Mitten in der Schwangerschaft - „Erstmal war da nur große Leere“: Judith berichtet von Diagnose, die ihr Leben veränderte
Eine schmale Treppe führt in die Wohnung von Familie Rapp in Heumaden. Oben angekommen: Ein Sammelsurium an Kinderschuhen, Turnbeuteln, ein Trip Trapp-Hochstuhl ist an den großen Holztisch geschoben.
An den Wänden hängen Kinderzeichnungen und Gebasteltes, auf der Eckbank liegen verschiedenfarbige Kissen und ein paar Buntstifte. Julia, die 10-jährige Tochter, die gerade aus der Schule kam, ist noch ganz aufgekratzt. Oben lugt der siebenjährige Joshua durch das Geländer, das die Empore vom Wohnbereich trennt.
Micky Mouse auf dem Pullover, Drumsticks in den Händen. Kurze Zeit später hört man nur noch lautes Scheppern von oben. Joshi, wie er hier von alle genannt wird, macht den Alltag von Familie Rapp seit sieben Jahren noch ein bisschen bunter.
Eine Routineuntersuchung verändert alles
Es ist Dezember 2016, kurz vor Weihnachten, Judith Rapp und ihr Mann Joachim Rapp sind überglücklich: Die beiden erwarten ihr zweites Wunschkind – endlich ein Geschwisterchen für die damals zweijährige Julia.
Die Hälfte der Schwangerschaft ist geschafft. Eine Routineuntersuchung bei ihrem Gynäkologen steht für Judith Rapp noch an, dann beginnt die besinnliche Weihnachtszeit.
Ein paar Tage zur Ruhe kommen und vor allem das Familienglück und die Vorfreude genießen. Nicht mehr lange, dann sind sie zu viert.
Doch dann der Ultraschall, der alles veränderte. Der Gynäkologe entdeckt sogenannte Softmarker: Unter anderem weiße Punkte am Herzen des Babys in Judith Rapps Bauch. Anzeichen, die auf eine Trisomie 21 hindeuten können, aber auch auf einen Herzfehler.
Ab dem Moment bricht für das Ehepaar eine sorgenvolle Zeit an. Sie lassen sich beraten und entscheiden sich für eine weitere Untersuchung. Ein Bluttest soll Gewissheit bringen.
„Kurz danach war das erst mal nur eine große Leere“
Anfang Januar 2017 klingelt dann das Telefon und aus dem Verdacht wird Gewissheit. Die Diagnose für ihr Ungeborenes lautet: Trisomie 21, eher bekannt als Downsyndrom. „Das war ein Schockmoment“, erzählt der Familienvater, „kurz danach war da erst mal nur eine große Leere“. Seine Stimme wird leiser, brüchiger.
Judith und Joachim Rapp verbringen in den Tagen nach der Diagnose viel Zeit im Wald, gehen stundenlang spazieren und reden viel, schweigen aber auch. Wie würde es sein, ein Kind mit körperlichen und geistigen Einschränkungen groß zu ziehen? Welche Veränderungen kommen auf sie als Familie, als Paar, zu? Was bedeutet das für die zweijährige Julia? Aber auch: Warum ausgerechnet wir?
„Ein A oder B gab es für uns nie, nicht eine Sekunde“
Statistisch gesehen kommt bei etwa 600 bis 700 Geburten ein Baby mit Downsyndrom zur Welt. Etwa neun von zehn Paaren in Deutschland entscheiden sich nach der Diagnose Trisomie 21 für eine Abtreibung – so zumindest die Schätzung von Experten, belastbare Zahlen gibt es nicht.
„Ein A oder B gab es für uns nie, nicht eine Sekunde“, sagt Judith Rapp. Schon vor ihrer ersten Schwangerschaft hat sie sich mit dem Was-wäre-wenn beschäftigt.
Vor allem weil sie weiß, was ein Kind mit Downsyndrom für die Familie bedeuten kann: Auch ihr jüngerer Bruder hat die Behinderung. Somit hatte die Familie bereits viele Berührungspunkte mit dem Thema – die meisten betroffenen Eltern haben das nicht. Von tiefer Traurigkeit, Streitereien und depressiven Phasen kann man in vielen Erfahrungsberichten lesen.
Im Gespräch mit Kita-Leiterin muss Familienvater schwer schlucken
Noch vor der Geburt von Joshua versucht das Paar die wichtigsten Themen zu regeln, zum Beispiel den Kitaplatz für ihren Sohn. Eigentlich war der Plan, dass er in der gleichen Kita betreut wird, in die auch schon seine große Schwester geht. Wird das möglich sein?
Joachim Rapp sucht das Gespräch mit der Kitaleiterin: „Ich habe ihr gesagt, unser Sohn wird das Downsyndrom haben“. Der Vater schluckt schwer, als er von diesem Gespräch erzählt. Dann Stille. Es sei das erste Mal gewesen, dass er diesen Satz ausgesprochen habe. Auf einmal war Trisomie 21 nicht mehr nur eine Diagnose, sondern Realität.
Heute zaubert Aktion mit Fußballklub Joshua ein Lächeln ins Gesicht
Eins der größten Highlights der Familie kann man seit wenigen Tagen von der B10 aus betrachten. 400 Quadratmeter groß ist das Plakat, auf dem Joshua zusammen mit Fußballspielern des VfB abgebildet ist.
Um Trisomie 21 sichtbar zu machen, wurden gemeinsam mit dem Verein 46plus Plakate gedruckt und in Stuttgart und der Umgebung aufgehangen. Im Februar durfte Joshua sogar gemeinsam mit dem ersten Spieler auf das Fußballfeld laufen. Mehr als 60 000 Menschen schauten dabei zu, wie er über das ganze Gesicht strahlte.
Von Sandra Belschner
Das Original zu diesem Beitrag "„Für uns war klar, dass Joshua auf die Welt kommt“" stammt von Stuttgarter Zeitung.