Pflegekraft berichtet: Bei der Arbeit bleibt kaum Zeit, einer Sterbenden zuzuhören

Ich bin Pflegekraft. Und immer wieder aufs Neue stellt mich mein Arbeitsalltag vor neue Herausforderungen: Wie kann ich meine Aufgaben so strukturieren, damit ich meinen Bewohnern gerecht werde? Wie stelle ich sicher, dass sie die Pflege erhalten, die sie auch verdienen und für die sie natürlich auch bezahlen? All diese Fragen und Zweifel erleben viele Pflegekräfte täglich.

Simone Maier ist Pflegedienstleitung, Prokuristin und stellv. Geschäftsführerin der Seniorenresidenz Neustift in Passau. Mit langjähriger Praxis und Führungserfahrung setzt sie Maßstäbe in moderner Pflege. Sie ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen ihre persönliche Auffassung auf Basis ihrer individuellen Expertise dar.

Bereits zu Schichtbeginn unterbesetzt – in der Pflege keine Seltenheit

Oft geht es schon morgens zu Schichtbeginn, bei der Übergabe los. Kaum ist man im Stationszimmer angekommen, klingelt die Rufglocke. Zeitgleich läutet das Telefon und es klopft an der Tür: "Schwester, ich brauche Hilfe." Dann hört man ein schnelles "Ich bin gleich bei Ihnen". Vorher sind aber noch einige andere Bewohner zu versorgen. Zudem hat sich mal wieder ein Kollege mal krank gemeldet – und das bedeutet, wie so oft, unterbesetzt zu arbeiten.

Die Zeiten, in denen man als Pflegekraft Zeit hatte für die Bewohner, sich bei der Grundpflege morgens zu unterhalten, oder auch auf dem Flur mal ein kleines Pläuschchen zu halten, die sind längst vorbei. Leider heißt es heute nur noch schnell, schnell. Die Gedanken kreisen nur noch darum, wie man zu Schichtende alle Bewohner einigermaßen versorgen kann und allem gerecht wird. 

Stress und schlechte Laune: Viele Pflegekräfte sind am Limit

Dadurch entsteht ein Teufelskreis: Die Pflegekräfte sind nur noch gehetzt, haben keinen Spaß und keine Freude mehr an ihrer Arbeit. Dann folgt Krankheit bis hin zur Kündigung. Die Bewohner, die dafür am wenigsten können, tragen den größten Schaden davon. 

Zum Schichtende gehen die Pflegekräfte dann mit einem Gefühl nach Hause, das schwer zu beschreiben ist. Man möchte dem Bewohner so gerne gerecht werden, ihm die Pflege und Zuwendung geben, die er auch verdient hat. Dazu haben Pflegekräfte den Beruf doch auch ursprünglich erlernt. 

Für die schönen Momente bliebt oft zu wenig Zeit

Natürlich gibt es auch andere, gute Seiten unseres Berufsstandes, diese werden nur leider immer weniger. Vor einiger Zeit hatten wir eine Bewohnerin, die im Sterben lag. Bei der Versorgung merkte ich, dass sie noch etwas zu erzählen hatte. Sie musste einfach noch etwas loswerden, bevor sie in Ruhe gehen konnte. Und ich nahm mir die Zeit ihr zuzuhören, obwohl ich wusste, dass andere hilfbedürftige Bewohner dadurch länger auf mich warten müssen. 

Die Bewohnerin erzählte mir, wie gerne sie früher Fahnen-Mutter im Verein war. Sie erzählte, wie schön diese Aufgabe für sie war: Die tollen Kleider, die sie dafür tragen durfte, der Zusammenhalt der Gemeinde, die dazugehörigen Feste. Ich merkte, welch große Freude sie daran hatte, ihre Geschichte zu teilen. Sie weinte dabei sogar. 

Mir war klar, wie wichtig dieser Moment für sie war. Und mir wurde das Herz ganz schwer, als sie letztendlich beim Erzählen der Geschichte einschlief und nicht mehr erwachte. Aber dieses Gefühl, der Bewohnerin so schöne letzte Momente geschenkt zu haben und sie mit einem Lächeln gehen zu sehen, war unbeschreiblich.

