Wie aus einem Kriegsgefangenen Familie wurde
Im 2. Weltkrieg wurde ein französischer Kriegsgefangener als Helfer einem Bauernhof in Gelting zugeteilt. Schnell wurde er Teil der Familie. Man aß aus einem Topf und arbeitete gemeinsam. Die Freundschaft hielt ein ganzes Leben.
Pliening-Gelting - Die Worte blieben unausgesprochen in jenen Jahren, die Gedanken verborgen hinter verschlossenen Türen: Wer es im Zweiten Weltkrieg wagte, offen gegen das NS-Regime zu sprechen, riskierte Repressionen oder gar das eigene Leben. Doch in den stillen Winkeln des Alltags lebten Menschen, die an ihren Überzeugungen festhielten und weiter nach ihrem Gewissen lebten. Menschen wie die Wachingers aus Unterspann bei Gelting, Gemeinde Pliening. Tief verwurzelt im christlichen Glauben schenkten sie auf ihrem Bauernhof einem Kriegsgefangenen Würde und Menschlichkeit. Dafür ernteten sie eine lebenslange Freundschaft.
„Das waren alle keine Nazis bei uns“
Viele Reportagen und Berichte zum 80. Jahrestag des Kriegsendes werfen den Blick auf Mörder und Mitläufer in den dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte. „Dabei sah es bei ganz vielen ganz anders aus“, sagt Balthasar Wachinger (72) und erzählt von der Familie seines Vaters. „Das waren alles keine Nazis bei uns“, sagt er. Seine Großeltern hätten den Vater als Kind nicht einmal zur Hitlerjugend geschickt und damit eine drohende Bestrafung in Kauf genommen.
Fünf Söhne ziehen in den Krieg, nur zwei kehren heim
Die Wachingers waren eine große Familie – der Großvater, ein Veteran aus dem Ersten Weltkrieg, seine Frau, sieben Buben und zwei Mädels. Fünf Söhne zogen in den Krieg, auch Balthasar, der 1920 geborene Zweitälteste. Wiedergekehrt sind nur zwei von ihnen. Eine Familienbiografie, wie sie viele durchleben mussten. Doch trotz der Schicksalsschläge wurden die Bauersleute nicht verbittert, fanden Kraft in ihrem tiefen Glauben.
Christliche Nächstenliebe ist höchstes Gut
Dieser war es wohl, der sie in unbedingter Nächstenliebe leben ließ. Auch, als ihrem Hof ein französischer Kriegsgefangener als Arbeitskraft zugeteilt wurde, ein junger Monsieur Guerin, den alle nur Franz nannten. Er war ebenfalls ein strenger Katholik, wurde später Pfarrer. „Damit hatte er beim Großvater ein gutes Spiel, und man fand andere Themen als den Krieg“, erzählt Balthasars jüngster Bruder Anton Wachinger (60).
Evakuierte aus dem Rheinland, Flüchtlinge aus dem Sudetenland
Franz gehörte von da an einfach dazu. „Man hat gemeinsam aus einem Topf gegessen und gemeinsam auf dem Feld gearbeitet. So war das damals“, berichtet er von den Erzählungen des Vaters. Und so lief es auch, als später eine evakuierte Familie aus dem Rheinland am Hof einquartiert wurde, und kurz darauf auch noch Flüchtlinge aus dem Sudetenland.
Man hat gemeinsam aus einem Topf gegessen und gemeinsam auf dem Feld gearbeitet.
Als 1945 die Amerikaner kamen, beteuerte Franz, der Kriegsgefangene, die Wachingers seien eine gute Familie. Die Besatzer waren zufrieden und ließen sie in Ruhe, erzählt Balthasar Wachinger.

1948 heiratete dessen Vater Balthasar Wachinger seine Katharina und übernahm mit ihr den elterlichen Hof. Da war der Franz schon längst ein enger Freund der Familie geworden. Nur zwei Jahre nach Kriegsende kehrte er das erste Mal zurück nach Unterspann, viele Besuche sollten in den nächsten Jahrzehnten folgen.
Kommunikation mit Hand, Fuß und Geduld
Niemand in der Familie kann mehr als ein paar Brocken Französisch. Trotzdem klappte es mit der Kommunikation irgendwie. „Wir haben genauso geredet wie sonst auch, ihm halt gezeigt, was wir meinten, und dann das Wort dazu gesagt. Das hat schon gepasst“, erinnert sich Katharina Wachinger, die mit 100 Jahren noch immer im Kreise ihrer Familie am Vier-Generationen-Hof lebt. Und was nicht gesagt wurde, das musste eben auch nicht gesagt werden.
Gegenbesuch in der Gegend um Nantes
Manchmal brachte der Franz, mittlerweile Priester, junge Leute mit, Studenten. Die zelteten dann im Garten. Einer, ein Monsieur Terrier, der in Unterspann ebenfalls Franz gerufen wurde, kam auch auf eigene Faust immer wieder. Und auch zum Gegenbesuch machten sich Balthasar und Katharina Wachinger einmal auf, mit dem Zug nach Paris und von dort weiter bis in die Gegend von Nantes.

Katharina Wachinger greift zu einem Foto. Es ist eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von „Franz“ Guerin aus dem Jahr 1947. „Mei, wenn der noch leben würde, dann wäre er schon lange wiedergekommen“, sagt sie. Irgendwann ist die Verbindung abgerissen, Monsieur Guerin ist in den 1970er Jahren verstorben, und „der andere Franz war ein Junggeselle“, sagt Balthasar Wachinger. Drum sei es mit der Familienfreundschaft leider nicht weitergegangen. Aber die Landwirtsfamilie erlebte viele Jahrzehnte lang eine ganz besondere Freundschaft, ohne große Worte, aber mit Haltung und Menschlichkeit.