Belarus „wählt“: Wie Lukaschenko das Land seit den Protesten lähmt – und warum er im Putin-Dilemma steckt
Alexander Lukaschenko lässt sich nochmal formal als Belarus‘ Präsident bestätigen. Eine Expertin schildert die düstere Lage bei Russlands Verbündetem.
Es scheint in mehrerlei Hinsicht wie eine ferne Erinnerung: Als sich im Sommer 2020 Alexander Lukaschenko wieder zu Belarus‘ Präsidenten küren ließ, hielt Corona die Welt im Griff. Russland hatte noch lange nicht die vollständige Invasion in die Ukraine begonnen – und in Minsk protestierten Hunderttausende gegen die manipulierte Wahl Lukaschenkos.
Klar ist: Die Welt ist mittlerweile eine andere. Auch in Belarus. Die Proteste 2020 wurden nach Monaten brutal niedergeschlagen. Wenn am Sonntag (26. Januar) erneut „Präsidentschaftswahlen“ in Belarus anstehen, wird es trotz des längst ausgemachten Sieges Lukaschenkos keinen großen Widerstand mehr geben – da ist sich Olga Dryndova sicher. „Das bedeutet nicht, dass die prodemokratische Stimmung verschwunden ist. Sondern, dass es einfach nicht mehr sicher ist, irgendeine Art von Aktivität zu zeigen“, sagt die Expertin der Forschungsstelle Osteuropa der Uni Bremen und gebürtige Belarusin der Frankfurter Rundschau.

Zugleich gilt laut Dryndova: Wie es im Inneren Belarus‘ weitergeht, wird auch vom Außen abhängen. Nicht zuletzt mit dem Ukraine-Krieg und seinen Auswirkungen auf den großen Nachbarn Russland.
„Wahl in Belarus“: 2025 „null“ Chance auf Proteste gegen Lukaschenko
Auf „null“ beziffert Dryndova indes die Chance auf erneute große Proteste in Belarus. Der Widerstand von 2020 habe Lukaschenkos Regime – nach einer vorangegangenen, rund fünf Jahre währenden Liberalisierungsphase – einen „Schock“ versetzt. Niemand habe damals mit einer solchen „Antwort“ auf die manipulierten Wahlen gerechnet, sagt die Expertin. Statt dem Westen einen Anschein von Demokratisierung zu präsentieren, wolle das Regime bei den Wahlen 2025 Kontrolle demonstrieren. Das Mittel dazu ist Repression. „Die Menschen haben Angst, zu protestieren. Oder sie sind schon verhaftet. Oder sie mussten das Land verlassen“, erklärt die Expertin.
Es ist nicht so, dass es überhaupt keine Zivilgesellschaft in Belarus gibt. Aber es ist komplett unmöglich, irgendetwas Politisches zu unternehmen, was nicht mit dem Staat vereinbart wurde.
Zwar habe Lukaschenko zuletzt in mehreren Wellen politische Gefangene begnadigt. Die aber befänden sich samt ihrer Familien weiter unter Beobachtung der Sicherheitsdienste. „Und natürlich ist man nach mehreren Jahren Haft ein anderer Mensch“, fügt Dryndova hinzu. Belarusische Gefängnisse – insbesondere die Bedingungen für politische Gefangene – stünden immer noch „in den schlechtesten Traditionen der Sowjetunion und des KGB“. „KGB“ heißt Belarus‘ Inlandsgeheimdienst noch heute.
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Belarus‘ Exil-Opposition tut sich schwer – gerade wegen Lukaschenkos Repressionen
Offene Opposition im Land gibt es nicht mehr – auch nicht unter den vier offiziellen Gegenkandidaten Lukaschenkos. Am ehesten in die Kategorie könnte noch Hanna Kanapazkaja fallen. Doch die frühere gemäßigte Oppositionsabgeordnete ist längst auf Lukaschenko-Kurs eingeschwenkt und kritisiert „die politischen Zentren der Demokratiebewegung im Exil“, wie Christopher Forst, Belarus-Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung, im Journal für Internationale Politik und Gesellschaft notiert.
Das bekannteste Gesicht der Exil-Opposition ist Swetlana Tichanowskaja. Prominente Lukaschenko-Widersacher wie Maria Kolesnikowa und Viktor Babariko sind weiter inhaftiert.
