Selenskyj will ihn am Donnerstag treffen – jetzt gibt es 5 Putin-Szenarien

Die Zeichen stehen auf Gespräch – zumindest aus ukrainischer Sicht. Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte an, am Donnerstag in Istanbul auf Kremlchef Wladimir Putin zu warten. „Ich werde am Donnerstag auf Putin in der Türkei warten, persönlich“, schrieb er auf X. 

Ein Treffen wäre ein Novum seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor über drei Jahren. Doch ob es tatsächlich dazu kommt, ist ungewiss. 

Ukraine-Krieg: Noch schweigt Putin zum Friedensgipfel in der Türkei

Während die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten eine sofortige, bedingungslose Waffenruhe fordern, setzt Russland seine Angriffe fort. Allein in der Nacht zu Montag habe Russland über 100 Drohnen auf die Ukraine abgefeuert, so das ukrainische Militär. Und Putin? Der schweigt bislang.

Vor diesem Hintergrund bewerten Experten die Lage mit Skepsis – und skizzieren fünf denkbare Szenarien, wie Putin auf den neuen Druck reagieren könnte: 

Szenario 1: Kein Treffen, keine Reaktion – Putin demonstriert Stärke

Alexander Libman, Russland-Experte und Putin-Kenner von der Freien Universität Berlin, hält es für wahrscheinlich, dass sich an Putins Verhalten bis Donnerstag nichts ändern wird. Eine Waffenruhe sei nicht zu erwarten – auch nicht als taktisches Zugeständnis. Außerdem: „Innen- und außenpolitisch erwarte ich keine großen Änderungen im Agieren Putins.“

Vielmehr werde Putin penibel darauf bedacht sein, zu zeigen, „dass er sich dem westlichen Druck nicht beugt und nicht einfach das macht, was der Westen von ihm verlangt“, so Libman zu FOCUS online. 

Auch ein persönliches Erscheinen in Istanbul hält Libman für unwahrscheinlich: „Gerade deswegen, weil es für ihn wichtig ist, zu zeigen, dass er sich dem Druck nicht beugt.“

Auf diesem Foto telefonieren Keir Starmer (l-r), Premierminister des Vereinigten Königreichs, Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, der französische Präsident Emmanuel Macron, Donald Tusk, Ministerpräsident von Polen, und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) über ein Smartphone (auf dem Tisch) mit US-Präsident Donald Trump.
Auf diesem Foto telefonieren Keir Starmer (l-r), Premierminister des Vereinigten Königreichs, Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, der französische Präsident Emmanuel Macron, Donald Tusk, Ministerpräsident von Polen, und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) über ein Smartphone (auf dem Tisch) mit US-Präsident Donald Trump. Ukrainisches Präsidentenbüro/dpa

Szenario 2: Stellvertreter-Diplomatie – Putin schafft Symbolik und bleibt auf Distanz

Ein wahrscheinlicherer Schritt wäre, dass Moskau einen Unterhändler schickt, um gesichtswahrend Präsenz zu zeigen, ohne echte Zugeständnisse zu machen. Der Schweizer Militärexperte Albert Stahel sieht dies als naheliegend, da „ein direktes Treffen aufgrund der Machtverhältnisse im Kreml kaum stattfinden dürfte 

In diesem Fall bliebe es bei Symbolik – ohne konkrete Ergebnisse. Und „Putin dürfte nach wie vor das Ziel verfolgen, die Ukraine zu zerstören und einzunehmen“, so Stahel zu FOCUS online.

Szenario 3: Spaltungsmanöver statt Lösung – Putin verfolgt altbekannte Taktik 

Putin könnte das Treffen taktisch nutzen, um den Eindruck von Verhandlungsbereitschaft zu erzeugen – ohne tatsächlich zu handeln. Das Ziel: den Westen weiter spalten. Denn bereits mit seinem Angebot, mit der Ukraine zu verhandeln, aber mit keinem Wort eine Waffenruhe zu erwähnen, hat der Kreml-Chef gezeigt, welche Strategie er verfolgt.

