Historikerin gedenkt in neuem Werk Zwangsarbeitern im Isartal
Auch im Isartal hat es Fremd- und Zwangsarbeiter gegeben. In einem neuen Band der „Pullacher Schriftenreihe“ widmet sich Historikerin Susanne Meindl deren Schicksalen.
Pullach – Im Rahmen der ambitionierten „Pullacher Schriftenreihe“ hat die Historikerin Susanne Meinl schon die Geschichte der NS-Mustersiedlung „Sonnenwinkel“ erforscht, außerdem Schicksale antisemitisch Verfolgter in der Gemeinde nachgezeichnet. Jetzt ist ein weiterer Band von ihr herausgekommen, der sich auf 371 Seiten mit der Geschichte der Fremd- und Zwangsarbeiter im Isartal befasst. „Fremder Hände Arbeit“ ist das Ergebnis jahrelanger, aufwendigster Recherche und wird am heutigen Montag, 17. März, im Bürgerhaus vorgestellt.
Die Hälfte des umfassenden Bandes, das sich als „Gedenkbuch“ versteht und auf keinen Fall den Anspruch erhebt, das Kapitel Zwangsarbeit im Isartal erschöpfend zu behandeln, ist ausgewählten Biographien gewidmet. Meinl hat auch diesmal viele Lebenswege zurückverfolgt, die sie dann anhand von Dokumenten und auch Bildern ausführlich erzählt.
Schwierige Quellenlage
Derweil ist der erste Teil des Buchs der Versuch, trotz schwieriger Quellenlage, trotz der Weigerung der allermeisten Betriebe, ihre Archive zu öffnen, das Phänomen Zwangsarbeit in den Griff zu bekommen.
Sagen lässt sich immerhin soviel: Allein in Pullach mussten zwischen 1940 und Kriegsende „2000 plus x Menschen“ unfreie Arbeit leisten. Wobei die Betreffenden nicht nur für die großen „Bedarfsträger“ tätig waren (Linde, elektrochemische Werke, Hanns Häusler und Richtberg in Baierbrunn), sondern überall dort eingesetzt wurden, wo Arbeit anfiel. In der Küche des Berchmannskollegs, das die Jesuiten erfolgreich vor dem Zugriff der Nazis bewahren hatten können, kochten Frauen aus Italien und der UdSSR. So wie „nahezu alle Gastwirtschaften in Pullach“ und auch das „Biologische Krankenhaus“ der Nazis in der Sternheim-Villa nur noch mit weiblichen Arbeitskräften meist aus dem Osten funktionierten. Der Pullacher Friseur: ein Holländer. Viele Privathaushalte hatten kroatische, russische, ukrainische Hilfen oder Kindermädchen.
Kaum möglich war es der Historikerin diesmal, was sie sonst immer gemacht hat: die Familien der Betroffenen zu kontaktieren. Manche wollten einfach nicht, in anderen Fällen gab es bürokratische Hürden, auch der Krieg verunmöglichte die Kontaktaufnahme.

Dabei waren, und das macht die Sache unheimlich kompliziert, nicht alle Betroffenen, die in Pullach arbeiten mussten, auch vor Ort untergebracht. Umgekehrt schliefen auch wieder Zwangsarbeiter, deren Einsatzort die Stadt war, im Landkreis. Unterbringungen waren alle größeren Wirtschaften, der Rabenwirt, die Bürgerbräuterrassen, die Waldwirtschaft, der Waldgasthof Buchenhain.
Schon ab 1939, nach dem Überfall auf Polen, waren die ersten polnischen Männer und Frauen auch im Süden von München beschäftigt, meist in der Landwirtschaft und in der Gastronomie. Eine zweite Welle von Arbeitskräften kam mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich und Belgien nach Deutschland, die Betreffenden waren angeworben worden – wobei, was man ihnen in Aussicht gestellt hatte, oft nicht stimmte.
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Zwangsarbeiter wurden in Wirtschaften untergebracht
Das Flug-Motoren-Reparaturwerk Hanns Häusler, wichtigster Rüstungsbetrieb im Landkreis, und Wilhelm Richtberg, der sich auf Flugzeugteile spezialisiert hatte, bekamen jetzt erste Kontingente, untergebracht wurden die Leute im Rabenwirt in Pullach. Belgische Arbeiter, eingesetzt bei Eiso-Schrauben in der Wolfratshauser Straße, schliefen in den Bürgerbräuterrassen.
