Corona-Pandemie: Kritik an der Kommunikation von einem Wissenschaftler
Der Holzkirchner Wissenschaftler Marc-Denis Weitze macht in seinem neuen Buch auf Kommunikationsfehler während der Corona-Pandemie aufmerksam.
Holzkirchen – Bald jährt sich das offizielle Ende der Corona-Pandemie zum ersten Mal. Der Holzkirchner Marc-Denis Weitze (57) hat sich in seinem Buch „Corona-Kommunikation – Eine Krise in Wissenschaft, Politik und Medien“ mit den Mechanismen befasst, die die Kommunikation in der Pandemie prägten. Der promovierte Chemiker ist Privatdozent am Lehrstuhl für Wissenschaftskommunikation der TU München und Leiter des Bereichs Kommunikation und Gesellschaft der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) in München.
Herr Dr. Weitze, man hat den Eindruck, dass Proteste seit der Pandemie radikaler ablaufen. Die Klima-Kleber zum Beispiel oder aktuell der Bauernprotest. Hat sich die Kommunikationskultur durch die Pandemie geändert?
Ich bin kein Gesellschaftswissenschaftler, und man müsste diesen Eindruck empirisch untersuchen, um zu wissen, ob es wirklich so ist. Aber den Eindruck habe ich auch. Ich glaube aber nicht, dass es an Corona liegt. Die Kommunikation in der Pandemie ist nur ein Symptom. Spielen die sogenannten sozialen Medien bei der Radikalisierung eine Rolle? Hat es damit zu tun, dass viele glauben, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu dürfen? Brauchen Talk Shows extreme Meinungen zur Erhöhung der Einschaltquote? Wobei – im Vorfeld der Bauern-Proteste wurde so viel Alarm geschlagen, aber letztlich ist es doch ganz gesittet gelaufen.
Sie gehen in Ihrem Buch der Frage nach, wie Wissenschaftler in der Corona-Pandemie kommuniziert haben und wie die Standpunkte der Wissenschaft von der Politik, den Medien und anderen Institutionen kommuniziert wurden. Warum interessiert Sie das?
Es fing mit einem Unwohlsein an. Mitte 2020 dachte ich: Irgendwie ist das komisch. Man hört im Wesentlichen eine Meinung, und zwar die Regierungsmeinung, unterstützt von Medien und Wissenschaft. Abweichende Meinungen waren kaum zu hören oder wurden an den Rand gedrängt. Ich habe darüber mit Kollegen gesprochen, die zunächst meinten: Ist doch okay in einer Krise, man muss den Leuten schließlich sagen, wie sie sich verhalten sollen. Aber es widerspricht den Regeln der Wissenschaft.
Welche Regeln sind das?
Wissenschaften befassen sich mit komplexen Fragestellungen. Man hat nie sofort die richtige Methode an der Hand, sondern nähert sich zunächst mit verschiedenen Methoden und aus verschiedenen Richtungen einem Problem. Es herrscht ein Wettstreit verschiedener Ansätze. Albert Einstein hat gesagt: „Wenn Du ein wirklicher Wissenschaftler werden willst, denke wenigstens eine halbe Stunde am Tag das Gegenteil von dem, was deine Kollegen denken.“ Wissenschaft und deren Kommunikation sollten sich durch Pluralität, Dialog und Transparenz auszeichnen.
Was bedeutet das?
Meine news
Pluralität bedeutet, dass die verschiedenen Wissensbestände auf den Tisch gelegt werden. Dialog bedeutet etwa, dass bei politischen Entscheidungen die Gepflogenheiten der Demokratie eingehalten werden. Dazu gehört das Gespräch mit verschiedenen Interessensgruppen und das Ringen um eine Lösung, die von allen getragen werden kann. Bei Themen wie Corona oder auch Klimawandel und Atomenergie kann die Wissenschaft Optionen liefern. Aber es ist Sache der Politik, zu entscheiden. Mit Transparenz ist gemeint, offen zu legen, wie man zu den Erkenntnissen gekommen ist, die verbreitet werden.
Und das hat in der Pandemie nicht gut funktioniert?
Das Material, das ich dazu gesammelt habe, enthält tatsächlich viele negative Beispiele aus Wissenschaft, Politik und Journalismus. Es ist eine Sammlung von Problemfällen. So wurde zum Beispiel die Sachverständigenkommission zur Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen, die unter anderem mit der Soziologin Jutta Allmendinger prominent besetzt war, von vorn herein zerrissen. Ganze Demonstrationen wurden diskreditiert, indem man gesagt hat: Da beteiligen sich Rechtsextreme. Dabei sind Demonstrationen in der Demokratie total wichtig.
Wie sollte Wissenschaftskommunikation bei künftigen Pandemien idealerweise ablaufen?
Die Wissenschaft sollte klar machen: Was wissen wir? Und wo sind wir unsicher? In den Wissenschaftsdiskussionen sollte deutlich werden, was sicher, was wahrscheinlich, was möglich und was absurd ist. Mit Blick auf Corona hätte man sagen sollen: Natürlich sind Impfrisiken möglich. Aber, dass einem Roboter von Bill Gates in die Blutbahn gesetzt werden, das ist absurd. Unsicherheit zugeben, das ist das Schlagwort. Das ist in der Corona-Pandemie nicht immer passiert.
Woran lag das?
Das hat verschiedene Ursachen. Wurde Wissenschaft in die Rolle des Faktenlieferanten gedrängt? Ging es um Konkurrenz zwischen Wissenschaftlern? Darum, wer welche Forschungsgelder bekommt? Im Bereich der Medien wurden Redaktionen schon vor Corona personell ausgedünnt. Das dürfte mit ein Grund sein, warum etwa in manchen Redaktionen Pressemitteilungen ohne Einordnung abgedruckt wurden.
Unser Holzkirchen-Newsletter informiert Sie regelmäßig über alle wichtigen Geschichten aus Ihrer Region. Melden Sie sich hier an.