Russischer Schriftsteller warnt: „Ist Ihnen klar, wie schnell Sie alles verlieren können?“
Der russische Bestsellerautor Michail Schischkin war einst der bedeutendste Gegenwartsautor seines Landes. Heute lebt er in der Schweiz, gilt in Russland als „Verräter“ – und erhält Morddrohungen. Im Gespräch mit dem finnischen Rundfunk „Yle“ warnt der 60-Jährige eindringlich vor Putins Regime – und vor der Naivität des Westens.
Schischkin über Russland: „Das Land leidet an einem kollektiven Stockholm-Syndrom“
„Wir leben jetzt in einem Nazi-Russland. Das Gulag-Russland ist zurück. Das ist eine Tatsache“, sagt Schischkin im „Yle“ -Interview.
Was nach drastischen Worten klingt, ist für ihn eine nüchterne Bestandsaufnahme. Die Verurteilung seines Kollegen Boris Akunin zu 14 Jahren Lagerhaft – allein wegen regimekritischer Äußerungen – zeige, dass Russland tief in die Repressionslogik der Stalin-Ära zurückgefallen sei.
Vor 30 Jahren emigrierte Schischkin in die Schweiz. Heute beobachtet er die Entwicklung in seiner alten Heimat mit Schrecken. Seine Botschaft: Die Russen seien nicht bereit, sich gegen den Kreml zu erheben – auch aus historischer Prägung.
„Das Land leidet an einem kollektiven Stockholm-Syndrom“, erklärt er. Über Generationen sei den Menschen beigebracht worden, Autorität unhinterfragt zu lieben – selbst wenn sie unter ihr leiden.

„Nach Putin kommt ein neuer Putin“, warnt Schischkin
Seine düstere Prognose: Selbst ein Ende Putins werde keine Veränderung bringen. „Nach Putin kommt ein neuer Putin“, warnt Schischkin im Gespräch mit „Yle“. Das Land werde nach einem neuen „Zaren“ rufen – aus Angst vor Anarchie und Chaos. Hoffnung auf einen demokratischen Neuanfang habe er nicht.
Besonders scharf kritisiert Schischkin auch die westliche Politik. „Ich dachte, der Westen würde der Ukraine helfen, die russische Armee zu besiegen. Aber der Westen hat sich als großer Verräter erwiesen.“ Gerade die mangelnde Konsequenz bei Waffenlieferungen und Sanktionen habe eine historische Chance vertan, Putin militärisch zu stoppen.
Die russische Sprache selbst – einst Träger großer Literatur – sei inzwischen durch den Krieg entstellt worden, beklagt Schischkin. „Heutzutage verbinden Menschen die russische Sprache nur mit Mördern und Vergewaltigern.“ Er wolle sie retten, ihr Würde zurückgeben – als Teil der Weltkultur, nicht als Werkzeug eines Diktators.
„Versteht ihr, wie schnell ihr alles verlieren könnt?“
Trotz aller Pessimismus arbeitet Schischkin bereits an einem künstlerischen Brückenbau: Ein Kunstprojekt mit ukrainischen und finnischen Kollegen soll zeigen, dass Verständigung möglich ist – irgendwann. Noch aber sei Russland gefangen in seinem eigenen Kreislauf. Das Land werde erst zur Demokratie finden, wenn es eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gebe – ähnlich wie Deutschland nach 1945.
Seine Mahnung an Europa – insbesondere an Finnland – ist klar: „Versteht ihr, wie schnell ihr alles verlieren könnt?“