Waldgeschichten auf dem Sonnenbankerl: Von Bäumen, Filmen und einem Puma in der Jachenau
Nach 21 Jahren als Revierleiter in der Jachenau geht Hans Bierling in den Ruhestand. Im Abschiedsinterview spricht er über den Wald, Dreharbeiten und den Plan, einen Puma in der Jachenau anzusiedeln.
Jachenau – Hans Bierling hat in seinen 21 Jahren als Revierleiter in der Jachenau einige skurrile Anfragen erlebt. Doch das Ansinnen, Bisons und einen Puma für Dreharbeiten an der Hinteren Scharnitzalm anzusiedeln, war vielleicht die eigenartigste. „Der Puma wäre auch schon zwei Wochen vor Drehbeginn gekommen, damit er sich an den neuen Lebensraum gewöhnt“, erinnert sich Bierling schmunzelnd. Das Filmprojekt zerschlug sich, bevor er ausführlich erklären musste, warum das mit dem Puma generell keine so wahnsinnig gute Idee ist. Künftig wird sich mit derartigen Anfragen Nachfolger Philip Müller befassen müssen, denn Bierling ist seit wenigen Tagen im Ruhestand.
Erster Arbeitsplatz im Ebersberger Forst „war ein Sechser im Lotto“
Eigentlich hätte er in Dorfen (Landkreis Erding) in das Bekleidungsgeschäft seiner Eltern einsteigen sollen. Er habe aber schon immer eine Passion für Wald und Jagd gehabt, erzählt der 66-Jährige. Also beschloss er, nach dem Zivildienst Forstwirtschaft in Weihenstephan zu studieren. „Für meine Mutter war das ein Riesenschock“, sagt er.
Schon sein erster Arbeitsplatz „war ein Sechser im Lotto“. Nur 20 Kilometer weg von daheim stieg er ins Revier Hohenlinden im Ebersberger Forst ein. Bierling liebte den Job, das hört man selbst Jahrzehnte später noch, wenn er davon erzählt. „Ich war emotional an diesen Wald gebunden. 15 Jahre habe ich dort mitarbeiten dürfen.“ Nur eines bot das Revier nicht: Berge. Doch genau dorthin zog es Bierling. Als die Jachenau frei wurde, bewarb er sich. „Diese Kombination aus Fels, Bergwald und Wasser – das gibt es nirgendwo sonst. Ich kann da arbeiten, wo andere Urlaub machen.“
Die Zustände am Walchensee waren am Anfang chaotisch
Doch gleich am Anfang kamen Bierling leise Zweifel, ob seine Wahl wirklich die richtige war. „Ich hab am 1. August, mitten im Hitzesommer 2003, angefangen“, erinnert er sich. Als Erstes fuhr er zum Walchensee. „Dort war damals nichts geregelt. Die Leute sind mit den Liegen auf der Straße gelegen. Die Zustände waren chaotisch.“ An einigen Stellen versperrte Gestrüpp den Seezugang. „Da hing Müll ohne Ende drin. Das war eine meiner ersten Taten: das Gestrüpp zu beseitigen“, sagt er. Generell habe er zum ersten Mal erlebt, „was Massentourismus bedeuten kann. Ich hatte mich so gefreut auf meine Gebirgsregion. Das war ein Kulturschock“, sagt er.
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Ein Jahr später erlebte er die Forstreform mit und den Umbau der früheren Forstämter zu einem Wirtschaftsunternehmen. Sein Revier wurde größer. Heute erstreckt es sich auf 3800 Hektar von der Benediktenwand bis zum Hirschbachsattel.
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Hündin Nannerl ist elf Jahre alt – „aber im Herzen ein Welpe“
Mit den Jachenauern kam er von Anfang gut zurecht. Vielleicht auch deshalb, weil Bierling mit seiner bodenständigen, direkten Art gut in das Tal passte. „Es ist ganz entspannt angelaufen“, erinnert er sich. So ist das Verhältnis bis heute. Immer wieder muss er das Abschiedsinterview, das auf einem Sonnenbankerl in den Jachenauer Bergen stattfindet, unterbrechen, weil Vorbeikommende kurz mit ihm ratschen und ihm alles Gute für den Ruhestand wünschen wollen. „Ich habe mich nie angebiedert, aber man muss kompromissbereit sein“, sagt er rückblickend. „Die Jachenauer sind sehr pragmatisch. Ich schätze diese Menschen. Sie arbeiten viel, keiner ist großkotzig. Die Dorfgemeinschaft ist sensationell. Ich fühle mich hier sauwohl.“ Das ist ein Grund, warum er erst einmal in der zweiten Wohnung im Forsthaus bleiben wird. Der andere ist Hündin Nannerl. Es sei nicht einfach, eine Wohnung zu finden, wenn man einen Hund mitbringe, sagt Bierling. Aber „die alte Dame“ müsse auf jeden Fall mit. Elf ist sie mittlerweile, „aber im Herzen ein Welpe“.