Wegen der Überlastung hören viele Pflegekräfte auf

Gerade solche Momente lassen eine Pflegekraft auf Besserung hoffen und verstärken das Gefühl, diesen wichtigen Beruf nicht aufgeben zu können. Jedoch wird der Spagat zwischen dem eigenen Wohlbefinden, der eigenen Gesundheit und der Herausforderung, alle Bewohner ausreichend versorgen zu müssen, immer größer. Viele meiner Kollegen sind bereits aus dem Beruf ausgestiegen und können aus gesundheitlichen, oft psychischen Problemen, gar nicht mehr in diesem Bereich arbeiten.

Nun hat mich vor Kurzem eine Bewohnerin gefragt, ob ich Zeit für sie hätte, weil sie einige Fragen zur Finanzierung im Pflegeheim hatte. Als ich dann bei ihr war, hat sie mir erzählt, wie sie früher gelebt hat und auch wie sie die Kriegszeit überstanden hat. Auch solche Aussagen wie "ich habe mich damals unter einer alten Zinn-Badewanne versteckt, nur so konnte ich den Angriff überleben" waren mit dabei.

Es wird mehr Pflege gebraucht als bereit steht

Immer wieder wird mir in solchen Situationen bewusst, dass gerade die Menschen, die uns den Wohlstand und unseren heutigen Lebensstil aufgebaut und ermöglicht haben, jetzt hilflos zu Hause oder in einem Pflegeheim sitzen. Nun brauchen Sie unsere Hilfe und fast niemand kann sie ihnen noch geben. Ein Platz im Pflegeheim ist sehr begehrt, viele Heime haben inzwischen eine Wartezeit von mehreren Jahren. 

Die ambulanten Pflegedienste haben ebenfalls keine Kapazitäten mehr. Dazu kommt noch der finanzielle Aspekt. Ältere Menschen haben also dann ihr Leben lang gearbeitet, geschuftet und sich etwas aufgebaut, damit all das nun für einen Heimplatz aufgebraucht wird? Das wollen und können viele nicht riskieren.

Pflegekräfte versorgen nicht nur – sie sind auch Helfer und Gesprächspartner

Einige Pflegeheim-Bewohner haben keine Angehörigen und keine Freunde mehr. Andere haben Angehörige, die weit weg wohnen und sich nicht um sie kümmern können. Für diese Heimbewohner ist es nicht leicht zu sehen, wie andere Besuch bekommen, Blumen geschenkt bekommen, Freunde treffen und mit ihnen in die Cafeteria auf einen Eisbecher gehen. 

In meinem Arbeitsalltag bemerke ich schnell, wie schwer es diesen Bewohnern fällt, niemanden zu haben. Gerade auch deshalb ist es so wichtig, im Pflegeheim gut versorgt zu werden. Deshalb ist es so wichtig, dass die Pflegekraft Zeit dafür hat, sich mit den Bewohnern zu unterhalten und ihnen zu helfen – ohne dabei gleich ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

Die Frage nach der Finanzierung der Pflege belastet viele

Auch Beratungen zur Heim-Finanzierung können emotional sehr belastend sein. Wer Hilfe braucht, aus finanziellen Gründe aber keine Chance hat ebendiese Hilfe zu bekommen, kann leicht daran verzweifeln. Viele ältere Menschen haben auch Angst davor, im Anschluss an eine Kurzzeitpflege vollstationär im Heim bleiben müssen, sich das aber nicht leisten zu können.

Bei einer fachlichen Beratungseinrichtung können Betroffene Hilfe zum Thema Finanzierung der eigenen Pflege erhalten. Diese Beratungen können gezielt den pflegerischen Zustand und die Notwendigkeit einer Pflege einschätzen und Hilfe anbieten. Viele Pflegeheime geben auch telefonisch Auskunft über die mögliche Finanzierung eines Pflegeheimplatzes und dessen Wartezeiten bis hin zur Heimaufnahme. Auch über weitere Alternativen kann man sich hier gut informieren.

Im Arbeitsalltag stehen Pflegekräfte unter hohem Druck

Abschließend lässt sich zum Alltag einer Pflegekraft sagen, dass sie ständig enorm unter Druck steht, es jedem Recht zu machen. Sie möchte den Bewohner gut versorgen und ihm die bestmögliche Pflege bieten, tut dies jedoch meist auf Kosten der eigenen Gesundheit geht. Aus diesen Gründen steigen immer mehrere Pflegekräfte, auch trotz der wenigen schönen Momente, aus diesem Berufsfeld aus. Als Kollegin kann ich es ihnen wegen der vielen erschwerenden Umstände schlussendlich gar nicht mal verübeln...