Wladimir Putin und Donald Trump spielen die Europäer, auch die Deutschen, gerade auf dem Kanaldeckel aus. Man muss sich das vorstellen wie ein Straßenfußballspiel, bei dem auf der einen Seite Olaf Scholz und Annalena Baerbock stehen. Und auf der anderen Seite Messi und Ronaldo.
In der kommenden Woche treffen sich wohl Trump und Putin persönlich. Und beunruhigender Weise geht es nicht allein um die Ukraine, sondern dabei steht die Sicherheit Europas insgesamt zur Diskussion. Richtig gut sieht es nicht aus für die Europäer.
Paris bringt Deutschland und Europa in eine dramatische Situation
An diesem Montag scheiterten sie in Paris bei dem Versuch, sich darauf zu einigen, wie es in der Ukraine weitergehen soll und welche Rolle sie dabei spielen wollen. Was passierte stattdessen? They agreed to disagree. Sie konnten sich nicht einigen.
Olaf Scholz nannte die Gespräche „schwierig“, ein „Welt“-Korrespondent sprach die Wahrheit aus: „ein Desaster“. Die Lage ist dramatisch, und das auch noch wenige Tage vor der Bundestagswahl.
Roderich Kiesewetter, politischer Front-Kämpfer auf Seiten der Ukraine in der CDU, bringt es auf eine Formel, die ungemütlicher nicht sein könnte: „Jetzt wird eine Zeitenwende vollzogen – als Konsequenz unserer unterlassenen Hilfeleistung“, sagte er FOCUS online. Und die Alternative sei: „Brüssel oder Moskau?“ Wobei „Brüssel“ gleich schon auch eine Kapitulation beinhaltet. „Brüssel“ bedeutet: Europa muss sich verteidigen – ohne die Amerikaner, womöglich sogar ohne den US-Atomschutz.
Was wie ein Entgegenkommen Moskaus aussieht, ist ein Alarmsignal
Was diese Existenzgarantie überhaupt noch wert ist, wenn Trump die konventionelle Verteidigung den Europäern überlässt, die den Russen hier unterlegen sind, steht in den Sternen.
Die Trump-Administration zieht blank, nachdem schon vor zehn Jahren die Obama-Regierung damit gedroht hatte. In der Zwischenzeit haben die Europäer: nichts gemacht. Außer: einen neuen Artikel in den Europäischen Vertrag eingefügt. Und zwar an empfindlicher Stelle. Dort, wo von der Sicherheit und Verteidigung Europas die Rede ist. Und dieser Umstand wird jetzt gerade richtig wichtig.
An diesem Dienstag erklärte Putin über seinen Sprecher Dmitri Peskow, Russland habe nichts gegen einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. Was wie ein Entgegenkommen Moskaus aussieht, ist ein Alarmsignal für Brüssel und Berlin. Und zwar: wegen des Artikels 42, Absatz 7. Der geht so: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung.“
Scholz und Merz: eine Große Koalition der strategischen Zauderer
Diese 2011 in den Europavertrag eingefügte Klausel ist ein Vorgriff auf eine Europäische Verteidigungsunion. Als solcher ist er auch sinnvoll. Nur: Von einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist die Europäische Union so weit entfernt wie von hier bis zum Mond – und zurück.
Sie können sich nicht einmal darauf einigen, ob sie einen Ukraine-Frieden mit eigenen Truppen absichern wollen - sollen - können - dürfen - müssen.
In schöner Einigkeit sind der amtierende und der wohl kommende Bundeskanzler dagegen – eine Große Koalition der strategischen Zauderer. „Diese Frage stellt sich nicht“, sagt Friedrich Merz. Sie stelle sich überhaupt erst „frühestens nach einem belastbaren und dauerhaften Waffenstillstand“, sagt Scholz.
Überfällt Moskau Kiew noch einmal, ist Europa dran
Währenddessen schaffen Trump und Putin gerade Fakten. Wenn die Ukraine Mitglied der Europäischen Union werden darf, nicht aber Mitglied der Nato, dann heißt das: Für die Verteidigung der Ukraine sind künftig die Europäer zuständig, und zwar: ausschließlich die Europäer.
Damit nicht genug: Ihnen bleibt auch gar keine Wahl, als die Ukraine im Fall eines nochmaligen russischen Angriffs militärisch zu verteidigen. Denn: Der Artikel 47 des Europäischen Vertrages ist verbindlicher als der Beistands-Artikel 5 des Nato-Vertrags.
Überfällt Moskau Kiew noch einmal, dann schulden die Europäer ihrem Mitglied Ukraine sämtliche „in ihrer Macht stehende Hilfe“ – also Truppen und Waffen und Geld. Der Nato-Vertrag fasst es anders, weit weniger verbindlich. Dort steht im Beistands-Artikel 5: Jedes Mitgliedsland ist verpflichtet, einem überfallenden Mitglied jenen Beistand zu leisten, den es „für erforderlich hält“.
