Experte lobt Hamburgs Klima-Volksentscheid – aber ist in entscheidendem Punkt skeptisch

303.936 Hamburgerinnen und Hamburger haben für den „Zukunftsentscheid“ gestimmt, das entspricht 53,1 Prozent. 46,9 Prozent oder 267.495 Menschen sprachen sich dagegen aus. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei 43,7 Prozent. Ein Volksentscheid gilt als angenommen, wenn 20 Prozent der Wahlberechtigten dafür gestimmt haben. Die Hamburgische Bürgerschaft und der rot-grüne Senat müssen die Klimaneutralität nun um fünf Jahre vorziehen. 

Der Plan der Initiatoren sieht jährliche Obergrenzen für den CO2-Ausstoß vor. Dafür müssen unter anderem alle Gebäude energetisch schneller auf den neuesten Stand gebracht werden. 

Das bedeutet: Ab 2040 müssen alle Wohn- und Nichtwohngebäude mit Heizsystemen aus erneuerbaren Energien wie Wärmepumpen ausgestattet sein. Auf den Straßen wird Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit eingeführt, der PKW-Verkehr soll sich deutlich reduzieren. 

Hamburger sind beim Klimaschutz gespalten

Die Initiatoren feiern das Ergebnis als „gewaltigen Erfolg“ und betonen, dass Hamburg nun das einzige Bundesland sei, dessen Bevölkerung sich ein eigenes Klimaschutzgesetz gegeben habe. Allerdings wollen auch andere Bundesländer wie Niedersachsen, Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz bis 2040 klimaneutral sein, Bremen gar 2038, und München peilt eine Klimaneutralität bis 2035 an. 

Annika Rittmann, Sprecherin der Initiative, erklärt gleichwohl: „Die Hamburgerinnen und Hamburger haben heute ein Zeichen gesetzt, das weit über die Stadtgrenzen hinausgeht. Der Zukunftsentscheid sorgt dafür, dass Klimapolitik verbindlich, überprüfbar und vor allem sozial umgesetzt wird.“

Zu der Volksinitiative hatten sich 160 Sozial- und Umweltverbände, Wirtschaftsunternehmen und Kultureinrichtungen und auch der FC St. Pauli zusammengetan. Sie versicherten den Menschen in Hamburg, dass der schnellere Klimaumbau sozialverträglich ablaufe. So dürften Vermieter die Kosten für die energetische Sanierung nur begrenzt an Mieterinnen und Mieter weitergeben. Die Sanierungen im Gebäudebereich und die Investitionen in den Verkehr wären ohnehin nötig gewesen. Die Pläne hatten indes auch für Kontroversen innerhalb des rot-grünen Senats gesorgt. 

Wirtschaft, Immobilienunternehmen und fast alle Bürgerschaftsfraktionen hatten sich gegen die Initiative Entscheidung ausgesprochen. Sie warnten vor einem massiven Anstieg der Kosten vor allem für Mieterinnen und Mieter. Handelskammer-Präses Norbert Aust sagte nach der Abstimmung: „Es ist zu befürchten, dass der Standort Hamburg durch diese unsicheren Rahmenbedingungen im Wettbewerb um Investitionen, Arbeitsplätze und Innovationen zurückfällt.“

Hamburg Panorama
Schnellerer Klimaschutz oder bezahlbare Mieten? Der Klimaschutz spaltet die Menschen in Hamburg. Senatskanzlei Hamburg

Tschentscher und Fegebank: „Alleine packen wir es nicht“

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) Tschentscher sicherte am Montagmorgen erneut zu, dass die Stadt den Volksentscheid umsetzen werde, gleichzeitig rief er zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung auf: „Nur mit einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung können wir die Ziele erreichen, die wir bisher hatten. Und erst recht die Ziele, die uns der Volksentscheid zusätzlich auferlegt.“

Tschentscher Vertreterin und Koalitionspartnerin, Umweltsenatorin Katharina Fegebank (Grüne), forderte bei der Umsetzung des Klimaentscheids auch Unterstützung vom Bund und der EU: Von Hamburg gehe jetzt eine positive Botschaft aus, aber „alleine werden wir das nicht packen“.

Tschentscher plädierte für Besonnenheit, denn zunächst einmal ändere sich in der Klimapolitik nichts: „Das Ziel des Senats und die bisherige gesetzliche Vorgabe, dass Hamburgs CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 bis zum Jahr 2030 um 70 Prozent reduziert werden sollen, bleibt unverändert.“ Der Senat sei somit durch den Volksentscheid nicht zu kurzfristigen neuen Maßnahmen gezwungen, sondern könne die bestehenden Planungen unverändert fortsetzen.

„Neu ist die Anforderung, jährliche Schätzbilanzen aufzustellen und einen linearen Pfad der Emissionsverringerung sicherzustellen. Das ist aufwändig und aufgrund der Ungenauigkeit von Schätzbilanzen mit Unsicherheiten behaftet“, so Tschentscher. Ab 2030 muss Hamburg die Schlagzahl erhöhen, um die neue Gesetzesvorgabe 2040 zu erfüllen. Was das genau bedeutet, weiß auch der Erste Bürgermeister noch nicht: „Konkrete Maßnahmen, wie dieser beschleunigte Pfad zur Klimaneutralität erreicht werden kann, sind mit dem Volksentscheid nicht beschlossen worden.“

Katharina Fegebank und Peter Tschentscher
Peter Tschentscher (SPD) und Katharina Fegebank (Grüne) fordern gemeinsame Kraftanstrengungen für den Klimaschutz. Senatskanzlei Hamburg

Gutachten: „Zu ambitionierte Zielsetzung“ für Hamburg

Bereits im Vorfeld des Volksentscheids habe der Senat darauf hingewiesen, dass die Klimaneutralität 2040 nur möglich sei, wenn der Bund finanziell unter die Arme greift, so Tschentscher. Das Hamburg Institut und Öko-Institut hatte in einem Gutachten im Auftrag der Stadt vom vorigen September eine Netto-CO2-Neutralität bereits im Jahr 2040 als „zu ambitionierte Zielsetzung“ für die Freie Hansestadt Hamburg eingestuft. 

