicht nur dort, auch andere US-Medien überschlagen sich derzeit förmlich mit ihren Berichten über die deutsche Bundestagswahl – und über die Rolle Amerikas im Wahlkampf.
„Deutschland hat mit die höchsten Energiekosten der Welt“, erklärt zum Beispiel das WSJ und listet den amerikanischen Lesern Zahlen auf: Der deutsche Durchschnittshaushalt zahle pro Kilowattstunde Strom 39,5 Cent – verglichen mit 27,8 Cent in Frankreich oder 14,9 Cent in den USA. Für mittelgroße deutsche Unternehmen lägen die Kosten bei 24,8 Cent – in Amerika bei 7,4 Cent.
„Wall Street Journal“ gibt grüner Energiewende die Schuld
„Das Land steckt in einer schweren Wirtschaftskrise“, so WSJ-Autor Joseph Sternberg in seinem Leitartikel für die renommierte Tageszeitung. „Kurz vor den Wahlen sollte man meinen, dass Energie ein zentrales Thema im Wahlkampf ist. Falsch gedacht – denn, tja, wir haben es mit dem modernen Deutschland zu tun.“ In seiner Kritik an der Berliner Energiepolitik nimmt er kein Blatt vor den Mund.
Die Schuld an den hohen Stromkosten in Deutschland liege an der grünen Energiewende, die schon vor 20 Jahren begann, meint Sternberg. Putins Ukraine-Krieg habe das Problem verstärkt, da die deutsche Wirtschaft alles auf billiges Gas aus Russland setzte. „Da diese Notlösung keine Option mehr ist, kann nichts mehr die deutsche Wirtschaft vor den Berliner Energiefehlern schützen. Das Resultat: zwei Jahre Rezession und eine beschleunigte Deindustrialisierung.“
US-Medium ist enttäuscht von FDP-Chef Lindner
Es sei verblüffend, wie wenige Lösungsvorschläge von den Politikern der Volksparteien kämen. „Bei der SPD und den Grünen kann man das ja noch verstehen“, so Sternberg. Für Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck gehe die Energiewende noch nicht weit genug. „Und Herr Scholz gibt dem russischen Krieg gegen die Ukraine die Schuld – was zwar teils stimmt, aber ziemlich irrelevant ist.“
Viel schockierender findet das WSJ die Haltung der konservativen Volksparteien: „Die größere Enttäuschung kommt von den Rechten.“ FDP-Chef Christian Lindner habe zwar die Neuwahl ausgelöst und die deutsche Klimapolitik als verrückt bezeichnet. Doch im aktuellen Wahlkampf höre man kaum mehr etwas von seiner Energiepolitik.
„Energiepolitik-Mischmasch“ bei der CDU
Damit bliebe die CDU mit ihrem Kanzlerkandidaten übrig: „Friedrich Merz versteht wahrscheinlich Deutschlands Energieproblem“, meint Sternberg, „und wenn er könnte, würde er es wohl auf die Art lösen, die auf der Hand liegt: weg von erneuerbaren Quellen und saubere Brennstoffe wie Erdgas (importiert aus anderen Ländern als Russland) und Atomkraft verdoppeln.“
Doch die CDU sei leider noch nicht so weit. 2011 habe Merz’ Vorgängerin Angela Merkel den Ausstieg aus der Atomenergie begonnen. „Und wie es eben so typisch ist für europäische Mitte-Rechts-Parteien, hat die CDU einen grünen Flügel.“ Das erkläre auch das „Energiepolitik-Mischmasch“ der Unionspartei.
Die CDU und die deutsche Gesellschaft an sich stünden in einem tiefen inneren Konflikt zur Atomenergie, erklärt Sternberg den amerikanischen Lesern. „Genau da liegt das Problem: Deutschlands Parteien können das Ausmaß der Energiekatastrophe nicht wahrhaben, weil die Wähler selbst es nicht erkannt haben.“
Zeitung warnt vor AfD-Chance bei Energiepolitik
Mit einer Ausnahme, so Sternberg: der AfD. Nur diese Partei stehe gegen einen „Zwangsmarsch hin zu einer grünen Energie-Zukunft“. Trotz ihrer faschistischen Tendenzen erhalte die AfD großen Zulauf. Der WSJ-Autor sieht Parallelen zur Position der AfD-Flüchtlingspolitik und warnt, dass „die Volksparteien der AfD eine ähnliche Chance in den Bereichen Energie und Wirtschaft geben, während die Zimperlichkeit der Politiker gegenüber offenen Klimagesprächen anhält“.
„Die AfD ist kein Freund Amerikas“, warnt ein weiterer Leitartikel des WSJ. Auf den ersten Blick würden sich „Make America Great Again“ und „Germany First“ vielleicht ähneln. Doch Trump-Berater Elon Musk und US-Vizepräsident JD Vance wüssten wohl nicht, wie tief der Antiamerikanismus bei vielen AfD-Leuten verwurzelt sei. „Und im Gegensatz zu Frau Weidel zügeln sie ihre Rhetorik nicht. Sie geben sich keine Mühe, ihre Verachtung für Amerika zu verbergen.“
„New York Times“ lobt Deutschland
Unter der Schlagzeile „Vances Schande in München“ stimmt die „New York Times“ (NYT) der AfD-Kritik zu und zitiert unter anderem Björn Höckes Holocaust-Äußerungen. „Wie schützt sich ein freies Land gegen die Feinde der Freiheit?“, fragt die NYT. Ländern mit einer totalitären Vergangenheit falle die Antwort darauf oft schwer.
Aber: „Wenige haben das besser gemacht als Deutschland, weil es die Feinde der Demokratie wachsam beobachtet und gleichzeitig die Erinnerung daran bewahrt, was die Nation einst war.“ Dafür sollten alle Amerikaner dankbar sein, heißt es – auch angesichts des Preises, den die USA an Leben zahlten, um Deutschlands Vergangenheit zu besiegen.
Offenbar zeige Vance diese Dankbarkeit aber nicht, so die NYT. Die Zeitung bezeichnet seine Rede in München als „Skandal“, als „Monument an Arroganz, das auf der Grundlage der Heuchelei beruht“. Der Artikel endet mit dem Urteil über Vance: „eine Schande“. Schon zuvor hatten mehrere US-Medien ein vernichtendes Urteil über die Vance-Rede gefällt.