Das Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung in München zeigt 13 weibliche Foto-Stars. Fantastische Fotos, die berühren. Unser Ausstellungstipp.
Irgendwann hatte Hannah Price es einfach satt. Diese ständigen Anmachen, das Hinterhergepfeife von wildfremden Kerlen, deren Weg sie als junge Frau auf den Straßen von Philadelphia kreuzte. Also drehte die US-amerikanische Fotografin den Spieß um. Bat die ob dieser Frage völlig perplexen Männer, ob sie ein Foto von ihnen machen dürfe. Daraus entstand eine Serie, von der ein Teil nun im Kunstfoyer München zu sehen ist. Oberflächlich betrachtet lauter coole Jungs, doch wer genauer hinschaut, entdeckt Unsicherheit, Beklemmung, peinliches Berührtsein. Price schaut die an, die sie angeschaut haben. Doch das ist nicht voyeuristisch gedacht. Ihr geht es darum, aus der ihr unangenehmen Situation herauszukommen, die mitunter aggressive Männlichkeit durch die einfache Frage „Hi, darf ich Sie fotografieren?“ in ein verbindliches, freundliches Miteinander zu überführen. Man sieht es förmlich rattern in den Köpfen dieser Männer, die auf charmante Art zum Perspektivwechsel geschubst werden. Die Macht der Fotografie.
Sie ist es letztlich, den die unabhängige Foto- und Fotografenagentur Magnum seit mehr als 75 Jahren feiert. Mitbegründer Robert Capa (1913-1954) hat so etwas wie einen Leitspruch für die folgenden Magnum-Generationen in Sachen perfektes Foto formuliert: „Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, bist du nicht nah genug dran.“ Er selbst ging zu nah dran: Der große Kriegsberichterstatter starb, als er auf eine Antipersonenmine trat.
Zum Magnum-Jubiläum konzentriert sich die Ausstellung „Close enough“ auf 13 aktuelle weibliche Mitglieder. Nach fantastischen Ausstellungen zu verstorbenen Magnum-Stars wie Inge Morath (1923-2002) geht es also nun im Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung München mitten hinein ins Hier und Jetzt. Was gibt’s denn da zu gucken? Eine ganze Menge. Denn diese jungen Künstlerinnen bilden nicht einfach ab; bei ihnen werden die Kameras zu Mitteln der Kommunikation, des Austauschs zwischen Männern und Frauen, Privilegierten und Abgehängten, verschiedenen Ländern und Kulturen.
Alessandra Sanguinetti begleitet zwei junge Mädchen auf ihrem Weg durchs Leben
Auffallend ist, dass die Arbeiten sämtlich Langzeitprojekte sind. Sabiha Çimen beispielsweise schenkt uns einen ungewöhnlich privaten Einblick in das Leben türkischer Schülerinnen an Koranschulen für Mädchen. Für solche Bilder muss man erst Vertrauen gewinnen, das bedarf Zeit. Oder Alessandra Sanguinetti. Seit mehr als zwei Jahrzehnten fotografiert die 1968 in New York geborene und in Argentinien aufgewachsene Fotografin das Leben von Guillermina und Belinda, zwei Cousinen auf dem argentinischen Land. In den Bildern begleiten wir die zwei Mädchen, von denen uns das eine auf einem der ersten Fotos mit herausforderndem Blick anschaut, durch ihre Kindheit, Jugend, zur eigenen Mutterschaft. Aus verspielten Mädchen werden müde blickende Frauen. Und das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, Sanguinetti wird die Lebensreise der beiden stetig weiter verfolgen. Es sind Bilder, die einen nicht bloß auf die eigene Vergänglichkeit zurückwerfen. Fragen ploppen auf: Mit welchen Ambitionen starten wir unseren Weg und wie viel bleibt davon nach all den Steinen, die man überqueren musste? Wie determiniert sind wir in Aussehen, Gesundheit, Glück. Auch Schönheitsideale werden hier en passant hinterfragt. Die eine Cousine rank und schlank, die andere von klein auf mollig.
So korrespondiert diese Fotoserie ideal mit der von Olivia Arthur. Die 1980 in London geborene Künstlerin beschäftigt sich in verschiedenen Arbeiten der vergangenen Jahre, die sie hier zu einer visuellen „Mind Map“ zusammengeführt hat, mit menschlicher Intimität, Körpergefühl, Scham und Komplexen. Ausgangspunkt war ihre erste Schwangerschaft. Der Moment, in dem man ein Kind gebärt: (Viel zu) viele Frauen erkennen aufgrund übersteigerter Ideale ans eigene Aussehen erst da, welch Wunderwerk ihr Körper ist. Welch Geschenk. Schön und alles andere als hassenswert.
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Und so ist diese Schau auch eine feministische. Die anregt dazu, wie diese 13 Frauen in die Welt zu schreiten und mutig hinzuschauen. Kein Opfer zu sein, sondern selbst ermächtigt zu wirken. Wie Cristina de Middel. Die 1975 geborene Spanierin hat zunächst in den Zeitungen von Rio de Janeiro Anzeigen geschaltet, in denen sie männlichen Kunden von Prostituierten anbot, ihnen eine Stunde ihrer Zeit zu bezahlen. Sie übernahm die Rolle des „Kunden“, buchte ein Hotelzimmer und gab den Männern den gleichen Betrag, den sie einer Sexarbeiterin zahlen würden. Dafür durfte sie sie fotografieren und ihre Geschichten hören. Ihr Projekt „Gentlemens Club“ (2015-2022) ist an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Kulturen entstanden und gibt intime Begegnungen mit den Männern wieder, die dem Angebot gefolgt sind. In Bildunterschriften erfahren wir ihre Sicht auf die Dinge. Es ist eine weitere von vielen Einladungen in dieser äußerst sehenswerten Schau zum Perspektivwechsel, für alle Seiten. Wirkt nach. Bis 21. Juli 2024 im Kunstfoyer München, Maximilianstraße 53, täglich 9.30-18.45 Uhr; Eintritt frei