Gastronom lässt seine Bar an der Festwiese zur Wiesn-Zeit zu: „Die meisten haben nach Zeltschluss schon genug“
Die Wiesn steht vor der Tür. Anwohner erzählen von ihrem Leben neben dem Oktoberfest, manche verfolgen das Treiben vom Balkon aus.
München – Das größte Volksfest der Welt liegt ihnen zu Füßen. Wenn Thomas Eymer (68) und Martin Iwersen (75) auf ihren Balkon gehen, blicken sie herab – auf die Embleme der Festhallen, die haushohen Türme der Brauereien und auf die geschwungenen Kurven der Alpina-Achterbahn. Wenn das Oktoberfest am Samstag zum Leben erwacht, beginnt auch für die Anwohner eine andere Zeit: „Dann schallen die Prosits der Gemütlichkeit zu uns auf den Balkon, dann können wir wieder den Duft der gebrannten Mandeln riechen“, sagt Eymer.
Wohnen neben dem Oktoberfest: „Man fühlt die Begeisterung“
Seit über 20 Jahren wohnen sie im fünften Stock eines Hauses nahe der Theresienwiese. Für sie ist die Wiesn und das Drumherum zur wiederkehrenden Routine geworden. „Eine Belastung ist das Fest nicht, wir wussten ja, worauf wir uns einlassen“, sagt Eymer lachend. Dennoch ist klar: Die Betrunkenen, die Schwarzparker, das alles kriegen sie natürlich aus erster Reihe mit.

Doch die Wiesn habe etwas Magisches: „Wenn die ganzen jungen Menschen am ersten Tag schon um sechs Uhr morgens Schlange stehen, auf das Gelände stürmen. Man fühlt die Begeisterung“, sagt Iwersen. Selbst gehen sie aber nicht auf das Fest. Das Schauspiel können sie ja von ihrem Balkon aus mitverfolgen.
Gastronom lässt seine Bar zur Wiesn-Zeit zu: „Nicht wirklich ein Geschäft“
Rund eineinhalb Kilometer entfernt, auf der anderen Seite der Theresienwiese, liegt die Bar Gabányi. Während des Fests sperrt Betreiber Stefan Gabányi (67) sein Lokal gar nicht erst auf: „Die Wiesn ist für viele Gastronomen nicht wirklich ein Geschäft“, sagt er. Anfangs, vor mehr als zehn Jahren, versuchte auch er von dem Fest zu profitieren – er experimentierte sogar mit einem Stehausschank: mit Würschteln, Schnaps und Bier. „Das funktionierte gar nicht!“
Mittlerweile versucht er erst gar nicht mehr, die Wiesn ist für ihn geschäftlich uninteressant: „Die meisten Leute haben bei Zeltschluss ohnehin bereits genug getrunken. Wenn die zu uns kommen, bestellen sie noch eine Runde Bier und dann kann man froh sein, wenn es ihnen nicht direkt wieder aus der Hand fällt. Viele schlafen an der Bar ein oder fangen an zu stänkern – all das stört natürlich auch die anderen Gäste“, erzählt der Bar-Chef. Seit 2014 sperrt er daher während des Oktoberfests zu.

