„Mehr Arbeit lohnt sich nicht unbedingt“ – ifo-Institut mahnt zur Gerechtigkeit

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Das Bürgergeld ist einmal mehr Streitpunkt in Medien und Politik. Ökonomen geben jetzt an, dass sich Mehrarbeit tatsächlich in einigen Fällen nicht lohne. Das sei zu beheben.

München – Aktuell treibt die CDU die Debatte ums Bürgergeld an. Erst vor ein paar Tagen schlug die Partei vor, Arbeitsverweigerern strikt die Zahlungen zu verweigern – permanent. Einen ähnlichen Vorschlag hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bereits im Januar gemacht. Einer der Kritikpunkte am Bürgergeld ist, dass sich die Arbeit in Deutschland nicht mehr lohne, solange es existiere. Ökonomen des Münchner ifo-Instituts stimmen dem nun zu – in bestimmten Situationen.

ifo-Institut warnt – „Mehr Arbeit lohnt sich nicht unbedingt“

Ein neues Gutachten, miterstellt vom Münchner ifo-Institut, zeigt den Kern dieses Problems. „Mehr Arbeit lohnt sich nicht unbedingt gegenüber weniger Arbeit“, erklärte der Berliner Ökonom Ronnie Schöb gegenüber der Tagesschau. Ein Beispiel dafür, wie das in der Praxis aussieht, bieten die sogenannten Aufstocker. Dabei handelt es sich um Erwerbstätige, die wegen der Höhe des Einkommens und wegen verschiedener persönlicher Lebensumstände trotzdem Bürger- oder Wohngeld kassieren, oder – im Falle von Eltern – den Kinderzuschlag.

Hubertus Heil stellt das Rentenpaket bei einer Pressekonferenz vor. Er steht am Rendnerpult.
Arbeitsminister Hubertus Heil bei der Vorstellung des Rentenpakets (Symbolfoto). Heil hatte bereits schärfere Sanktionen für Arbeitsverweigerer ins Spiel gebracht. © Jürgen Heinrich/Imago

All diese Leistungen kommen teils von unterschiedlichen Behörden, die jeweiligen Regeln sind entweder gar nicht oder nur schlecht aufeinander abgestimmt. Problematisch wird das genau dann, wenn ein höherer Verdienst durch den Verlust staatlicher Hilfen „aufgefressen“ würde. In dem Fall sprechen Ökonomen von einer „Transferentzugsrate“ von 100 Prozent.

Ein Beispiel dafür: Eine Alleinerziehende, die im Monat 1.000 Euro verdient, überlegt sich, 50 Prozent mehr zu arbeiten. Damit würde ihr Einkommen auf 1.500 Euro steigen, aber dafür entfallen Sozialleistungen in Höhe von mehr als 400 Euro. Am Ende bleibt ihr ein Plus von 84 Euro – so rechnet es Pascal Kober vor, der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der FDP.

Wann ist Nichtarbeiten attraktiver als Jobsuche?

Genau das kritisieren verschiedene Akteure aus Politik und Wirtschaft immer wieder. So hatte zum Beispiel Carsten Linnemann (CDU) gegenüber dem Focus gesagt, dass das Nichtarbeiten durch das Bürgergeld „deutlich attraktiver“ sei. Zustimmung erhielt der CDU-Politiker vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Die Grenzen zwischen Bürgergeld und regulärer Arbeit würden verschwimmen, warnte Hans Peter Wollseifer, vormals Präsident des Verbands.

Bereits in einer Untersuchung vom Januar stellte das ifo-Institut fest: Eine Reform müsse her. Eine solche halte es „aufgrund der teilweise äußerst geringen Anreize zur Ausweitung bestehender Erwerbstätigkeit“ für „notwendig“. Entsprechende Vorschläge lägen bereits vor. In demselben Bericht befürwortete das ifo-Institut eine „weitergehende Reform“, die das System „stärker“ umstellen würde. Auch das Gesamtsystem aus Grundsicherung, Sozialversicherung und direkter Besteuerung brauche ein Update.

Ampel plant Bürgergeld-Reform

Laut der SPD-Sozialpolitikerin Annika Klose ist es durchaus verständlich, warum Beispielrechnungen wie die oben Menschen demotivieren. „Ich kann gut verstehen, dass das auch ans Gerechtigkeitsempfinden stößt, wenn die Menschen sagen: Ich arbeite hier jetzt mehr Stunden – warum soll ich nicht mehr auf dem Konto haben am Ende?“

Allerdings kommt es hierbei immer auf den Einzelfall an. Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) für den ARD-Magazin-Monitor ergaben, dass auch die Einkommen von Erwerbstätigen mit Mindestlohn höher sind als das Bürgergeld. Alleinstehende, die in Vollzeit Mindestlohn erhalten, bekommen im Monat 532 Euro mehr, bei Familien mit drei Kindern und Mindestlohn beträgt das Plus gegenüber den Bürgergeldempfängern zwischen 429 und 771 Euro. Allerdings handelt es sich auch dabei teilweise um Aufstocker – also Arbeitnehmer, die auch noch Ansprüche auf Hilfszahlungen wie das Wohngeld oder einen Kinderzuschlag haben.

Derzeit sucht die Ampel-Koalition nach Lösungen und Reformansätzen. Ein Ressortkreis wertet aktuelle Forschung aus, der FDP-Politiker Kober will Ergebnisse sehen. Annika Klose von der SPD will ebenfalls eine Reform durchsetzen und dabei sowohl das Bürgergeld und das Wohngeld als auch den Kinderzuschlag und die Kindergrundsicherung unter die Lupe nehmen. „Daran zu arbeiten, dass sich das Arbeiten lohnt, ist auf jeden Fall der Weg, den ich unterstütze, sagte Klose dazu. 

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