Manche benutzen die Natur „nur als Kulisse“
Eine der größten Herausforderungen in den über 20 Jahren in der Jachenau sei es gewesen, die Auswirkungen des Freizeitdrucks am Walchensee, aber auch in den Bergen irgendwie in den Griff zu bekommen. Und das werde es mit Blick auf den Zuzug im Großraum München auch bleiben. Es gebe immer Menschen, die nicht sorgsam mit der Natur umgehen, „die sie nur als Kulisse benutzen“, sagt Bierling. Er kann sich an Instagram-Fotos erinnern, für die Influencerinnen einfach eine Berghütte mit allerlei Firlefanz dekorierten – ohne vorher den Eigentümer zu fragen. „Sie haben sie komplett illuminiert für ein Sonnenaufgangsevent. Danach war das Gelände komplett vermüllt, aufgeräumt haben dann wir“, sagt Bierling. Dass das wilde Campen auf den Berggipfeln zunimmt, betrachtet er ebenfalls mit Sorge. „Und es gibt keinen Steig, der heute nicht digitalisiert und zugänglich gemacht ist.“
Schauspieler Eric Bana wollte wissen, wie man Wild aufbricht – aber nur aus der Ferne
Bei der Arbeit im Wald hatte es Bierling in den vergangenen Jahren weit häufiger als früher mit Schadensereignissen wie Schneebruch oder Windwurf zu tun, die oft auch noch den Borkenkäfer im Schlepptau hatten. Die Esche ist durch einen aus Asien eingeschleppten Pilz schon jetzt weitgehend verloren. „Das wird das Landschaftsbild komplett verändern“, bedauert er. Auch wenn es immer noch die Hoffnung gebe, dass einige Bäume resistent gegenüber dem Eschentriebsterben sind.
Neben der eigentlichen Arbeit standen aber auch immer wieder besondere Projekte an. Möglicherweise gibt es kein anderes Revier, in dem so viel gedreht wird wie in der Jachenau. Da waren die beiden Wickie-Filme. Bierling denkt immer noch gerne an das große Schiff zurück. „Wenn man morgens zum See kam, das hat so wahnsinnig ausgeschaut, wie aus einer anderen Zeit.“ Die internationale Filmproduktion „Wer ist Hanna?“ mit Saoirse Ronan, Cate Blanchett und Eric Bana wurde in Leger gedreht. Bierling und ein Kollege mussten dem Hauptdarsteller dafür zeigen, wie man Wild aufbricht. Bana wollte es aber offenbar nicht aus der Nähe sehen. „Deshalb ist eine Fotosequenz davon aufgenommen worden“, sagt Bierling. Dazu kamen unzählige Fernsehfilme und Werbeaufnahmen.
Aufregender Drehtag bei Vilsmaiers Brander Kaspar
Den Anfang machte aber Joseph Vilsmaier, der 2007 in der Jachenau den Brandner Kaspar drehte. Ein Tag sei besonders chaotisch gewesen, erinnert sich Bierling, der selbst als Statist mitwirkte. Schon morgens um 5 Uhr musste er dafür in die Maske – und dann in vollem Ornat zu einem Wildunfall. Später ging das Auto, das die Requisiten zum Dreh auf den Berg bringen sollte, in Flammen auf. „Das war der erste Hubschraubereinsatz an dem Tag.“ Den zweiten gab es, als ein Mitwirkender an der Hinteren Scharnitzalm über eine Hundeleine stolperte, gegen einen Fels prallte und sich die Schulter brach. Da fiel es kaum noch ins Gewicht, dass wenig später ein Hund einem anderen ein Stück Ohr abbiss, sich das Opfer einmal kräftig schüttelte und das gesamte Set samt Schauspielern mit einem feinen Blutregen überzog.
Unsere Natur verzeiht viele Fehler, auch die meinen
Bierling hat viele dieser Geschichte zu erzählen. Künftig wird er sich nun aber weniger mit Dreharbeiten, sondern mehr mit Malen und Zeichnen beschäftigen. „Ich bin ein reiner Autodidakt“, sagt er. Lediglich einen Kurs hätten ihm seine Kinder – er hat drei – einmal zum Geburtstag geschenkt. Sein Vorbild ist der niederländische Maler Rien Poortvliet (1932-1995). Er gilt als einer der besten Maler von Tieren und Jagdszenen. „Wenn ich nur fünf Prozent seines Talents hätte...“, sagt Bierling. „Jachenauer Eindrücke“ zeichnet er gerade – und hier vor allem die Menschen, die er kennengelernt hat. Ansonsten freut er sich über mehr Zeit mit den drei Enkeln. Zudem kümmert sich Bierling um seine pflegebedürftige Mutter.
Dass er mit Philip Müller einen jungen, engagierten Nachfolger hat, beruhigt ihn. „Es ist gut, dass es jemand ist, der das mit demselben Enthusiasmus weitermacht.“ Er selbst habe nie etwas anderes machen wollen. Letztlich wisse er aber, „dass wir alle nur ein kleines Rad sind. Unsere Natur verzeiht viele Fehler, auch die meinen.“ Und auch das sei beruhigend. Dankbar ist er für die „Spitzenmannschaft“ an Waldarbeitern, die ihm zur Seite stand. „Ich habe ihnen viel zu verdanken. Sie sind eher Freunde als Arbeitskollegen.“