Es sind kleine, leise Klangsensationen, die er den historischen Instrumenten entlockt. Man muss sie allerdings so spielen können wie Alexander Gergelyfi. Eine Begegnung mit einem sehr besonderen Pianisten in Salzburg.
Manchmal darf sie mit ins Hotelbett. Das ist weicher als eine Übernachtung auf dem Boden, die Dame hat schließlich gut 300 Jahre auf dem Buckel. Ursula, so heißt sie, klingt aber wie ein Twen. Was nicht verwundert, weil sie wachgeküsst und immer wieder berührt wird vom 37-jährigen Alexander Gergelyfi. Vor allem gespielt – um jetzt nicht auf falsche Gedanken zu kommen. Ursula ist das sogenannte Admonter Clavichord, das älteste erhaltene in Österreich. Gergelyfi spielt ein paar Takte. Ein feiner, filigraner, zartgliedriger Klang, man fühlt sich angeweht vom Zauber einer fernen Zeit. Und man muss sich hinabbeugen zur alten Dame, sie ist sehr leise. Sofort verändert sich der Raum, und zwar zum Guten: Das Klavierdepot im Salzburger Festspielhaus, hier ein Klavier, dort ein Flügel, ein paar gestapelte Podien, ist kein Wohlfühlort.
Und warum Admont? Auf dem hochgeklappten Deckel ist das gleichnamige Benediktinerstift in der Steiermark zu sehen samt Ennsfluss und Gesäuse. Wer dieses Instrument spielt, schaut in eine gemalte Landschaft. Aber ausgerechnet Ursula? In seinem ersten Festspiel-Sommer, so erzählt Gergelyfi, habe man sich nach einem Konzert darüber unterhalten, warum Streichinstrumente Namen bekommen, andere aber nicht. „Im Falle meines Admonter Clavichords müsste es ein alter Name sein, habe ich mir gedacht, so etwas wie Ursula.“ Hier parkt sie gerade unter einem Tafelklavier. Gergelyfi nutzt den fensterlosen Raum als Depot für seine Instrumente. Ein sehr früher, sehr kleiner Steinway-Vorläufer ist dieses Clavichord, die Saiten werden mit Metallplättchen angeschlagen. Gergelyfi, gebürtiger Linzer, besitzt mehrere dieser Kostbarkeiten. „Zu viele, würde ich sagen.“ Als da wären drei Cembali, drei Tafelklaviere, vier Clavichorde, ein Damenklavier und ein Hammerklavier als Dauerleihgabe. „Ein großes Haus habe ich nicht, aber glücklicherweise ein Arbeitszimmer.“
Richtig bekannt geworden ist Gergelyfi als Partner von Bariton Georg Nigl bei den „Nachtmusiken“ der Salzburger Festspiele. Schon im dritten Jahr laden sie ab 22 Uhr auf die Edmundsburg über der Stadt, nur 80 Plätze gibt es. Es sind klug konzipierte Konzerte mit Hinhörzwang: Stets sitzt Gergelyfi an Tasteninstrumenten, in deren Klang man sich sofort vernarrt. Im vergangenen Jahr nutzte er für ein Mozart-Programm das originale Clavichord des Komponisten, das unten im Mozarteum nur als Schaustück vor sich hindämmerte. Das Ergebnis: eine Klangsensation im Kleinen. So delikat alles tönt, so sehr scheint doch jeder Ton eine andere Farbe zu haben – man muss sich aber darauf einstellen können wie dieser Tastenstreichler (CD-Kritik).
