Großer Wirbel um acht Windräder - Warum Eintracht Frankfurt und ein Millionär gemeinsam gegen Windkraft kämpfen
Wer am Wochenende die "Süddeutsche Zeitung", die "Bild am Sonntag" oder eine hessische Regionalzeitung wie das "Darmstädter Echo" aufgeschlagen hat, bekam eine ungewöhnliche Anzeige zu sehen. Auf einer Doppelseite wandte sich da die Spessart-Gemeinde Bad Orb an einen ganz besonderen Adressaten.
"Lieber Energiekonzern Ørsted", heißt es in dem offenen Brief, "Bad Orb lehnt Windkraft am Horstberg entschieden ab." Auf der zweiten Seite finden sich kurze Texte mit Titeln wie: "Schützenswerter Spessart in Gefahr" oder: "Bad Orbs Kampf für den Wald - Pläne für Kur- und Heilwald weit vorangeschritten." Das Klima müsse zwar geschützt werden, aber nicht auf Kosten intakter Ökosysteme, heißt es weiter. Denn immerhin müsse man nicht nur Häuser und Autos mit Energie versorgen - "auch wir selbst müssen regelmäßig Orte zum Kraft tanken aufsuchen."
Nach Angaben der Initiatoren war die Aktion ein voller Erfolg: Mehr als fünf Millionen Menschen sollen die Anzeige gesehen haben, und das sogar über die Bundesgrenzen hinweg. Weil Ørsted eine dänische Firma ist, war die Anzeige auch in dänischen Medien veröffentlicht worden. Aber was ist da los? Wieso wird ein lokaler Konflikt um ein Windenergieprojekt in überregionalen Tageszeitungen ausgetragen? Und wie kann sich eine kleine Gemeinde wie Bad Orb das überhaupt leisten?

Der "Ehrenbürger" im Hintergrund
Einen Hinweis liefert ein Blick auf die Liste der Unterzeichner. Dort ist nicht nur Bürgermeister Tobias Weisbecker (CDU) aufgeführt, sondern auch: Mathias Beck, Präsident des nahegelegenen Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt. Und Henning Strauss, Geschäftsführer des Textilunternehmens Engelbert Strauss - im offenen Brief lediglich als "Ehrenbürger Bad Orb" beschrieben.
Neben dem Textilgewerbe ist Strauss, dessen Familie zu den reichsten in Deutschland zählt, auch Geschäftsführer der Alea Park GmbH. Diese baut in Bad Orb gerade ein großes medizinisches Spa namens Balnova. Der anliegende Wald soll zum Heilwald "Cura Silva" werden. Die zweiseitige Zeitungsanzeige gegen den Windpark enthielt auch gleich einen großen Werbetext für Balnova, dessen "Spitzendiagnostik" und seine "angeschlossene Waldtherapie."
Am Ende geht es also vor allem ums Geld, und das nicht zu knapp. In den Bau von Balnova soll nach Unternehmensangaben ein zweistelliger Millionenbetrag fließen. Die acht Windräder, so die Befürchtung, liefen dem Konzept des Heilwaldes zuwider, mehr noch: Sie gefährdeten den ganzen Kurort. Es gehe um nicht weniger als "unsere wirtschaftliche Zukunft", heißt es in der Anzeige.
Physio für die Profikicker
An dieser Stelle kommt - etwas überraschend - Eintracht Frankfurt im Spiel. Den Fußball-Bundesligisten verbindet mit Strauss eine enge Partnerschaft. Das Textilunternehmen Engelbert Strauss ist ein wichtiger Sponsor der Eintracht, und vom fertiggestellten Kurzentrum sollen auch die Profifußballer profitieren. Denn Balnova soll auch ein sportmedizinisches Physio- und Diagnostikzentrum erhalten, in dem sich die Kicker der Eintracht dann behandeln lassen können.
Mit seiner Unterschrift spreche Vereinspräsident Fischer tatsächlich für den ganzen Verein, bestätigte eine Sprecherin gegenüber der "Hessenschau". Das Balnova-Projekt spiele "eine wichtige Rolle in Bezug auf die Positionierung als Zentrum für den Leistungssport sowie für künftige Maßnahmen für unsere Sportlerinnen und Sportler." Man wolle das Engagement des Vereins aber keinesfalls als Positionierung gegen die Windkraft an sich verstanden wissen, so die Sprecherin weiter.