„Putins Manöver zielt darauf ab, Zeit zu gewinnen und einen Keil zwischen Trump und die europäischen Staatschefs zu treiben“, analysiert Stahel. Auch Militärexperte Carlo Masala kommt zu diesem Schluss und warnt vor dieser Taktik: „Der Vorschlag direkter Verhandlungen, ohne auf den Waffenstillstand einzugehen, soll Sanktionen verhindern und Spaltung säen.“ 

Eine Scheinverhandlung in der Türkei, etwa durch Unterhändler Putins, während auf dem Schlachtfeld weiter eskaliert wird – das sei „die alte Brotkrumentaktik“, so Masala auf X.

Stahel sieht bereits erste Erfolge dieser Kreml-Taktik: „Auf Druck von Trump hat sich Selenskyj bereit erklärt, Putin in Istanbul zu treffen“ - auch ohne Waffenruhe, wie das US-Nachrichtenportals "Axios" am Montag berichtet. 

Szenario 4: Begrenzt taktisches Einlenken – Trump erhöht Druck auf Putin

Sollte aus Washington massiver Druck kommen – etwa durch Donald Trump –, könnte Putin kurzfristig ein begrenztes Zugeständnis machen. Libman hält das zumindest für denkbar und betont: „Putin interessiert nur die Position der USA – Europa spielt für ihn keine Rolle.“ 

Es könne zudem sein, dass die EU bis Donnerstag noch ein Sanktionspaket beschließt, meint Libman weiter. „Doch ohne Unterstützung der USA wird es kaum politisch, und sehr wahrscheinlich auch kaum wirtschaftlich, einen Einfluss auf Russland ausüben“, sagt der Experte.

Heißt: Je stärker Trump Druck ausübt, desto eher könnte Putin sich bewegen.

Szenario 5: Das unwahrscheinlichste Szenario – Putin erscheint persönlich

Ein direktes Treffen mit Selenskyj wäre ein dramatischer Schritt – und derzeit kaum vorstellbar. Dennoch: Libman kann es „nicht komplett ausschließen, dass er es doch tut“. Vieles hänge von den kaum transparenten Dynamiken zwischen dem Kreml und der Trump-Administration ab, sagt Libman. 

Am Ende würde ein persönliches Erscheinen Putins Kalkül, sich unangreifbar zu inszenieren, untergraben – und ist daher kaum wahrscheinlich.

Die Folgen: Was passiert, wenn Putin dem Druck nicht nachgibt?

Wenn Putin das Ultimatum des Westens ignoriert und bis Donnerstag weder echte Verhandlungsbereitschaft zeigt noch einen Waffenstillstand erklärt, droht eine neue Eskalationsstufe. Die von Bundeskanzler Friedrich Merz und Partnern angekündigten Sanktionen würden greifen – auch die militärische Unterstützung für die Ukraine dürfte zunehmen.

Kommt es dazu, dass Putin dem Westen weiter die kalte Schulter zeigt, dann stellen sich neue Fragen: Wie lange macht Donald Trump und damit die USA das Kreml-Spielchen noch mit? Und welche Reaktion folgt daraus?

Auch Masala wertet diese Frage eine entscheidende Bedeutung zu: „Schert Trump jetzt aus der vereinbarten US-Europa-Linie aus oder bleibt er dabei?“ 

Stahel glaubt, Trump könnte militärisch in Form von Waffenlieferungen reagieren, sollte Putin weiter Spielchen spielen: „Am Ende wird es beim Ultimatum der Westeuropäer bleiben: sofortiger Waffenstillstand, auf den aber Putin kaum eingehen wird. In diesem Fall wird er mit weiteren Waffenlieferungen seitens Trump rechnen müssen. Dieser müsste eigentlich langsam einsehen, dass er Putin nur als Clown dient.“