Umstrittene CCS-Technologie - Die bemerkenswerte Kehrtwende der Umweltverbände

 

„Die Reduktion muss an erster Stelle stehen“

Das Besondere: Bislang hatten sich deutsche Naturschutzverbände zu großen Teilen gegen die umstrittene Technologie ausgesprochen. Denn bislang existiert noch gar kein halbwegs preisgünstiges und skalierbares Verfahren zur CO2-Speicherung. Politik und Wirtschaft verbinden dennoch große Hoffnungen mit dem Verfahren. Klimaschützer befürchten daher, dass die gegenwärtigen Bemühungen zum Klimaschutz zurückgefahren werden könnten, zugunsten einer Technologie, von der noch gar nicht klar ist, wann sie wirklich zur Verfügung stehen wird.

Nun also die Kehrtwende zweier der größten deutschen Umweltverbände - zumindest in Teilen. Die CO2-Speicherung werde „ein wichtiger Baustein sein“, sagt Viviane Raddatz, Klimachefin des WWF Deutschland, „aber nur für Prozesse, in denen sich Emissionen aktuell nicht vollständig vermeiden lassen. Die Reduktion muss immer an erster Stelle stehen – hier sind wir uns mit den Industrie- und Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertretern einig.“ Als einer der wenigen deutschen Umweltschutzorganisationen hatte sich der WWF schon in der Vergangenheit zumindest offen für die Technologie gezeigt und mehrere Papiere zu ihr veröffentlicht. 

Habecks späte Strategie

Mit dem Papier wollen die so unterschiedlichen Akteure Druck auf Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) ausüben. Der hatte schon Ende 2022 die Vorlage einer Strategie zur CO2-Abspeicherung angekündigt. De facto sind Verfahren wie CCS und CCU in Deutschland derzeit verboten: Ein Bundesgesetz aus dem Jahr 2012 regelte zwar, dass die Genehmigung von CO2-Speicherprojekten grundsätzlich bei den Ländern liege. Gleichzeitig hielt das Gesetz aber fest, dass Anträge nur bis Ablauf des Jahres 2016 eingereicht werden konnten. 

Doch jetzt, Anfang 2024, lässt Habecks Strategie noch immer auf sich warten. Sowohl Wirtschaft als Klimaschützer wollen aber endlich Klarheit haben. „Wir fordern von der Bundesregierung, eine Carbon-Management-Strategie vorzulegen, die strenge Qualitätskriterien erfüllt, Klarheit schafft und Beteiligung forciert“, sagt Raddatz. Die Industrie benötigt Planungssicherheit für Investitionen; Klimaschützer wollen wissen, was auf sie zukommt.

Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es, die Strategie solle bald vorliegen. Das Potenzial in Deutschland wäre vorhanden: Allein in der Nordsee vermuten Expertinnen und Experten riesige Speicherorte für die schädlichen Treibhausgase. Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzen, dass zwischen zwei bis acht Milliarden Tonnen CO2 in den ausgeschöpften Öl- und Gasfeldern des deutschen Teils der Nordsee deponiert werden könnten. Zum Vergleich: Nach vorläufigen Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende stieß die Bundesrepublik im Jahr 2023 rund 673 Millionen Tonnen CO2 aus.

Die Speicherkapazitäten in der Nordsee sind also enorm. Auch der Weltklimarat erklärte in seinem jüngsten Bericht, dass das technische Abfangen und Speichern von CO2 nötig sein wird, um die Klimaziele zu erreichen. Diejenigen CO2-Emissionen, die nicht vermieden werden können, werden eingefangen - und die Klimaziele sozusagen rückwirkend erreicht.