Grüne diskutieren auf Parteitag - Zu knallharter Migrations-Ansage von Merz fällt Habeck nur wolkige Metapher ein

Robert Habeck greift in seiner Parteitagsrede zum Pinsel. Das Bild, das er für die Delegierten in der Veranstaltungshalle in Berlin und die Wähler draußen im Land zeichnen will, ist eines der Zuversicht. So prangt es in großen Lettern hinter ihm über der Bühne. Doch der grüne Kanzlerkandidat hat ein Problem mit der Farbpalette. In Habecks seltsamer Metapher-Welt klingt das dann so: „Wenn der Populismus schwarz ist, dann kann die Antwort nicht sein, dass wir das Schwarz nur etwas heller machen.“

Übersetzt heißt das wohl: Bei dem Fünf-Punkte-Plan zur Migration von CDU-Konkurrent Friedrich Merz würden kleine Korrekturen nicht helfen, nur klare Ablehnung. Zu sehr habe sich die Union dem Populismus hingegeben, indem sie im Zweifel auch Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD für eine Mehrheit in Kauf nehmen würden.

Populismus, impulsives Herausplappern, demokratische Verwirrung: Habeck findet in seiner Rede zahlreiche Worte für die Merz-Ansage und deren Folgen, nur keine guten. Kein Wunder, denn zum einen hat die Union nun die volle Aufmerksamkeit im Wahlkampf. Zum anderen stehen die Regierungsoptionen der Grünen auf der Kippe, wenn sie nicht auf CDU-Linie einschwenken.

Habeck-Rede: Metaebene statt konkreter Lösungen

Doch das hat Habeck nicht vor: „Gegen das Schwarz setzen wir nicht das Grau, sondern die Vielfalt der Farben.“ In welchen Farben genau Habeck die Migrationspolitik künftig malen will, erklärt er in seiner Parteitagsrede aber nicht. Im Gegensatz zu SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der auf seinem Parteitag eine zu detailversessene Rede gehalten hatte, lässt Habeck die Details einfach weg. Er verharrt weitestgehend auf der Metaebene. 

Der Spitzen-Grüne erklärt lieber die Demokratie als seinen Plan, wie künftig Gewalttaten von Geflüchteten wie in Aschaffenburg, Magdeburg oder Solingen verhindert werden sollen. Auf keinen von Merz‘ konkreten Vorschlägen geht Habeck ein. Dabei gäbe es aus Sicht der Grünen genügend Fragezeichen: zum Beispiel, wie die Union zehntausende vollziehbar Ausreisepflichtige „unmittelbar in Haft“ nehmen will. Für einen Programmparteitag ist die Rede ziemlich wolkig.

Delegierte haben viel Diskussionsbedarf

Die 829 Delegierten berauschen sich zwar an Habecks Auftritt, wollen aber anders als er auch über konkrete Inhalte sprechen. Vor dem Parteitag sind fast 1900 Änderungsanträge eingegangen. Zahlreiche davon betreffen auch die Migrationspolitik. Die einen wollen die Notwendigkeit von Ordnung auf diesem Politikfeld stärker betonen. Die anderen, vor allem Parteilinke, stärker die Humanität.

Wie schon beim vergangenen Parteitag im November hat die Partei lange um einen Kompromiss gerungen. Der Bundesvorstand hat schließlich Druck gemacht, um Streit auf offener Bühne zu verhindern. In der Partei ist von „herausfordernden Diskussionen“ im Vorfeld die Rede. Die hat man zwar geeint beendet, bis zum Parteitag wurden alle strittigen Punkte in der Migrationspolitik ins Wahlprogramm eingepflegt.

Mehr Humanität als Ordnung im grünen Migrationsprogramm

Aber dabei wird deutlich: Die Linken konnten sich überwiegend durchsetzen und den Aspekt der Humanität stärker hervorheben. Viele Korrekturen sind eher sprachlicher Natur. Zum Beispiel wurde „eine echte Willkommenskultur“ ins Programm hineingeschrieben. 

Aber auch einige Positionen sind jetzt schärfer, zum Beispiel ist für die Grünen nun klar, „dass Menschen nicht in Staaten abgeschoben werden dürfen, bei denen menschenrechtliche oder völkerrechtliche Gründe entgegenstehen.“ Auch Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete – also zum Beispiel Afghanistan und Syrien – „verbieten sich“. Bei der nationalen Umsetzung der EU-Asylreform wollen die Grünen nun „keine zusätzlichen, unnötigen Einschränkungen des Asylrechts“. 

Grüne erwecken heiklen Eindruck

Für viele Realos, aber auch einige Parteilinke ist die Verschiebung in Richtung Humanität die falsche Botschaft – angesichts des jüngsten Attentats ganz besonders. Der hessische Kommunalpolitiker Matthias Schimpf hat unter anderem direkt mit der Unterbringung von Geflüchteten zu tun. Er fürchtet, dass „der Eindruck verstärkt wird, dass die Verunsicherung der Menschen offenbar nicht wahrgenommen wird und man nicht erkennt, dass Migration eben auch gesellschaftliche Akzeptanz braucht“.

