CDU-Politiker Frei über Abschaffung des Bürgergelds: „Geht nicht darum, Bedürftigen etwas wegzunehmen“

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Die Nummer zwei der Union im Bundestag will Ampel-Gesetze rückabwickeln. Zu Angela Merkels Buch und ihrer Flüchtlingspolitik hat Frei eine klare Haltung.

Berlin – Er ist einer der schärfsten Kritiker der amtierenden Bundesregierung – und schließt eine Zusammenarbeit mit Rot-Grün bis zur Wahl dennoch nicht ganz aus. Thorsten Frei ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU im Bundestag und koordiniert damit die Arbeit der Unions-Abgeordneten. Im Interview mit IPPEN.MEDIA spricht Frei über Projekte, die vor den Neuwahlen noch anstehen, die aus seiner Sicht falsche Politik des Bundeskanzlers und über seine ehemalige Parteivorsitzende Angela Merkel.

Herr Frei, haben Sie sich gefreut, dass Olaf Scholz anstatt Boris Pistorius Ihr politischer Wettbewerber bleibt?

Wir haben das kaum kommentiert, denn das war und ist das Problem der SPD. Unser eigenes Personal und unsere Programmatik überzeugen, und deshalb müssen wir nicht nach links und rechts schauen. Der SPD dagegen fällt inhaltlich gar nichts mehr ein, sie arbeitet sich pausenlos an Friedrich Merz ab, und das oft unter der Gürtellinie. Auf so eine Form des Wahlkampfs werden wir aber nicht einsteigen.

Thorsten Frei ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU im Bundestag. Sollte die Union den nächsten Kanzler stellen, will Frei das Bürgergeld in dieser Form abschaffen.
Thorsten Frei ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU im Bundestag. Sollte die Union den nächsten Kanzler stellen, will Frei das Bürgergeld in dieser Form abschaffen. © IMAGO/M. Popow

Vor Neuwahlen: Rot-Grün und Union mit gemeinsamen Gesetzen?

Hat sich denn der Ton anderer Parlamentarier gegenüber der Union verändert?

Ja, das kann man schon sagen. Das Ampel-Aus war eine Zäsur, und die Union wird seitdem nicht mehr als klassische Oppositionsfraktion wahrgenommen. Wie uns nun Verantwortung für ausstehende Ampel-Gesetze zugedacht wird, hat eine neue Dimension erreicht.

Rot-Grün ist auf CDU und CSU für Mehrheiten angewiesen. Kommen noch Gesetze in den verbleibenden Sitzungswochen?

Man muss realistisch sein: Es sind nur noch wenige Wochen bis zu Wahl, und das liegt an der Ampel. Wir brauchen eine neue Regierung. Es wäre völlig übertrieben, zu erwarten, dass wir jetzt holterdiepolter Ampel-Gesetzen zustimmen, an denen die zerbrochene Regierung selbst über ein Jahr laboriert hat und die trotzdem nicht einmal in den Bundestag eingebracht sind. Das wäre naiv.

Und trotzdem: Handlungsunfähigkeit auf Bundesebene steht Deutschland nicht gut zu Gesicht.

Wir als Union unterstützen, was dem Land Stabilität gibt und was zeit- und sachkritisch ist. Das haben wir schon mit der Novellierung der Höfeordnung gemacht, ebenso mit der Verlängerung der Telekommunikationsüberwachung bei Wohnungseinbrüchen. Diese Regelung wäre ansonsten im Dezember ausgelaufen.

Gibt es noch weitere Vorhaben, bei denen Sie bereit für eine Zusammenarbeit sind?

Wir haben unsere grundsätzliche Bereitschaft beim Abschluss des Filmförderungsgesetzes signalisiert. Auch beim Thema der Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts waren wir von Anfang an beteiligt. Es geht auch um technische Fragen wie die vorgezogene Kredittilgungen Griechenlands beim IWF, die wir unterstützen. Außerdem laufen Anfang nächsten Jahres Bundeswehrmandate aus. Auch da sind wir bereit zur Zusammenarbeit.

CDU will Heizungsgesetz abschaffen

Sollten Sie bald regieren, was würde vom Heizungsgesetz bleiben?

Nicht besonders viel. Wir wollen nicht in die Heizungskeller der Menschen hineinregieren. Einen generalisierten Ansatz für alle halten wir für falsch. Stattdessen braucht es einen marktwirtschaftlichen Weg über die CO₂-Bepreisung. So machen es auch die Skandinavier. Wenn klar ist, wie sich der CO₂-Preis entwickelt, können die Menschen eigenständige Investitionsentscheidungen für Heizung und Isolierung fällen. Wir brauchen keine staatliche Mikroregulierung.

Apropos Regulierung. Sie legen den Fokus im Wahlkampf auf die Wirtschaft. Woran krankt diese derzeit?

Wir stecken das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik das zweite Jahr in Folge in einer Rezession und erleben einen gigantischen Kapitalabfluss. Das zeugt von einer schleichenden Deindustrialisierung. Und das sehen wir jetzt auch am Arbeitsmarkt. Uns fehlen etliche Arbeitskräfte, und trotzdem entlassen VW, Ford und andere Tausende Mitarbeiter. Dadurch wird diese Wirtschaftskrise leider für viele Familien ganz konkret und bedrohlich. Die Bundesregierung will einzelne Branchen oder sogar bestimmte Unternehmen subventionieren. Gleichzeitig werden Förderprogramme quasi über Nacht eingestampft. Das halte ich für einen grundfalschen Weg.

Wie wollen Sie die Wirtschaft wieder in Schwung bringen?