Meine news
Beim Hotel Krone ist die Lage eine andere – seit 2018 verwandeln sich Bar und Frühstücksraum des Boutique-Hotels an der Theresienhöhe während des Oktoberfests regelmäßig in einen Wiesn-Club: „Unsere Lage direkt neben der Festwiese ist optimal“, sagt Hoteldirektor Matthias Kolle (30). Für den Club werden im Hotel zwei Dancefloors und vier Bars eingerichtet, gefeiert wird täglich ab 22.30 Uhr bis drei Uhr früh.
Der zusätzliche Aufwand, der für Security, Reinigungspersonal und Umbauten, sei durch das Geschäft im Wiesn-Club gedeckt, erzählt Inhaber Alexander Lutz (58): „Wir haben pro Abend einen Durchlauf von 500 bis 600 Gästen. Da kommen wir in zwei Wochen auf einen guten Umsatz.“ Um die Sicherheit der Feiernden zu gewährleisten, passt ein Security-Dienst auf, dass niemand unberechtigt in die Hotelflure gelangt und im Club friedlich gefeiert werden kann. Auch das Hotel-Personal wird im Umgang mit alkoholisierten Gästen geschult. „Es kommt vor, dass in den Zimmern was beschädigt oder verunreinigt wird. Dafür haftet der Gast“, sagt Hotelmanager Kolle.
„Ab 16 Uhr wird es anstrengend“: Firma stellt Bauzaun auf, um Wiesn-Besucher abzuhalten
Wie in ganz München steigen nachfragebedingt auch hier die Zimmerpreise zum Oktoberfest deutlich: 340 Euro statt regulär 140 Euro kostet das kleinste Doppelzimmer dann – den Wiesn-Präsentkorb mit Lebkuchenherz, Ohrstöpseln und Elektrolyten gibt’s gratis dazu. Ausgebucht ist das Hotel schon lange.
Ganz anders erlebt Christian Deißner (49) seine Arbeitstage während der Wiesn – er arbeitet beim Automobilclub und Rechtsschutzversicherer KS/Auxilia, sein Büro liegt in der Nähe des Haupteingangs zum Fest: „Dort strömen die Menschenmassen von allen Seiten aufs Oktoberfest“, erzählt der Marketing-Leiter. „Ab 16 Uhr wird es anstrengend. Dann torkeln die ersten Betrunkenen durch die Straßen, es staut sich vor den Eingängen“, so Deißner. Um die sogenannten Wild-Biesler und anderen Unrat vom Firmengelände fernzuhalten, errichtet das Unternehmen einen Bauzaun. Hausmeister und Stadtreinigung sorgen dafür, dass alle unschönen Hinterlassenschaften der Nacht beseitigt sind, wenn die Mitarbeiter morgens ins Büro kommen.

Um möglichst viele Menschen für das Thema Verkehrssicherheit zu sensibilisieren, bietet der Automobilclub außerdem einen gratis Alkoholtest an: „Die meisten Besucher sind überrascht, wenn sie den Promille-Stand zu ihrem Alkoholkonsum erfahren.“ Mit Rauschbrillen können noch nüchterne Gäste einen bestimmten Pegel simulieren – und erschrecken meist, wie eingeschränkt die Sicht mit 1,3 Promille ist.
Grundschule am Oktoberfest: Schüler freuen sich auf Schausteller-Kinder
Für Claudia Schöll (62) und ihre Schüler bringt das Fest einige Vorzüge – sie ist Rektorin der Schule an der Stielerstraße. Während der Wiesn kehrt Ruhe ein: „Durch die Sicherheitsabsperrungen am Bavariaring hören wir nur noch ab und an die Pferdekutschen vorbeirollen“.
Vom dritten Stock des Schulgebäudes haben Schüler und Lehrer einen herrlichen Blick über die Festwiese, das Riesenrad ist zum Greifen nah. Auf die Sicherheit der Kinder haben sie und ihre Kollegen in der Zeit ein besonderes Augenmerk: „Wir achten genau darauf, wer sich in der Schule aufhält. Manchmal verirrt sich ein Betrunkener aufs Gelände, passiert ist noch nie etwas.“ Die Polizei patrouilliert täglich die Eingänge der Schule, die Hausmeister beseitigen den typischen Wiesn-Unrat.
(Unser München-Newsletter informiert Sie regelmäßig über alle wichtigen Geschichten aus der Isar-Metropole. Melden Sie sich hier an.)
Ein Highlight für Schüler und Lehrkräfte sind die Schausteller-Kinder, die jedes Jahr zum Oktoberfest die Schule besuchen: „Heuer verteilen wir circa 20 Kinder auf die Klassen, manche bleiben vier bis fünf Wochen. Sie erzählen spannende Geschichten von der Wiesn – das bringt Schwung in die Bude.“ Neben ihren Klassenlehrern steht den Schausteller-Schülern eine Zirkus- und Schaustellerlehrkraft zur Seite, die gezielt mit ihnen übt. Ja, am Rand der Wiesn zu leben – das hat viele schöne Seiten.