Kaffee wird zum Luxusgut: Wie Discounter-Kunden jetzt reagieren

Endlich scheint die Sonne mal wieder in der Bundeshauptstadt, da verfinstern sich Mienen schnell aufs Neue, wenn ein Reporter vor Supermärkten Kunden abpasst und Fragen zu explodierenden Kaffeepreisen stellt. "Ich habe gerade Kaffeetabs gekauft und tatsächlich vor dem Regal gedacht: Hey, die haben doch letzte Woche noch 3,50 Euro gekostet. Und jetzt kosten sie plötzlich 3,99 Euro", ärgert sich Dilek Eroglu.

Die 50-jährige Mutter zweier Kinder steht an diesem 2. April am frühen Nachmittag vor einem Lidl-Markt in Kreuzberg auf dem Kundenparkplatz und verstaut gerade die Einkäufe für ihre vierköpfige Familie im Kofferraum des Wagens.

Zum Verzicht hat die Preisexplosion beim Kaffee zwar noch nicht geführt, sagt die 50-Jährige. Ihr Mann und sie arbeiteten beide, sie könnten sich teureren Kaffee leisten. "Aber irgendwann ist eine Grenze erreicht, irgendwann reicht's", schimpft Eroglu.

Alles sei teurer geworden, die Preise für Lebensmittel seien in den letzten ein, zwei Jahren um das Doppelte gestiegen. "Ein paar Erhöhungen, das ginge schon. Aber wenn plötzlich alles noch teurer wird, dann werden wir auch mal auf ein paar Dinge verzichten. Das haben wir auch schon bei anderen Produkten gemacht wie zum Beispiel Philadelphia." Damit ist ein Frischkäse zum Streichen gemeint. "Bis dahin achten wir genau auf Sonderangebote und kaufen dort, wo es am billigsten ist."

Experten erwarten weiteren Preisanstieg für Kaffee von 30 Prozent bis Jahresende

Die Teuerungsraten beim Kaffee haben abenteuerliche Wachstumskurven hingelegt. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Laut Statistischem Bundesamt sind die Preise nicht nur für Kaffee, sondern auch für Tee, Kakao und Gewürze im Großhandel besonders stark gestiegen. Im Vergleich zum Januar 2024 mussten in diesem Jahr durchschnittlich 34,4 Prozent mehr für diese Produkte gezahlt werden.

Gründe dafür gibt es gleich mehrere. Die Kaffeeproduktion ist stark klimaabhängig. Trockenheit und Hitze, die immer weiter zunehmen, lassen die Ernteerträge schrumpfen. Die Nachfrage wächst, kann aber nicht mehr abgedeckt werden. Folglich schießen die Preise in die Höhe. Einige Supermärkte gehen sogar schon so weit, dass sie den Kaffee wegsperren.

"Die ersten Kaffeesorten kosten jetzt im Lebensmitteleinzelhandel schon mehr als zehn Euro je Pfund", erklärte Arthur Darboven, Miteigentümer des Rohkaffeehändlers Benecke Coffee, der "Welt". Und prognostizierte, dass dieser Preis sich in den kommenden Monaten kaum halten lassen werde. Experten erwarten, dass der Preis für ein Pfund Kaffee bis Ende des Jahres um weitere 30 Prozent steigen könnte. Laut einer Umfrage der ARD-Verbraucherredaktion gaben 25 Prozent der Befragten an, wegen der Preisinflation bereits weniger Kaffee zu trinken.

Kaffeepreise in einem Supermarkt. (Symbolbild)
Kaffeepreise in einem Supermarkt. (Symbolbild) FOL

"Kehre immer öfter zur Kaffeemaschine zurück und nehme einen halben Löffel raus"

Die Berlinerin Alexandra H. zählt dazu. "Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Meines ist eben Kaffee. Und das wird auch so bleiben. Aber dass die Preise bei diesem Grundnahrungsmittel nun immer weiter steigen, das ist einfach nicht mehr in Ordnung. Immer öfter kehre ich inzwischen zur Kaffeemaschine zurück und nehme deswegen einen halben Löffel gemahlenen Kaffee wieder aus dem Filter raus", erklärt die 59-Jährige FOCUS online auf einem anderen Lidl-Kundenparklatz in Kreuzberg.

Zwar könne sich ihre Familie den teurer werdenden Kaffee leisten, das sei nicht das Problem. Für andere aber, die weniger Geld zur Verfügung hätten, sähe das anders aus.

Berlinerin will eigenen Kaffee anbauen - auf Plantage in Rostock

Um nicht noch mehr und noch länger abhängig sein zu müssen von den immer weiter steigenden Preisen, ist Alexandra H. erst vor wenigen Tagen auf eine Idee gekommen, die für Deutschland ziemlich ungewöhnlich ist - sie will Kaffee selbst anbauen.

"Ich habe mich am Wochenende mit meinem Sohn hingesetzt und nach einer geeigneten Liegenschaft gesucht, die wir für einen gerechten Preis pachten können. Wir sind in Rostock fündig geworden", so die 59-Jährige, die sich auch als "Lebensmittelretterin" für "Foodsharing" engagiert.

In wenigen Tagen will Alexandra H. mit ihrem Sohn in die Hansestadt hinfahren und sich anschauen, ob sich dort der Betrieb eines Gewächshauses lohnt. "Wir haben uns schon informiert, Kaffee selbst anzubauen ist gar nicht so schwierig. Ich will das Projekt unbedingt auf die Beine stellen", sagt H., die als Job-Coach arbeitet.

"Wenn ich könnte, würde ich Lebensmittel direkt beim Bauern kaufen"

Andrea, die im Bergmannkiez in Kreuzberg wohnt und in der Verwaltung arbeitet, zuckt ratlos die Schultern in die Höhe, als sie nach ihrem Einkauf aus einem Netto-Markt herauskommt. "Was mir schmeckt, das kaufe ich mir, daran werden auch die höheren Kaffeepreise nichts ändern", sagt die Mittfünfzigerin, die ganz in Schwarz gekleidet ist.

Was sie am meisten ärgert: Dass vor allem der Handel von den ständig steigenden Preisen profitiere. "Wenn das Geld wenigstens bei den Bauern ankäme, dann wäre die Preissteigerung für mich in Ordnung. Wenn ich könnte, würde ich direkt beim Erzeuger einkaufen. Aber das funktioniert nicht, wenn man wie ich in einer Großstadt lebt", sagt Andrea. 

Zwei Tassen Kaffee pro Tag - "ein bisschen Luxus muss sein"

Mit Gemach hingegen schaut Franz-Josef Müller, der sich nach dem Einkauf direkt vor dem Eingang des Netto-Marktes auf der Sitzfläche seines Rollators ausruht, auf die Preisexplosion beim Kaffee. 

Zwar schmeckt auch dem 81-Jährigen die Preiserhöhung nicht. Doch aus der Fassung werde ihn das nicht bringen, versichert er. "Ich habe vor der letzten größeren Preiserhöhung einen Zehnerpack von meinem Lieblingskaffee gekauft. Da ich pro Tag nur zwei kleine Tassen trinke, werden die zehn Pfund bis weit ins nächste Jahr reichen", so Müller. "Und ein bisschen Luxus muss sein", schiebt der 81-Jährige mit einem verschmitzten Lächeln hinterher.