Ein Vorziehen der Klimaneutralität bedeute „erhebliche Zusatzanstrengungen“, schreiben die Gutachter, die zu „spürbaren Mehrbelastungen für private Haushalte, Unternehmen und den Landeshaushalt führen“, mit denen eine „Zunahme sozialer Härten einhergehen“ könnte. Die Gutachter räumen jedoch ein, dass auch alles ganz anders kommen kann, da ein „Blick in die Zukunft mit großen Unsicherheiten verbunden ist“. In 20 bis 25 Jahren 
seien „tief greifende technische und politische Umwälzungen“ möglich – mit Folgen in beide Richtungen.  

Energie-Experte: "Hamburg kann am Weltklima nichts ändern, aber dennoch ein Vorbild sein"

Was von diesen vielen Wenns und Abers nun zu halten ist, ordnet für FOCUS online Earth der Energieexperte Marco Wünsch ein: 

"Zur Frage, wie realistisch es ist, dass Hamburg als Wirtschaftsstandort und Großstadt bis 2040 klimaneutral wird, eins vorweg: Fünfzehn Jahre sind keine lange Zeit. Viele Investitionsgüter – Heizungen, Autos, Industrieanlagen – haben eine Lebensdauer von etwa 15 Jahren. Neue Investitionen müssen daher jetzt konsequent auf Klimaneutralität ausgerichtet werden. Andernfalls droht, dass Anlagen noch vor Ende ihrer Nutzungsdauer stillgelegt oder verkauft werden müssen. 

Hamburg hat als Stadt und Bundesland zugleich erheblichen Einfluss auf die lokalen Treibhausgasemissionen. Besonders relevant sind der Wärmemarkt, die Fernwärmeerzeugung, der Modal Split im Verkehr sowie Teile der Industrie. Mit einer ambitionierten Politik könnte Hamburg in diesen Bereichen maßgeblich Fortschritte erzielen.

Gleichzeitig ist Hamburg Teil Deutschlands – und damit eingebettet in überregionale wirtschaftliche und klimapolitische Rahmenbedingungen. Solange bundesweit noch Benzin- und Dieselfahrzeuge unterwegs sind oder Erdgas durch die Netze fließt, werden sich entsprechende Emissionen auch in der Hansestadt niederschlagen.

Ein lokaler Hebel, um diese Emissionen auszugleichen, wäre die Ausstattung von Müllverbrennungsanlagen oder Biomassekraftwerken mit CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage). Damit ließen sich sogar negative Emissionen erzielen.

Und auch wenn Hamburg kein Flächenland ist, sollte der Bereich Landnutzung nicht übersehen werden. Auf trockengelegten Moorflächen ließe sich durch Wiedervernässung vergleichsweise kostengünstig CO2 einsparen – und langfristig könnten so wertvolle Ökosysteme wiederhergestellt werden.

Bei den Folgen der Entscheidung für die Wirtschaft, die Wohnverhältnisse und die Lebensverhältnisse der Menschen in Hamburg kommt es vor allem auf die Umsetzung an. Besonders im Wohnungsbereich ist die Frage, wie Hamburg die Sanierungen von Gebäuden und den Tausch der Heizungen sozial begleitet und durch eine gute Wärmeplanung darauf achtet, die Gesamtkosten zu minimieren. Bei der Elektromobilität hat man bei einer Betrachtung über die Lebensdauer des Fahrzeugs inzwischen im Personen- als auch in vielen Güterverkehrsbereichen Kostenparität erreicht. Die höheren Anschaffungskosten stellen zum Teil noch eine Hürde dar. Das wäre auch eine Aufgabe für die Stadt, hier Lösungen zu finden.

Wenn man isoliert auf die Emissionen von Hamburg schaut, dann wird die Entscheidung nichts am Weltklima ändern. Wenn man aber jetzt schneller neue Konzepte und Technologien wie etwa Wasserstoff-Elektrolyse, CO2-freie Fernwärmeerzeugung, klimaneutrale Treibstoffe für den Flug- und Schiffsverkehr entwickelt und einsetzt und zeigt, dass Klimaschutz in einer so großen und weltbekannten Stadt funktioniert, dann kann Hamburg über die Technologieentwicklung und Vorbildfunktion einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für den Klimaschutz leisten.

Energie-Experte Marco Wünsch
Energie-Experte Marco Wünsch glaubt, dass Hamburg große Fortschritte beim Klimaschutz erzielen kann. FOTOS Koroll / Prognos AG

Über den Experten 

Marco Wünsch ist Wirtschaftsingenieur und beschäftigt sich mit der Zukunft des Energiesystems. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Erzeugung und Transport von Strom und Fernwärme sowie die zukünftige Entwicklung des Marktdesigns, der Kosten und Energiepreise.