Wie er sich wohl fühlte am heiligen Instrument Amadés, das dieser für die Komposition der „Zauberflöte“ oder von „La clemenza di Tito“ nutzte? „Jedes Instrument ist etwas Heiliges, weil es ein Zeitdokument ist“, sagt Alexander Gergelyfi. „Ich bin eher auf der Jagd nach dem Klang und lasse mich davon gern überraschen.“ Bei Mozarts Clavichord habe ihn allerdings ein Gedanke beschlichen: „Wie ordinär, dass ausgerechnet ich das jetzt spielen darf.“
Wobei für diesen Mann die Karriere fast zwangsläufig auf eine solche Begegnung hinsteuerte. In Gergelyfis Elternhaus wurde zwar viel Musik gehört, aber nicht praktiziert. Auf der Volksschule hatte er einen Freund, dessen Bruder Klavier spielte. „Ich bin nach Hause und sagte: Das will ich auch.“ Auf dem Klavier-Vorbereitungsstudium in Linz lernte er einen Professor kennen, der ein Clavichord dabeihatte. Sofort wechselte Gergelyfi in den Lehrgang für historische Tasteninstrumente. Berufung und Beruf fielen plötzlich zusammen, Gergelyfi zweifelte offenbar nie daran, dass diese musikalische Nische funktionieren könnte. „Eine wichtige Qualität in jedem Beruf ist doch: dranbleiben, durchhalten. Ich war mir sicher, dass ich damit glücklich werde und ich davon leben kann.“
Die Selbstsicherheit ist nicht übertrieben, die Karriere gibt Gergelyfi ja recht. Er tritt solistisch auf, brachte 2022 seine erste CD „Sapperlot!“ heraus, spielt in mehreren Barockformationen und unterrichtet an den Hochschulen in Graz und Dresden. Sehr zurückhaltend spricht er über all dies, der Humor ist ebenso fein wie der Klang seiner Instrumente. Mittlerweile ist man vom dunklen Depot ins Mittagslicht einer Salzburger Café-Terrasse gewechselt. Frühstück war bislang nicht möglich, die Nacht nach der „Nachtmusik“ mit Georg Nigl war kurz. Dass er ein Nerd ist, gibt Gergelyfi zu. Das Schwerste sei die Finanzierung des ersten Instruments gewesen. Gottlob gehöre er zu einer Generation, für die die Eltern einen Bausparvertrag abgeschlossen haben. „Das Geld habe ich dann genutzt. Ein Freund hat für einen solchen Betrag ein Auto gekauft – er ist immer noch mein Freund.“
So plastisch klingt kein modernes Klavier
Gergelyfi hat mittlerweile eine Spürnase für historische Instrumente entwickelt. Es gibt Internet-Seiten, Kleinanzeigen, Auktionen, sogar Vereine. „Sehr viele Leichen und Ruinen“ lägen herum. Allein in Wien existiere „ein Sack voller Tafelklaviere, bei denen man vermutet, Schubert habe darauf gespielt“. Eines gehört Gergelyfi, er hat die „historische Masse“ für einen relativ geringen Preis gekauft („mit einem fiesen Riss“) und sie für einen deutlich höheren zum spielbaren Instrument renovieren lassen. In diesem Jahr ist es auf der Edmundsburg zu hören, wenn Gergelyfi mit Georg Nigl am 14. und 15. August Schuberts „Schöne Müllerin“ aufführt. Bis zu den Proben auf der Edmundsburg steht das Instrument mit seinen spitzen Beinen im Depot des Festspielhauses. Das Ahorn-Holz schimmert rötlich, der dünne Resonanzboden ist Fichte. Gergelyfi spielt das erste Lied an. Harte, herbe, zartbittere Töne sind das, körperhaft, wieder mit enormer Farbigkeit. Man meint, verschiedene Instrumente zu hören. Vor allem die Trennschärfe verblüfft: So plastisch, fast haptisch kann ein modernes Klavier nie klingen.
Alle Möglichkeiten, die man sich nur wünschen kann, habe man in Salzburg, schwärmt Gergelyfi. Auch die Möglichkeit, die Konzertform Liederabend mit den „Nachtmusiken“ neu zu denken – und dies, indem man sich auf Altes beruft. Nichts anderes als ein privater Salon waren diese Abende schließlich. Was bedeutet: Bariton und Pianist müssen vollkommen anders vorgehen als auf der klassischen Bühne in großen Sälen. „Unsere Idee ist: Es soll so klingen, als ob der Sänger sich selbst begleitet.“ Was bei Georg Nigl, diesem Nerd und Nischenarbeiter, etwas extrem ausfällt. „Ich glaube, am liebsten wäre er im Instrument drinnen.“ Wer sein Instrument mit ins Bett nimmt, scheint allerdings keinen Deut normaler. „Ich find’s jedenfalls toll, dass ich meine Narrheiten hier ausleben kann.“