„Moralische Autorität“: Papst-Kenner verrät die politische Macht des Franziskus-Nachfolgers
Nach der Beerdigung von Papst Franziskus sucht die Kirche einen Nachfolger. Doch wie politisch ist das Amt? Und wie groß die Gefahr der Einflussnahme? Ein Interview.
Vatikanstadt – Papst Franziskus galt im Vatikan als Reformer. Nach seinem Tod am Ostermontag überhäuften Politikerinnen und Politiker aus aller Welt den Pontifax mit Lob und betonten dessen Einsatz für die Ärmsten der Gesellschaft. Doch Franziskus setzte sich nicht nur für Arme und Geflüchtete ein. Auch bei großen internationalen Konflikten meldete sich das Oberhaupt der katholischen Kirche stets zu Wort. „Krieg ist immer eine Niederlage. Ich fordere noch einmal, den Irrsinn der Gewalt zu beenden und sich für einen gerechten und dauerhaften Frieden einzusetzen“, schrieb Franziskus beispielsweise auf X.
Nach Beerdigung von Papst Franziskus: Suche nach Nachfolger hat bereits begonnen
Jetzt ist Papst Franziskus mit 88 Jahren gestorben. Am Samstag (26. April) soll in Rom die Beerdigung stattfinden – mit einer langen Reihe von Staatslenkern als Gäste. Die Suche nach einem Nachfolger für das verstorbene Kirchenoberhaupt beginnt. Eine Reihe potenzieller Päpste stehen schon bereit – und ihre politischen Ansichten unterscheiden sich drastisch. Doch wie groß ist der Einfluss des Papstes auf die Politik außerhalb des Vatikans wirklich? Im Interview mit fr.de von IPPEN.MEDIA erklärte Prof. Thomas Söding, Theologe an der Ruhr-Universität Bochum und Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), welche politische Wirkkraft der Papst tatsächlich hat.
Die politische Macht des Papstes – Experte erklärt „moralische Autorität“ des Pontifex
Der Papst ist zwar auch das Staatsoberhaupt des Vatikans, besitzt aber keine eigene „politische oder ökonomische Macht“, erklärt Söding. Jedoch werde ihm eine „moralische Autorität“ zugeschrieben. Die katholische Kirche agiere dabei meist „in Analogie zu einer humanitären Organisation“. Das bedeute, dass der Papst sich beispielsweise im Ukraine-Krieg nicht auf eine Seite zu stellen versuche – um die Gespräche mit beiden Seiten weiterführen zu können.
„Das ist sehr schwer und es ist auch nicht immer gelungen“, gibt Söding zu. Als Beispiel nennt er den Vorschlag von Franziskus an die Ukraine im Frühjahr 2024, im Abwehrkampf gegen Russland eine „weiße Fahne“ zu hissen. Das hatte international für Empörung gesorgt. In der Ukraine wurden die Worte des Papstes als eine Aufforderung zur Kapitulation verstanden. Für Söding zeuge dies allerdings von der katholischen Grundidee, Kriege nicht zu entfachen, sondern davon, diese zu beenden.
Doch schon die Wahl von dem aus Argentinien stammenden Franziskus zum Papst wertet Söding als ein politisches Zeichen. „Denn hier kommt der globale Süden zu Wort.“ Damit habe sich die katholische Kirche eine neue „Weltoffenheit“ angeeignet, sagt Söding im Gespräch mit unserer Redaktion. „Selbst wenn jetzt der nächste Papst aus Italien kommt, wird er eben halt der Papst einer ganz neu aufgestellten Weltkirche sein“, erklärt der Theologe weiter.
Trump-Vize Vance nutzt die Kirche für die eigene Politik – „Gefahr“ der Aneignung?
Nach dem Tod von Franziskus meldeten sich nicht nur Vertreter der westlichen Welt zu Wort. Auch Persönlichkeiten wie Wladimir Putin lobten das Lebenswerk des Papstes. In seinem eigenen Land nutzt der russische Machthaber die russisch-orthodoxe Kirche für seinen Propagandaapparat. So rechtfertigte der Vorsitzende der Kirche in Russland, Patriarch Kirill, den brutalen Überfall auf die Ukraine als einen „Heiligen Krieg, in dem Russland und sein Volk den einzigen spirituellen Raum des Heiligen Russlands verteidigen“. Auch US-Präsident Donald Trump umgibt sich im Weißen Haus mit religiösen Größen in den USA. Vor allem Evangelikale stehen eng an der Seite des Republikaners.
