„Es geht einfach nicht mehr“: Imbiss-Institution schließt - Sogar Scotland-Yard-Mitarbeiter aßen bei ihm
Vor 75 Jahren wurde die Currywurst erfunden. Die beste im Oberland, da sind sich seine Kunden einig, gibt’s beim „Bratwurst-Tscharlie“ in Wolfratshausen. Allerdings nur noch für knapp vier Monate.
Wolfratshausen - Zuerst wurde sie in Berlin serviert. Am 4. September 1949. Die beste im Oberland, da sind sich seine Kunden einig, gibt’s beim „Bratwurst-Tscharlie“ in Wolfratshausen . Aber nur noch für knapp vier Monate. Ende Dezember reicht der gebürtige Münchner zum letzten Mal Bratwürste und sein berühmtes Schaschlik, garniert mit flotten Sprüchen, über den Tresen seines Imbissstands an der Pfaffenrieder Straße.
Nach 47 Jahren. „Ende Dezember ist Schluss“, sagt Helmut Günther Karl Egon Reischl, den alle Welt nur Tscharlie nennt. „Es geht einfach nicht mehr, die Knochen…“. Außerdem müsse er an seine Frau denken, die seit 47 Jahren „jeden Morgen um halb Fünf aufsteht und mit mir die Sachen vorbereitet“. Für eine Nachfolge gebe es Interessenten, aber noch nichts Spruchreifes.
Bratwurst-Tscharlie in Wolfratshausen: 60 Prozent der Kunden essen eine Currywurst
73 wird Tscharlie Reischl demnächst. Fast so alt, wie die Currywurst, deren Rezept sich die Berlinerin Herta Heuwer am 4. September 1949 patentieren ließ. Die in mundgerechte Stücke geschnittene und in würzige, rote Soße getunkte Wurst ist auch der Verkaufshit vom Bratwurst-Tscharlie.

Mit „circa 60 Prozent“ beziffert er deren Anteil, weiße und rote hielten sich die Waage. Warum die Currywurst so beliebt ist, dafür hat der Wolfratshauser eine einfache Erklärung. „Das ist der Ami-Senf, der Ketchup“, wie er schmunzelnd verrät. „Das kannten wir hier ja nicht.“ Und was ist die Besonderheit seiner eigenen Currywurst: „Bei mir wird die Soße heiß serviert, so bleibt auch die Wurst länger heiß.“
Vor 47 Jahren öffnete Münchner in Wolfratshausen Imbissstand - Aus mehreren Gründen
Dass er auf die Idee kam, in Wolfratshausen einen Imbissstand aufzumachen, hatte mehrere Gründe. Zum einen, gesteht der begeisterte Radfahrer und Sportschütze, der daheim gerne zu basischen Lebensmitteln greift, „mag ich Würstl in allen Variationen.“ Und dann war da „die Marie“ mit ihrer „Wurstbraterei“ an der Münchner Preysingstraße. „Die war mein Vorbild“, schwärmt Reischl, wenn er an seine Jugendjahre zurückdenkt.
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„Das war mein Traum, so etwas mal zu machen.“ Zudem hat der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann in jungen Jahren gastronomische Erfahrung gesammelt. Seine Mutter bewirtschaftete das Vereinslokal des Billardsportvereins München, mit 18 Jahren stieg der Sohn ein.
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Dann rief die Bundeswehr. Nach eineinhalb Jahren in Mittenwald stellte sich die Frage: Was tun? Weil seine damalige Freundin und spätere Frau in Wolfratshausen wohnte, sei es naheliegend gewesen, seinen Traum von der eigenen Wurstbude in der Flößerstadt zu verwirklichen.