Umfragen aus Belarus
Die Datenlage ist schwierig – die Teilnahme an Umfragen ist unter repressiven Regimen häufig mit Ängsten verbunden. Der britische Thinktank Chatham House führt dennoch nach einem recht komplexen Schema Online- und Telefon-Befragungen durch. Das auch nach Ansicht der Studienautoren durchaus mit etwas Vorsicht zu interpretierende Ergebnis einer jüngst veröffentlichten Erhebung: 36 Prozent der Belarussinnen und Belarussen halten das Wahlergebnis für (teilweise) vorbestimmt, weitere 27 Prozent sind sich in dieser Hinsicht „nicht sicher“. In städtischen Regionen Belarus‘ seien „politisch neutrale“ Haltungen vorherrschend, „prodemokratische“ Gruppen aber „weithin vertreten“. Die Daten legen zugleich nahe, dass das Pro-Regierungs-Lager mindestens ähnlich groß ist, wie das der Prodemokraten und wirtschaftlich Unzufriedenen.
Wird Tichanowskaja in Belarus überhaupt wahrgenommen? Es gebe durchaus Kontakte der „aktiven Gesellschaft“ inner- und außerhalb Belarus‘, sagt Dryndova. Allerdings sei es für die Opposition schwer, breitere Bevölkerungsschichten zu erreichen: Nicht-staatliche Medien seien gesperrt – und selbst wer das Problem per VPN technisch umgeht, sei in Gefahr: Smartphonekontrollen seien möglich. Wer dann ein als „extremistisch“ gebrandmarktes Medium wie etwa die Deutsche Welle im Verlauf hat, bekomme Probleme.
Lukaschenko unter Druck: „Abhängigkeit von Russland für ihn langfristig nicht attraktiv“
Wie aber wird es weitergehen? Ziemlich sicher mit Lukaschenko. Der habe im Wahlkampf zwar von einem „Generationenwechsel“ gesprochen und sich bereits volle Immunität für den Fall eines Abtretens gesichert, erklärt Forst der Frankfurter Rundschau. Aber: „Rückzugsankündigungen gehören bei ihm zum politischen Spiel“. Es gebe „aktuell keinen Anlass zu erwarten, dass Lukaschenko derartigen rhetorischen Mitteln nun plötzlich Taten folgen lassen wird“.
Dryndova sieht die Teil-Freilassung politischer Gefangener vor der Wahl auch als einen „Test“ Lukaschenkos, ob Annäherung mit dem Westen noch möglich ist. Für Lukaschenko sei es wichtig, als Lenker eines eigenständigen Staates wahrgenommen zu werden: „Er versteht selbst, dass die gravierende Abhängigkeit von Russland für ihn langfristig nicht attraktiv ist“, sagt sie.
Putin hat Lukaschenko geholfen – nur bereitet er auch Sorgen
Allzu positive Perspektiven hat Lukaschenko Dryndovas Einschätzung zufolge aber nicht. So könne ein aus dem Ukraine-Krieg geschwächt hervorgehender Wladimir Putin nach Kompensation durch eine Einverleibung Belarus‘ streben – nicht durch einen Krieg, sondern durch Ausbau des „Unionsstaates“, oder eine neue Kreml-Marionette an der Spitze. Ein gestärktes Russland wiederum könne das Interesse an Lukaschenko verlieren.
Forst zufolge könnte ein ferner Ukraine-Friedensschluss etwa mit Abrüstungsvereinbarungen Belarus‘ sehr gelegen kommen. Russland sei schließlich nicht nur ein Verbündeter – sondern auch „ein sehr viel größeres Nachbarland mit einer sehr viel stärkeren Armee“. Momentan habe der Kreml zwar keinen Anlass für eine Einverleibung Belarus‘. „Aber es ist ja nicht gesagt, dass das für immer so bleibt.“
Und der Westen? Die Freilassung von mehreren hundert politischen Gefangenen sei schwer zu ignorieren, meint Dryndova. Andererseits laute die Forderung eigentlich auf Freilassung aller politischer Gefangener und freie Wahlen. „Es wird für Lukaschenko unmöglich sein, das als Paket anzubieten“, sagt die Expertin.
Im Bereich seiner Möglichkeiten liegt aber, die EU auf anderem Wege an seine Existenz zu erinnern. „Die Zahl der Migranten, die versuchen, über Belarus illegal in die EU einzureisen, wird wohl wieder steigen, sobald es wärmer wird“, schreibt Forst. Lukaschenko instrumentalisiert Migration über die Grenze zu Polen, Litauen und Lettland als Druckmittel. Nur zu oft mit schlimmen Folgen für die Betroffenen. (fn)