Paar wandert von Greiling nach Südtirol – 50 Jahre später laufen Sohn und Enkel die gleiche Route
Es war ein unvergessliches Abenteuer. Im August 1974 marschieren Rosi Horn und ihr Ehemann Peter in sieben Tagen zu Verwandten nach Südtirol. Trotz einiger Hürden ziehen sie die Tour durch. Auf dem Weg ins Pustertal treffen sie auf viele hilfsbereite Menschen. Genau 50 Jahre später wandern Sohn Stephan und Enkel Emil auf derselben Route.
Greiling/Oberolang – Rosi Horn hat alles in einem blauen Heft detailliert aufgeschrieben. „Also, wo fange ich an?“, fragt die Greilingerin und schlägt das Heft auf. Auf der mehrtägigen Tour durch die Alpen hatte sie glücklicherweise einen Bleistift und einen kleinen Block dabei, machte sich immer wieder Notizen. Ergänzt mit den Erinnerungen wurde daraus ein Reisetagebuch.
Von Greiling nach Südtirol: Männer fassen gemeinsam Entschluss – doch dann springen viele ab
Die Geschichte beginnt im Frühjahr 1974. Wenige Monate zuvor hatten Rosi Horns Schwester Elfriede und deren Mann Hans, genannt Giovanni, das Hotel Markushof in Oberolang eröffnet. Das 3-Sterne-Haus wird heute noch von der Familie geführt. Rosi und Peter Horn besuchten mit einigen Freunden das nagelneue Hotel. „Als wir eines Abends an der Bar standen, kam den Männern die Idee, irgendwann im Sommer zu Fuß nach Olang zu gehen“, berichtet die 83-Jährige. Die Motivation dafür lieferte der Wolfratshauser Bergwander-Pionier Ludwig Graßler, der kurz zuvor zum ersten Mal vom Marienplatz in München zum Markusplatz in Venedig gewandert war.
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„Von mir war anfangs überhaupt nicht die Rede“, sagt Horn. Doch die restlichen drei Männer der anfangs so motivierten Bergsteiger-Gruppe zogen nicht mehr mit. „Jeder hat eine andere Ausrede gehabt. Nur mein Mann Peter war fest entschlossen. Er hat gesagt: ,Dann musst halt du mit mir gehen‘“, erinnert sie sich und lacht. Er besorgte Kompasskarten, und gemeinsam stellten die Eheleute eine Route zusammen, die zehn Tage dauern sollte. Rosi Horn bereitete sich mit einer ungewöhnlichen Maßnahme auf die Bergtour vor: „Ich habe mir die Haare kurz schneiden lassen. Ich dachte mir, dann trocknen sie schneller.“
Gewitter schon am ersten Tag: Menschen auf der Route sind hilfsbereit
Am 25. August 1974 begann das große Abenteuer. „Es war ein Sonntag, strahlend blauer Himmel“, erzählt Horn. Von ihrem Haus in Greiling wanderten die beiden durch die Attenloher Filze Richtung Lenggries und weiter Richtung Röhrlmoosalm, dem ersten Übernachtungsstopp auf der Route. „Am Nachmittag gab‘s bereits ein fürchterliches Gewitter“, sagt Horn. Und das, obwohl die Meteorologen für die letzte August-Woche eigentlich gutes Wetter angesagt hatten. Patschnass kamen die Eheleute auf der Alm an. „Der Bauer hat sofort ein Feuer gemacht. Unsere nassen Klamotten und die Lederstiefel sind über dem Ofen getrocknet“, so Horn. Einer von vielen Momenten, an denen die Hilfsbereitschaft der Menschen auf dem Weg in Erinnerung blieb.
Der Hotelier war von unserer Tour so begeistert, dass er uns einlud, mit ihm und seiner Familie in einem privaten Speiseraum am Abend zu essen.
Auch am zweiten Tag gab es am Achensee ein Gewitter, und die beiden kamen durchnässt in Scholastika an. Dort beschlossen sie, mit dem Schiff nach Pertisau zu fahren und in einem Hotel zu übernachten. „Der Hotelier war von unserer Tour so begeistert, dass er uns einlud, mit ihm und seiner Familie in einem privaten Speiseraum am Abend zu essen“, erzählt Horn.
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„Spinnst du, wir gehen weiter“
Am Morgen danach fuhren die Eheleute mit dem Sessellift von Pertisau auf den Zwölferkopf. Über das Stanser Joch ging es teilweise durch hohes Gras und Gestrüpp hinab. Entsprechend nass werden die Hosen. „Peters Bergstiefel waren so durchnässt, dass er sich in Schwaz neue gekauft hat“, berichtet Horn. Die Verkäuferin bot dem Paar an, die alten Schuhe nach Hause zu schicken. „Als die Oma die leicht verschimmelten Schuhe auspackte, hätte sie fast der Schlag getroffen. Es gab ja kein Lebenszeichen von uns“, erinnert sich die Greilingerin.
