Als Leiter einer Fachklinik für operative Lymphologie lerne ich jeden Tag Lipödem-Patientinnen kennen. Ich begleite sie von der Diagnose bis zur Liposuktion und auf ihrem Weg in ein schmerzfreies Leben.
Was mir dabei immer wieder auffällt: Jede einzelne ihrer Geschichten ist bewegend. Oft folgen sie aber einem ähnlichen, sehr von Leid und Schmerzen geprägten Weg. Ein Beispiel für die Herausforderungen, die viele Betroffene erleben, ist die Geschichte von Julia, einer unserer Patientinnen.
Ihr Fall ist typisch für Lipödem-Patientinnen: erste Anzeichen in der Pubertät, eine lange Suche nach der richtigen Diagnose, ständige Schmerzen und der Kampf mit medizinischen wie gesellschaftlichen Stigmatisierungen.
Dr. med. David Christel ist Spezialist für Lipödemchirurgie und Bodycontouring. Mit präziser Diagnostik und viel Erfahrung verhilft er Patientinnen zu neuer Lebensqualität und einem gestärkten Körpergefühl. Er ist Teil unseres EXPERTS Circles. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Erste Symptome in der Pubertät
Schon als Teenager bemerkte Julia Veränderungen: Während Freundinnen gleichmäßig weibliche Rundungen entwickelten, wurde bei ihr vor allem der Unterkörper kräftiger. In ihrer Familie hieß es oft: „Wir haben halt so eine Figur.“ Auch Mutter und Schwester waren betroffen und hielten es lange für Adipositas.
Ernährung, Fitness und Krafttraining brachten zwar Stärke, änderten aber nichts am Körperbild. „Das Stemmen von 100-Kilo-Gewichten konnte nichts an meiner Figur ändern“, erinnerte sie sich. Dass es sich um eine fortschreitende Fettgewebsverteilungsstörung handelte, war ihr damals nicht bewusst.
Späte Diagnose
Erst 2021, mit Mitte 20, bekam Julia die Diagnose Lipödem. Ein Ganzkörperfoto zeigte deutlich, dass auch die Arme an Volumen zulegten, und selbst leichte Berührungen waren schmerzhaft. Ein Gefäßchirurg stufte sie zunächst auf Stadium 2 ein, doch weitere Untersuchungen bestätigten bereits Stadium 3.
Therapie und Kampf mit der Krankenkasse
Nach der Diagnose begann Julia sofort die Therapie. Parallel musste sie jedoch mit der Krankenkasse streiten, die die Kostenübernahme verweigerte – trotz klarer Kriterien und ärztlicher Einstufung.
Julia erfüllte alle Vorgaben: Ernährungsprogramme, Tragen von Flachstrick-Kompressionskleidung, konsequente Therapie. Zwar linderten die Strümpfe die Beschwerden, doch vor allem im Sommer verursachten sie Entzündungen und Kreislaufprobleme. Hinzu kamen Schmerzen und Bänderrisse durch die Last des eigenen Gewichts.
Operation als Ausweg
Das Lipödem schränkte Julia nicht nur körperlich, sondern auch sozial ein: Wandern, der Stadtbummel oder ihr Lieblingssport Kanufahren wurden unmöglich. Trotz Unterstützung im Umfeld wollte sie ein selbstbestimmtes Leben führen, frei von Schmerzen und Einschränkungen.
Besonders ihr Beruf als Erzieherin machte ihr zu schaffen: Kinder zu heben, erforderte Kraft und Ausdauer, die sie kaum noch aufbringen konnte. In der Probezeit verlor sie ihre Stelle, später fand sie Arbeit in der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe. Doch selbst das Treppensteigen ins Büro im vierten Stock stellte sie vor große Herausforderungen. Immer wieder fragte sie sich: „Wie lange kann ich so noch weitermachen?“
Um ihre Lebensqualität zurückzugewinnen, entschied sich Julia für eine Operation. Ihre Beweggründe dafür waren: „einerseits die körperliche Veränderung, die sich einfach nicht stoppen ließ, und die Schmerzen, die nicht weniger wurden. Aber auch andere Einschnitte im Beruf und im privaten Bereich haben mich belastet – auch wenn meine Familie und meine Freunde sehr einfühlsam und verständnisvoll mit mir umgegangen sind.“ Zunächst ließ sie ihre Arme behandeln, Eingriffe an den Beinen folgten.
Mehr Lebensqualität durch OP
Die Operationen brachten eine spürbare Entlastung: Die Schmerzen in den Armen verschwanden, Heben und Halten fielen leichter, selbst Umarmungen taten nicht mehr weh. Auch die Schmerzen in den Beinen verschwanden durch die drei Liposuktionen der Extremitäten am Unterkörper, die auf die Arm-OP folgten.
Für Julia bedeuteten die Operationen einen enormen Gewinn an Lebensqualität und die Zuversicht, mit neuen Kräften in die Zukunft zu gehen. „Ich wollte mein Leben nicht von der Krankheit bestimmen lassen, sondern es selbst in die Hand nehmen und positiv in eine Zukunft mit weniger Schmerzen und mehr Beweglichkeit blicken“, berichtete sie.
Hoffnung und Ausblick
Geschichten wie die von Julia machen deutlich, wie wichtig Aufklärung über diese noch vielfach verkannte Erkrankung ist. Darüber hinaus ist es unumgänglich, dass das Lipödem mehr erforscht und medizinisch sehr ernst genommen wird.
Hoffnung macht nun die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses die Kosten für die Operationen auch in Stadium I und II der Erkrankung ab 2026 zu übernehmen. Allerdings wird die neue Regelung an viele Auflagen gebunden sein, die eine Kostenübernahme nicht in jedem Fall selbstverständlich machen.