Im Klartext: Solidarität ist auch Solidarität, wenn sie unbewaffnet daherkommt – in Form von Lebensmitteln, Krankenhausbetten, Geld und so weiter.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr
Was das heißt: Trump ist sich mit Putin einig, dass die Europäer an der ukrainischen Brandmauer stehen, nicht die Amerikaner. Darüber mitbestimmen können die Europäer nicht mehr, denn sie haben ja unter der Führung von Ursula von der Leyen längst die Mitgliedschaft der Ukraine so schnell und so weit und so verbindlich vorangetrieben wie nur irgendwie möglich.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Mehr noch: Jetzt muss es auch noch schnell gehen – denn sonst steht die Ukraine schutzlos da. Wobei noch nicht einmal feststeht, was die Europäer da zu schützen haben. Was ist das in Zukunft – die Ukraine?
Von der Leyen sagt, die künftige Ukraine müsse unabhängig und souverän sein. Ihre „territoriale Integrität“ sei zu schützen. Aber. In welchen Grenzen? Und was wird dann wann und wie von wem gesichert?
Die Russen bekommen weitgehend, was sie wollen
Alles ist offen, nur: Die Amerikaner sind raus. Die Russen bekommen weitgehend, was sie wollen. Und die Europäer zahlen nicht nur, sondern gehen künftig auch noch ins militärische Risiko. Und das alles: ohne überhaupt einen Plan zu haben.
Was allerdings festzustehen scheint: Es wird teuer. Wie teuer, sagt niemand. Vielleicht weiß es auch niemand. Vielleicht aber doch. Und hier fängt das nächste Problem an.
Hofreiter stellt schon einmal 500 Milliarden ins Schaufenster
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hantiert – wichtig, wichtig – schon einmal mit den ganz großen Zahlen. Bemerkenswert ist dabei, dass sie keine vorsichtige politische Willensbekundung abgibt, sondern eine robuste Tatsachenbehauptung aufstellt:
„Wir werden ein großes Paket auflegen, das es in dieser Dimension noch nie gegeben hat. Ähnlich wie bei der Euro- oder der Corona-Krise gibt es jetzt ein Finanzpaket für die Sicherheit in Europa. Das wird in naher Zukunft kommen.“
Wenn das der Maßstab ist für die neue europäische Ukraine-Hilfe, reden wir über bis zu 800/1000 Milliarden Euro. Ihr grüner Parteifreund Toni Hofreiter, gleichfalls einer der treuesten Ukraine-Helfer, stellt schon einmal 500 Milliarden ins Schaufenster – für die Ukraine und eine gemeinsame Rüstung für Europa.
Wie wäre es einmal mit „Entspannungspolitik?“
Hofreiter baut auch schon einmal ein politisches Szenario aus lauter Alternativlosigkeit auf, wie man es von Grünen kennt, wenn Idealismus und die Rettung der Welt ins Spiel kommt: „Nur so können wir weiteren Krieg in Europa verhindern.“
„Nur so“ – wirklich? Darüber wird noch zu reden sein. Hier nur so viel: Wie wäre es einmal mit „Entspannungspolitik?“ Wenn Trump mit den Russen „dealen“ kann zum beiderseitigen Nutzen, weshalb nicht die Europäer?
Von der Leyen hat schon getan, was sie tun kann: Sie kündigte an, die Schuldenregeln des Maastricht-Vertrags um die nötigen Verteidigungsmittel zu entlasten. Tatsächlich geht es auch gar nicht ohne eine Abschaffung der europäischen Schuldenbremse, denn: Nur Irland, Dänemark, Tschechien und Deutschland halten die Drei-Prozent-Verschuldungsregel ein. Alle anderen Europäer liegen darüber, am schlimmsten Frankreich, mit mehr als doppelt so vielen Schulden wie erlaubt: 6,2 Prozent des Inlandsprodukts.
Brüssel als Hauptstadt einer Schuldenunion
Kein Wunder, dass Frankreichs Präsident Macron sein eigenes Problem auf die Europäer abwälzen will. Und darum dafür eintritt, dass Brüssel Staatsschulden machen darf. Das Problem ist allerdings ein grundsätzliches: Frankreich ist ein Staat, Deutschland ist ein Staat. Europa ist aber kein Staat.
Brüssel als Hauptstadt einer Schuldenunion – das war das Albtraumszenario der Deutschen bei der Gründung des Euro. Und Helmut Kohl und Theo Waigel haben hoch und heilig versprochen, dass es nie, nie so weit kommen werde.
Mit anderen Worten: Das hätte man als Wähler dann bitte doch ganz genau gewusst: Was da in der Pipeline ist. Wie viel Geld für die Ukraine ausgegeben werden soll, jetzt, wo ein Frieden vor der Tür steht.
- Wie viel Geld will die SPD ausgeben?
- Wie viel Geld will die Union ausgeben?
- Wie viel Geld wollen die Grünen ausgeben?
- Wie viel Geld will die FDP ausgeben?
- Wie viel Geld will die AfD ausgeben?
- Wie viel Geld will die Linke ausgeben?
- Wie viel Geld will das BSW ausgeben?
Es nicht zu wissen, schafft ein ziemlich großes Legitimationsproblem für alle Parteien. Demokratie basiert auf Vertrauen der Bevölkerung. Vertrauen setzt voraus, dass die Bevölkerung weiß, was auf sie zukommt – wenigstens in den Grundzügen.
Denn womöglich sind ja auch alle Wahlversprechen – bezüglich der Investitionen in Steuersenkungen, bezüglich der Ausgaben in den Sozialstaat und bezüglich der Hilfen für den Klimaschutz – einfach nur obsolet.
Weil noch für jeden Bundeskanzler galt: Die Wirklichkeit ist stärker als jeder Plan.