Unterdessen fuhren die beiden mit dem Lift zum Kellerjoch, um in der gleichnamigen Hütte zu übernachten. Doch das Wetter bereitete den beiden weiter Sorgen. Horn erzählt: „Peter hörte mitten in der Nacht im Radio die Ansage: ,Heute Nacht schneit es in den Bergen‘. Das war für ihn zu viel. ,Morgen lassen wir uns abholen, ich mag nicht mehr‘, hat er gesagt.“ Ihre trockene Reaktion: „Spinnst du, wir gehen weiter.“
Schneefall zwingt Paar beinahe zum Aufgeben
Rund zehn Zentimeter Neuschnee hatte es am nächsten Morgen. Und es schneite weiter. Das sorgte für Orientierungsprobleme. „Die meisten Markierungen waren auf Steine oder Felsen gemalt, und die waren ja zugeschneit“, erzählt Horn. Mit ihrer primitiven Ausstattung gehen sie weiter zur Rastkogelhütte. Dort begegneten sie einem Vater mit seinem zehnjährigen Sohn. „Ohne eure Schuhabdrücke hätten wir nicht hierher gefunden“, habe er zu den Horns gesagt.

Inzwischen waren die Greilinger gemeinsam mit dem Mann und seinem Sohn in Mayrhofen im Zillertal angekommen. Dort fiel den Eheleuten auf: „Wir hatten nicht mehr viel Bargeld. Peter musste sich ja auf dem Weg neue Schuhe kaufen.“ Ihr Begleiter, von Beruf Banker, lieh ihnen daraufhin 300 Mark. „Ich konnte es nicht glauben, aber es war so“, berichtet Rosi Horn. Später überwiesen sie es zurück.
„Wie Maria und Josef auf der Herbergssuche“
Durch den Zillergrund ging es für Rosi und Peter Horn über die Bärenbadalm Richtung Hundskehljoch. Der Weg dauerte länger als gedacht, doch die beiden erreichten die Staatsgrenze zu Italien. Doch langsam setzte die Dämmerung ein. „Wir hatten nicht mehr als eine kleine Taschenlampe“, sagt Horn. In der Dunkelheit stiegen die beiden 1200 Höhenmeter hinab bis nach St. Peter, wo sie in einem Wirtshaus unterkamen. „Der Wirt brachten uns zwei Maß, aufgeteilt auf acht kleine Gläser serviert“, sagt Horn amüsiert.

An der Weißen Wand entlang wanderten die beiden nach Kematen in Taufers. Die Suche nach einer Unterkunft in dem kleinen Ort war kompliziert. „Wir kamen uns vor wie Maria und Josef auf der Herbergssuche.“ Nach acht Tagen erreichten Rosi und Peter Horn über das Tauferer Tal am 1. September 1974, einem Sonntag, das Hotel Markushof in Oberolang. „Giovanni erkannte uns zuerst gar nicht, weil wir eigentlich erst am Dienstag kommen sollten“, berichtet Horn. Die Freude über das Wiedersehen war riesig. „Und wir waren natürlich auch ein bisserl stolz auf uns, es geschafft zu haben“, erinnert sich die Greilingerin. Zurück ging es ein paar Tage später mit dem Zug.
149 Kilometer und fast 10 000 Höhenmeter laufen Enkel und Sohn 50 Jahre später
Die Geschichte von der abenteuerlichen Wanderung hat vor allem Enkel Emil bewegt. „Er wollte das unbedingt auch machen“, sagt Horn. Nach seinem Abitur zogen Emil und Vater Stephan dann los, genau 50 Jahre nach Rosi und Peter Horn. Sie haben ihre Reise bis ins Detail geplant und alles mit einer App dokumentiert. Stephan und Emil nahmen die exakt gleiche Strecke von Greiling bis Oberolang. In Südtirol wanderten die beiden dann jedoch über den Rieserferner und das Antholzer Tal. „Das wollten wir damals eigentlich auch, aber es war uns am Ende doch zu gach“, so Rosi Horn.
149 Kilometer und 9900 Höhenmeter überwanden Vater und Sohn von Greiling nach Oberolang. Rosi Horn wanderte die erste Etappe bis nach Lenggries mit. „Emil wollte unbedingt auf den Spuren seiner Großeltern gehen“, freut sich die stolze Großmutter. (vfi)