Imbiss-Institution in Wolfratshausen macht dicht - Kaum einer hatte ihm den Erfolg zugetraut
Wenngleich niemand geglaubt hatte, dass die fixe Idee Erfolg haben würde. Der heutige Standort war damals eine Sackgasse. „Hier war Schluss, dahinter gab es nur einen Feldweg nach Gelting“, sagt Reischl und weist mit aus-gestrecktem Arm in die Richtung, wo sich heute ein Baumarkt befindet und damals eine Reparaturwerkstatt für landwirtschaftliche Fahrzeuge und Geräte.
Das Gewerbegebiet war erst im Entstehen. „Ich habe mich ins Auto gesetzt und geschaut, wie viele Lieferfahrzeuge dorthin fahren, das ist die wichtigste Kundschaft“, erzählt Reischl mit einem verschmitzten Lächeln. 200 Fahrzeuge am Tag hatte er gezählt und hochgerechnet: „Wenn davon 30 Prozent an den Stand kommen, kann ich anfangen.“
Mit einem zweizeiligen Vertrag, der in Reischls Erinnerungsordner ganz obendrauf geheftet ist, räumte Johann Dirrigl sen. ihm ein, am Rande des Firmenparkplatzes einen Imbisstand aufzustellen. Am 17. Januar 1977 legte der Bratwurst-Tscharlie die ersten Würstl auf den Rost, draußen hatte es minus 14 Grad. 17 500 Mark hatte er in den ersten Imbisswagen investiert. Das kulinarische Angebot war das gleiche wie heute. Schaschlik mit selbstgemachter Soße (deren Rezept er selbstredend nicht verrät) und viel Zwiebeln. Zwei Mark kostete die Bratwurst mit Semmel, 2,20 die Currywurst. Heute zahlt der hungrige Gast vier Euro für die Brühpolnische mit Senf, 4,50 für die Currywurst.
Seine Leibwächter waren öfter da, aber der Edmund Stoiber ist nie gekommen.
Das Schaschlik für fünf Euro – Schärfe nach Wunsch des Kunden – wird auf dem Teller serviert. Damals wie heute ist nach dem Mittagessen der Laden dicht: „Ab 14 Uhr Hitzefrei“ steht auf einem Pappschild. Und wenn es keine Hitze hat, schaltet er trotzdem den Grill aus. Schließlich beginnen seine Arbeitstage seit 47 Jahren immer um 4.45 Uhr.
„Stell dich nur hin“, hatte ihm sein Verpächter mit auf den Weg gegeben. „Du wirst nicht lange bleiben.“ Der Mann hatte sich gehörig getäuscht. Reischls Rechnung ging auf, wenngleich die ersten Jahre schwierig gewesen seien, wie er einräumt.
Aber sein Schaschlik, das er nach eigenen Worten damals in Wolfratshausen eingeführt hatte, kam genauso an wie seine flotten Sprüche. „Den Bauern, die warteten, bis ihre Bulldogs repariert waren, habe ich gesagt: Probiert’s es, wenn’s nicht schmeckt, braucht ihr nicht zu zahlen. Man weiß ja, was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“, erzählt Reischl mit schelmischem Grinsen. „Heute kommen deren Enkel zum Essen her.“
Bratwurst-Tscharlie in Wolfratshausen: Sogar Mitarbeiter von Scotland Yard aßen bei ihm
Landräte, Bürgermeister und Altbürgermeister, Stadt- und Gemeinderäte, Schauspieler, Lkw-Fahrer aus aller Herren Länder, Fallschirmjäger aus Irland, Mitarbeiter von Scotland Yard und Kardinäle aus Rom habe er in all den Jahren als Gäste begrüßen dürfen.
Nur einer, den er zu gerne einmal bewirtet hätte, sei seinem Imbissstand bis heute ferngeblieben. „Seine Leibwächter waren öfter da, aber der Edmund Stoiber ist nie gekommen“, sagt der Bratwurst-Tscharlie und klingt ein kleines bisschen betrübt. Na, knapp vier Monate bleiben dem Wolfratshauser Ehrenbürger und ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten ja noch, um sich in die illustre Gästeschar des berühmtesten Imbisstands im Oberland einzureihen. rst