Unter den Zwangsarbeitern waren bald auch Kriegsgefangene, die in Oberbayern in Stammlagern in Moosburg und Memmingen zusammengezogen worden sind. Italienische Militärinternierte, ab September 1943 nach Deutschland deportiert, wurden auch der „Auto Union“ in Pullach zugeteilt. Häusler konnte ab Herbst 1942 sogar auf 200 bis 240 russische Offiziere zurückgreifen.
Derweil hatten die Deutschen ab Sommer 1941 damit begonnen, Arbeitskräfte im großen Stil vor allem aus der Sowjetunion zu verschleppen. Eigens aufgestellte Anwerbekommissionen, angegliedert an die Arbeitsämter, sorgten „mit zunehmendem Druck und schließlich offener Gewalt“ dafür, dass die künftigen Arbeitskräfte „in die Güterwaggons Richtung Deutsches Reich gepfercht wurden“. Spätestens für die zweite Jahreshälfte 1942 sind Russen dann auch in der Waldwirtschaft belegt.
Auch Greise und Kinder betroffen
Meinl hat das alles akribisch zusammengetragen: dass es ein mindestens 25-köpfiges Arbeitskommando auch im Baierbrunner Forst gab; dass unter Umständen auch KZ-Häftlinge unten an der Isar zum Arbeiten abkommandiert worden sind, dass die Reichsbahnmeisterei Großhesselohe selbst russische Greise und Kinder zur Arbeit zwang. Und bei Linde‘s Eismaschinen, ebenfalls wichtig für die Kriegsindustrie, führte der Lagerleiter Josef Gützloe ein wahres Schreckensregime und verprügelte auch Franzosen und Griechen, nicht nur die Leute aus dem Osten, teils stundenlang.
Während generell Zwangsarbeiter nicht gleich Zwangsarbeiter waren und Angehörige der „germanischen Brudervölker“ viel besser behandelt wurden als Polen, Russen, Ukrainer, waren Kontakte zur Zivilbevölkerung zwar verboten, ergaben sich aber trotzdem. Den Franzosen, die in Höllriegelskreuth im Isarwerk arbeiteten, brachten Frauen aus Baierbrunn hin und wieder Wasser auf ihre Baustelle. Bei Häusler warfen sie den unterernährten sowjetischen Gefangenen manchmal Knochen aus der Kantine über den Zaun.
Von der Krim ins Isartal verschleppt
Auch in diesem, ihrem dritten Buch für die Gemeinde hat Meinl wieder viele Einzelschicksale nachverfolgt anhand von Archivmaterial. Sie erzählt etwa die bewegende Geschichte eines Schülers, Nikolai Krotenko, der aus der Krim nach Pullach verschleppt worden ist und bei Linde‘s Eismaschinen in Höllriegelskreuth arbeiten musste. Vermutlich, weil er sich politisch betätigt hatte, wurde er am 27. August 1943 von der Gestapo verhaftet, ein Leidensweg durch sechs Konzentrationslager bega nn . Er überlebte – und kehrte auf die Krim zurück. Während sich Anna Tschaban und Iwan Olejnik, Freunde aus Kindertagen und auch aus der Ukraine stammend, eines Tages zufällig im Arbeitskommando der Isarwerke wieder über den Weg liefen. Anna hatte zuvor auf der berüchtigten Flachsröste in Lohhof schuften müssen. Sie verliebten sich, Anna wurde schwanger, ihr Sohn Antoly kam drei Monate vor Kriegsende zur Welt. Und lebte gerade mal drei Stunden.
Eine Zwangsarbeiterin gab es auch, Larissa Schweber, die nach dem Krieg in Pullach blieb. Sie hatte es bei einer kinderreichen Familie in der Isartalgemeinde recht gut gehabt, sie arbeitete dann bei der Organisation Gehlen, später bei Linde. Und als Pullach die Partnerschaft mit Baryschiwka begründete, betätigte Schweber sich als Dolmetscherin.
Berüchtigt auf Seiten der Täter war Cajetan von Spreti, Leiter der Arbeitsämter Kempten und Freising, der völlig skrupellos vorging beim Rekrutieren von Arbeitskräften in der Sowjetunion. Woche für Woche gelang es ihm, einem Ururenkel von Leo von Klenze, mit übelsten Methoden „einen Transport mit jeweils um die tausend Menschen in Güterwagen Richtung Oberbayern in Marsch zu setzen“.