Diesen Eindruck hat bei manchen auch ein Selfie der grünen Parteiführung erweckt. Am Samstag war sie auf einer Anti-rechts-Demo versammelt und lachte dort beseelt in die Kamera. Das sei unpassend angesichts der ernsten Lage, die wieder einmal Menschen das Leben gekostet hat, klagen manche Delegierte.

„Frage mich, ob wir nicht manchmal über das Ziel hinausschießen“

Eine Delegierte mit Migrationshintergrund sieht das ähnlich. Weil sie in der Migrationspolitik anders als mancher Delegierter tickt, will sie ihren Namen lieber nicht nennen. „Jeder, der zu uns ins Land kommt, egal aus welchen Gründen, muss sich an uns anpassen“, fordert sie. „Merz hat Menschen angesprochen, die die Menschen bewegen. Bei uns Grünen frage ich mich, ob wir bei der Betonung der Humanität nicht manchmal über das Ziel hinausschießen.“

Auch prominente Gesichter in Partei und Bundestagsfraktion sind auf dieser Linie. Der grüne Minister Cem Özdemir erklärte erst kürzlich im „Spiegel“-Interview, zu Humanität und Ordnung müsse man nun „die Wörter Begrenzung und Machbarkeit hinzufügen“. Nicht zuletzt Robert Habeck selbst dürften mit den linken Leitplanken im Wahlprogramm hadern, inhaltlich wie machttaktisch. 

Im Zweifel entscheidet nicht das Programm, sondern die Führung

„Habeck will regieren“, erklärt eine Delegierte und es schwingt mit: Er will unbedingt, im Notfall auch unter einem Kanzler Merz. Der Kanzlerkandidat erklärt das so: Der Fall Österreich zeige, was passiert, wenn sich Parteien der Mitten nicht einigen können – dann würden sich Chancen für Extremisten bieten. „Welche Differenz kann so groß sein, dass man so etwas in Kauf nimmt?“, fragt Habeck. 

Robert Habeck
Der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck hat in seiner Rede viele Meta-Themen angesprochen, aber keine konkreten Maßnahmen in der Migrationspolitik genannt. Michael Kappeler/dpa

Es ist eine wohlklingende Erklärung dafür, warum er seine Partei auch unter größten Schmerzen in der Migrationspolitik in eine schwarz-grüne Koalition führen würde. Bei anderen Delegierten klingt stärker durch, was auch bei Habeck eine Rolle spielen dürfte: Der Ärger über Merz und die Union ist groß, aber der Machthunger ist größer. 

Im Zweifel, erklärt ein erfahrener Abgeordneter, sei ohnehin nicht das von Linken geprägte Wahlprogramm entscheidend, sondern der Kurs der Parteiführung. Wenn man es klug anstelle, könne am Ende mehr Humanität und mehr Ordnung stehen. Damit könnten dann sowohl Grüne als auch Union zufrieden sein. 

Will Merz mit diesen Grünen zusammenarbeiten?

Entscheidend ist aber, ob das Friedrich Merz auch so sieht, wenn die Union als voraussichtlich stärkste Kraft nach der Bundestagswahl zu Gesprächen einladen wird. Vielleicht bekommen dann auch die Grünen eine Einladung. Womöglich aber nur, um damit die SPD zu Kompromissen zu bewegen – diesen Plan hat Merz schon öffentlich ausgesprochen. 

Der CDU-Chef dürfte aufmerksam verfolgen, wie abfällig über ihn und seine Partei bei den Grünen gesprochen wird. Anna Lührmann, die unter Außenministerin Annalena Baerbock im Auswärtigen Amt arbeitet, warnt etwa davor, dass in der Geschichte fast immer Konservative die Steigbügelhalter für Rechtsextreme gewesen seien. Bundesgeschäftsführerin Pegah Edalatian erklärte gar, sie sei dank der Grünen „nicht mehr das Kind, das unter der Politik der CDU gelitten hat“.

Grüne „manövrieren sich ins Abseits“ bei Schwarz-Grün

Bei diesem Sound und den inhaltlichen Verschiebungen im Programm könnte man zum Schluss kommen, Schwarz-Grün sei nun beerdigt. „Insgesamt manövriert man sich mit dieser Verweigerung der Realität für eventuelle Möglichkeiten einer Regierungsbeteiligung ins Abseits“, glaubt Kommunalpolitiker Schimpf.

Unter normalen Umständen wäre das vielleicht auch so. Wäre da nicht Robert Habeck, der unbedingt Teil der Regierung bleiben will.