Wir brauchen insgesamt mehr Wettbewerbsfähigkeit für den Standort Deutschland, müssen von den hohen Energiepreisen runterkommen. Wir brauchen auch eine Unternehmenssteuerreform, sodass nicht ausgeschüttete Gewinne mit maximal 25 Prozent besteuert werden. Damit wären wir im Übrigen kein Niedrigsteuerland, sondern im OECD-Durchschnitt. Und wir müssen unser Arbeitskräftepotenzial in Deutschland besser aktivieren. Da geht es um mehr Netto vom Brutto für leistungsbereite Menschen. Kleine und mittlere Einkommen werden viel zu schnell besteuert, sodass sich Arbeit im Vergleich zu staatlichen Transferleistungen oft nicht mehr lohnt.

„Das Bürgergeld muss weg“

Sie sprechen vom Bürgergeld?

Das Bürgergeld in dieser Form muss weg. Wir haben Arbeitskräftemangel und gleichzeitig 1,7 Millionen arbeitsfähige und gesunde Menschen im Bürgergeld. Bei der Karenzzeit und der Zumutbarkeit von Arbeit müssen wir Verschärfungen vornehmen. Es geht nicht darum, den wirklich Bedürftigen etwas wegzunehmen, sondern Leistungsunwillige von diesen Leistungen abzuschneiden.

Der Grundgedanke vom Bürgergeld – Menschen nicht nur kurzfristig, sondern durch passgenaue Förderungen langfristig in Arbeit zu bringen – ist doch kein schlechter, oder?

Jedenfalls funktioniert er nicht, denn die Zahl der Bürgergeldempfänger steigt und steigt, während die Wirtschaft die Arbeitskräfte bräuchte. Es muss darum gehen, schnell wieder in Arbeit zu kommen und Weiterbildungen dann gegebenenfalls berufsbegleitend zu machen. Das Bürgergeld kostete im vergangenen Jahr rund 50 Milliarden bei einem Gesamthaushalt von etwa 480 Milliarden Euro. Wir können uns das nicht mehr leisten.

Nicht mehr leisten kann sich Deutschland Ihrer Ansicht nach auch den Investitionsstau. Die Schuldenbremse noch vor der Wahl zu reformieren und mehr Geld zu investieren, schließen Sie aber aus?

Ja, das schließen wir absolut aus. Der Bundeskanzler will die Schuldenbremse schleifen oder gar abschaffen. Er sagt uns aber nicht mal, welche Schwerpunkte er für Investitionen setzen will. Scholz betreibt Politikverweigerung, da er nicht bereit ist, Aufgaben zu priorisieren. Und übrigens: Selbst mit Schuldenbremse plant die Bundesregierung fürs kommende Jahr mehr als 50 Milliarden Euro neue Schulden. Und das in Zeiten von Rekordsteuereinnahmen. Wir müssen mit dem Geld auch mal auskommen.

Teures Wohnen als die soziale Frage

Das Deutsche Wirtschaftsinstitut spricht in den kommenden zehn Jahren von 600 Milliarden Euro, die Deutschland in Straßen, Brücken und Co investieren muss. Wie wollen Sie so viel Geld aufbringen?

Heruntergerechnet sind das 60 Milliarden pro Jahr. Und davon muss das meiste nicht vom Bund, sondern den Ländern und allen voran den Kommunen investiert werden. Und da müssen wir ansetzen, die Kommunen müssen ihre Aufgaben wieder bewältigen können. Wir haben Kommunen in den letzten Jahren so mit sozialpolitischen Standards malträtiert, dass sie kaum noch ihre Haushalte finanzieren können. Das kommt, weil der Bund die sozialen Leistungen permanent ausgeweitet hat. Das muss aufhören. Wenn wir allein von über 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern eine Million in Arbeit bekämen, würden wir jährlich 30 Milliarden Euro sparen. Ein Prozent Wirtschaftswachstum bedeutet 12 Milliarden Euro Mehreinnahmen für den Staat.

Wie sieht es jenseits der Rückabwicklung des Bürgergelds aus, wofür steht die Union sozialpolitisch? Bei Themen wie Rente, Kindergeld oder Wohnen machen sich die Menschen Sorgen.

Besonders das Wohnen ist kein reines Problem der Metropolen mehr, das ist auch in meinem ländlichen Wahlkreis im Schwarzwald angekommen. Da gibt es nicht die Wohnungsnot wie in München, aber zu wenige Wohnungen haben wir auch dort. Der deutsche Städtetag spricht von 800.000 fehlenden Wohnungen. Das Wohnen ist die soziale Frage schlechthin. Wir müssen deshalb das Bauen billiger machen, komplizierte Vorschriften reduzieren und mehr Förderungen auf den Weg bringen, etwa durch die Senkung der Grunderwerbssteuer für das erste, selbstgenutzte Wohneigentum.

Auf Ihrem Schreibtisch liegt Angela Merkels neu erschienenes Buch. Besonders die Migrationspolitik von 2015 verteidigt sie im Buch konsequent. Was halten Sie davon?

Ich habe mit dem Lesen erst angefangen. Politik muss immer im Rahmen der jeweiligen Zeit gesehen werden. 2015 gab es viele Probleme, und wir haben darauf reagiert. 2019 haben wir dann ein großes Migrationspaket auf den Weg gebracht. Trotzdem haben wir zu lange die falschen Signale in die Welt gesendet: dass jeder nach Deutschland kommen kann. Ich möchte die Entscheidung der Bundeskanzlerin von damals nicht infrage stellen – aber im Nachgang hätten wir schneller und beherzter umsteuern müssen. Das war ein Fehler.

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