Besteht die Gefahr für die katholische Kirche, unfreiwillig zum Spielball politischer Regime zu werden? „Es wird immer wieder versucht“, schätzt Söding. Man habe das „ganz klar“ bei dem Besuch des US-Vizepräsidenten JD Vance bei Papst Franziskus beobachten können. Vorher hatte Vance Augustinus‘ „Ordo Amoris“, also „Ordnung der Liebe“ zitiert, „um damit die Migrationspolitik und Remigration in den Vereinigten Staaten zu rechtfertigen“, klagt Söding. „Was natürlich kompletter Unsinn ist.“
Franziskus habe daraufhin interveniert. Doch wie soll die Kirche damit umgehen, wenn Politikerinnen und Politiker ihre unchristlichen Handlungen mit der katholischen Kirche rechtfertigen wollen? Zunächst müsse sie „aufmerksam“ sein, erklärt Söding. Die „Beschwörung des christlichen Abendlandes“ sei beispielsweise eine beliebte Floskel unter Rechtsextremen in Deutschland. Und dann müsse sie „das, was ihre Sendung ausmacht, neu buchstabieren“. Damit könne deutlich gemacht werden, dass die Kirche für ein „identitäres Denken“ nicht zur Verfügung stehe.
Nach Tod von Papst Franziskus: Müssen sich die Nachfolge Kandidaten vor politischem Einfluss schützen?
Letztlich geht es jedoch auch um die Frage, wer am Ende als Nachfolger von Franziskus die Geschäfte im Vatikan übernimmt. Und auch darum, ob die Papstwahl durch politische Einflussnahme womöglich unterwandert wird. Hier ist es laut Söding vor allem China, das ein großes Interesse daran haben könnte, Einfluss auf das Amt zu nehmen. „Das wird sicherlich versucht werden“, so der Theologe.
In China gebe es eine wachsende katholische Kirche und gleichzeitig einen „ungelösten Konflikt zwischen einer Staatskirche und einer Untergrundkirche“. Dass hier aber ein wirklicher Einfluss auf das Konklave und die Papstwahl genommen werden könne, sei recht unwahrscheinlich.

Abseits chinesischer Einflüsse gebe es allerdings noch den Kulturkampf aus den USA. Die Bischofskonferenz in den Vereinigten Staaten sei gespalten in ihrer Ablehnung und Unterstützung für Donald Trump. „Da erwarte ich, dass sich das gegenseitig neutralisieren wird“, so Söding. Zudem erwarte er, dass jeder Versuch der äußeren Einflussnahme einen gegenteiligen Effekt erzielen werde. „Weil mit den Kardinälen ein – nicht im negativen Sinne – elitäres Wahlgremium vorherrscht, glaube ich, dass solche Manöver sofort durchschaut werden.“
Viel entscheidender werde jedoch ein innerkirchlicher Prozess sein. „Ist dieser synodale Erneuerungsprozess schon weit genug gegangen oder nicht und welcher Person trauen wir dann auch das Charisma zu, dieses überwältigende Amt auszufüllen?“ Die Kirche müsse sich darüber klar werden, wo sie heute stehe.
Papst Franziskus tot: Reformer oder „weiter so“ im Vatikan? Theologe hebt wichtige Erfolge hervor
Die Vorwürfe richten sich aber auch gegen die katholische Kirche selbst. Franziskus hat es nach Meinung vieler nicht geschafft, entgegen der eigenen Ansprüche, große Reformen durchzubringen. Der Historiker Volker Reinhardt sagte im Interview mit der Zeit gar, dass es „keine einschneidenden Veränderungen“ in der Amtszeit von Papst Franziskus gegeben habe. So habe er beispielsweise zwar die Segnung Homosexueller erlaubt – jedoch keine gleichgeschlechtlichen Ehen akzeptiert.
Für Söding liegt der Grund für die langsame Modernisierung der katholischen Kirche vor allem in ihrem globalen Charakter. Weiter gebe es den „Willen, beisammen zu bleiben, die Einheit nicht aufzugeben“. So sei Sexualität für die „Liberale Welt des Nordens und Westens“ vor rund 50 Jahren noch ein Problem gewesen. Heute gehe man damit aber offen um. Im globalen Süden „und dann auch in der katholischen Kirche“ werde dies noch anders gesehen. Wolle man nun die Lehre innerhalb der Kirche ändern, müsse der Papst diese Spannungen beilegen. Bei der Größe der katholischen Kirche müsse man wohl akzeptieren, dass Veränderungen „in kleinen Schritten“ durchgeführt werden.
Dass Franziskus keine substanziellen Veränderungen durchgerungen habe, weist Söding allerdings zurück. Denn gerade in der ökologischen Frage habe er das Augenmerk „auf die gerne mal vergessenen Orte“ gelegt. Diese würden unter dem Klimawandel am stärksten leide, jedoch wenig Schuld daran tragen. „Das halte ich für ein enormes politisches Zeichen und auch ein politisches Vermächtnis.“ Außerdem habe in der Migrationspolitik einen völlig anderen Ansatz, als jede nationalistische Politik. (nhi)