Bürgergeld und Rente mit 63: „Ungerechte“ Sozialpolitik gefährdet Wohlstand
Der Präsident des Bunds Katholischer Unternehmer, Martin Nebeling, fordert eine Anpassung der Sozialpolitik im Land. Seine Kritik richtet sich insbesondere gegen die SPD.
Berlin – Wie die Zukunft der Sozialpolitik im Land aussehen sollte, darüber wird gerade sehr viel öffentlich diskutiert. Hauptauslöser für die anhaltenden Debatten sind die schwache Konjunktur und der demografische Wandel, die den Arbeitsmarkt gerade auf harte Proben stellen. So halten viele Menschen im Land das Bürgergeld für Arbeitslose für zu hoch, da es die Anreize zum Arbeiten absenke – und Arbeitskräfte werden gerade überall händeringend gesucht. Dass das Bürgergeld den Arbeitsanreiz senkt, stimmt laut Untersuchungen führender Wirtschaftsinstitute zwar nicht; doch an der Debatte hat das bisher wenig geändert.
Gleichzeitig gehen immer mehr Menschen hierzulande langsam in Rente, was die Rentenkasse zu belasten droht und den Fachkräftemangel anheizt. Vor allem Arbeitgeber und arbeitgebernahe Parteien fordern daher auch ein späteres Renteneintrittsalter. Alles in allem also nach der Devise: Wir müssen mehr arbeiten.
Bürgergeld oder Spargel stechen: BKU-Chef fordert mehr Gerechtigkeit
Dieser gängigen Meinung schließt sich nun auch der Präsident des Bundesverbands Katholischer Unternehmer (BKU), Martin Nebeling, an. Im Interview mit focus.de sagt er: „Wir brauchen kein Bürgergeld, das die Leute dazu motiviert, sich zu überlegen, ob es schöner ist, Bürgergeld zu beziehen, als zum Beispiel Spargel zu stechen.“ Menschen, die sich gerade in einer Krise befinden, müsste man immer helfen.
Doch sei dieser Zustand „in der Regel zeitlich überschaubar“. Sobald die persönliche Krise endet, müsse sich jede und jeder wieder fragen, was sie dem Land beitragen können. „Wer das nicht verlangt, betont die Solidarität viel zu sehr. So verstehen wir katholischen Unternehmer sie nicht.“
Kritik am Bürgergeld: Steuerzahler finden das „ungerecht“
Das Bürgergeld in seiner aktuellen Form und Höhe wird nach Ansicht von Nebeling deshalb so viel kritisiert, weil Steuerzahler wissen wollen, wofür ihr Geld ausgegeben wird. „Wer dann sieht, dass ihm systematisch Geld abgenommen und so investiert wird, dass andere nicht angehalten werden, für sich selbst zu sorgen, findet das ungerecht.“
Dass dies in der Realität passiert – also dass Menschen die Aufnahme einer Arbeit verweigern – dafür gibt es keine wirklichen Beweise. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat keine genaue Statistik darüber, wie viele Menschen als „Totalverweigerer“ gelten; sie erfasst aber schon, wer sich Maßnahmen verweigert oder Arbeit oder Ausbildungen nicht aufnimmt oder abbricht. Davon hat es im Jahr 2023 insgesamt rund 14.000 Fälle gegeben. Dabei können mehrere „Fälle“ auf einen Menschen zutreffen. Das macht maximal zwei Prozent der Bürgergeldempfänger aus, wenn überhaupt.

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Trotzdem hält sich der Mythos der „Totalverweigerer“ standhaft, weshalb die Bundesregierung auch verschärfte Sanktionen gegen sie beschlossen hat. Wer sich weigert, einer Arbeit nachzugehen, dem kann die Leistung für maximal zwei Monate gekürzt werden.
Immer mehr Menschen gehen in Rente: „Verschließen die Augen vor der Realität“
Damit allein wird das Fachkräfteproblem hierzulande nicht in Griff bekommen zu sein. 14.000 Menschen mehr oder weniger, das ist in einer Volkswirtschaft wie Deutschland nicht ausschlaggebend. Aus diesem Grund wird auch vermehrt über die längere Lebensarbeitszeit gesprochen, also: eine Anpassung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. „Bei der Lebensarbeitszeit und der Rente verschließen wir die Augen vor der Realität“, sagt auch Martin Nebeling zu focus.de.
„Mein Vater ist 94 Jahre alt, er ist beinahe so lange in Rente, wie er gearbeitet hat. Das heißt: Um Menschen wie ihn zu finanzieren, müssen wir länger arbeiten. Außerdem gilt oft: Wer länger arbeitet, bleibt länger fit. Es kann nicht in unserem Interesse sein, früh in den Ruhestand zu gehen.“
Menschen wollen früher in Rente: Politik muss Anreize für längeres Arbeiten fördern
Diese Einschätzung teilt auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Einer neuen Untersuchung zufolge wollen die Menschen in Deutschland über alle Alterskohorten hinweg weniger arbeiten, was den Wohlstand gefährde. Deshalb müsse die Politik längere Arbeitszeiten durch Anreize fördern. Die Zahlen des IW aus dem Jahr 2021 zeigen, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 40 Jahren mit rund 32 Stunden weniger Arbeitszeit wünschen als die jüngeren Gruppen. Der Schnitt der unter 25-Jährigen lag den Angaben zufolge bei 35 Stunden, Arbeitende zwischen 26 und 40 Jahren wollten 2021 knapp 34 Stunden arbeiten.
„Das ist problematisch, denn Deutschland altert enorm“, erklärte das IW. In den nächsten Jahren erreichten deutlich mehr Menschen das Rentenalter, als Jüngere nachrücken. Es sei fraglich, ob ausländische Arbeitskräfte diese Lücke schließen könnten. „Diese Entwicklung gefährdet unseren Wohlstand. Deutschland kann es sich nicht leisten, die Arbeitszeit zu verkürzen“, mahnte Holger Schäfer vom IW. Stattdessen müssten die Menschen eher ein bis zwei Stunden die Woche mehr arbeiten. „Hier ist die Politik gefragt: Sie muss dringend Anreize und Rahmenbedingungen schaffen, um längere Arbeitszeiten zu fördern“, forderte Schäfer. Das gilt auch für die Arbeit über das Renteneintrittsalter hinaus.
Mit Material von AFP