"Das werden wir nicht hinnehmen"
Inwiefern der Bau von acht Windrädern die Behandlung von Profisportlern in einem nahegelegenen Ärztehaus beeinträchtigen soll, bleibt zwar offen. Aber dennoch: Für den Ort ist der Bau des Kurzentrums zweifellos wichtig. Nach einer langen Durststrecke gehe es im Kurort endlich wieder aufwärts, sagte Bürgermeister Weisbecker im November bei einem Treffen mit zwei Bürgerinitiativen. Die Befürchtung: Windkraftanlagen in Ortsnähe könnten diesen Fortschritt wieder zunichtemachen.
Der Betreiber Ørsted solle daher das Projekt noch im ersten Quartal dieses Jahres aufgeben, so die Forderung. In der Anzeige hieß es gar, das Unternehmen setze sich "über die Köpfe der Menschen hinweg" und missachte das demokratische Grundverständnis. "Das werden wir nicht hinnehmen", sagt Weisbecker. Wenn die Projektbetreiber den Windpark nicht aufgeben, werde man rechtliche Schritte einleiten - das sei "die Konsequenz aus dem intransparenten Vorgehen."
Der fehlende Widerspruch
Ob der Rechtsweg den gewünschten Erfolg bringen würde, ist allerdings zweifelhaft. Denn die Waldfläche, auf der die Windräder gebaut werden sollen, gehört nicht der Gemeinde, sondern dem landeseigenen Betrieb Hessen-Forst. Dieser hatte das Gebiet bereits in den Jahren 2020 und 2021 als sogenannte "Windvorrangfläche" für den Bau von Windkraftanlagen ausgewiesen.
Ein Gremium aus den betroffenen Gemeinden kann der Ausweisung der Windkraftflächen widersprechen. Das ist im vorliegenden Fall aber offenkundig nicht passiert. Danach haben die Gemeinden tatsächlich keine Handhabe mehr, den Bau eines Windparks zu verhindern - das hätte schon zuvor geschehen müssen.
Absage an das Ultimatum
Darauf weist auch Ørsted hin: In einer ebenfalls öffentlichen Antwort hielt das Unternehmen fest, die Entscheidung sei eben nicht über die Köpfe der Menschen hinweg gefallen, "sondern im Rahmen eines rechtstaatlichen Verfahrens nach demokratischen Prinzipien." Die Bürgerinnen und Bürger der betroffenen Kommunen würden außerdem finanziell beteiligt, die Gemeinden selbst könnten mit Einnahmen von bis zu sechs Millionen Euro rechnen. Dem Ultimatum aus Bad Orb "will und kann Ørsted nicht entsprechen", so Deutschland-Geschäftsführer Stefan Bachmaier.
In ihrem Koalitionsvertrag hat die seit Januar 2024 amtierende Landesregierung aus CDU und SPD zwar eine Änderung des Verfahrens zugesichert: Zukünftig soll auch im Anschluss an das Vorrangverfahren das Okay der Kommunen nötig sein. Hessen habe seine Ausbauziele für die Windkraft bereits erreicht, daher sei eine Reform wichtig für die Akzeptanz. Aber der Auftrag an Ørsted wurde eben noch gemäß der alten Regeln vergeben.
Frust dank Frankfurt
In der Region Südhessen rund um den Spessart sorgt der Ausbau der Windkraft schon lange für Frust. Zu Südhessen gehört auch die Metropole Frankfurt am Main, wo wegen der Bevölkerungsdichte und des Flughafens kaum Windräder gebaut werden können. Die Vorrangflächen liegen daher "vor allem in den windhöffigen südhessischen Mittelgebirgslagen Odenwald, Spessart und Taunus", wie auch das Regierungspräsidium Darmstadt in einer Mitteilung aus dem Jahr 2022 einräumte. Was die Metropole versäumt, müssen die Kurgebiete ausbaden, so der häufige Vorwurf.
Dennoch: Ganz machtlos wäre man in Bad Orb offenbar nicht gewesen. Der Meinung ist auch Ex-Grünen-Chef Omid Nouripour, der jetzt im Nachhaltigkeits-Beirat von Eintracht Frankfurt sitzt. "Kommunale Zuständige, die sich jetzt nach jahrelangen Diskussionen und Entscheidungen auf den letzten Metern dagegenstellen, entziehen sich ihrer Verantwortung", sagte Nouripour der örtlichen "Gelnhäuser Neuen Zeitung." "Es gab im Vorfeld zahlreiche Konsultationen mit dem Landkreis und der Kommune.“