Russlands Staats-TV präsentiert neue Erzählung zum Moskauer Anschlag: Medwedew wütet gegen Westen
Für Russland war schnell klar: Die Ukraine steckt hinter dem Anschlag auf eine Konzerthalle im März. Jetzt will Moskau neue Beweise dafür haben – doch die sind zweifelhaft.
Moskau – Nachdem Terroristen am 22. März eine Konzerthalle bei Moskau attackiert und mindestens 144 Menschen getötet hatten, war die Sache für Russlands Machthaber Wladimir Putin schnell klar: Bereits am darauffolgenden Tag sprach er in einer Rede im russischen Staatsfernsehen von einer angeblichen Verwicklung der Ukraine. Dabei kursierte im Netz bereits wenige Stunden nach dem Anschlag ein Bekennerschreiben der IS-Terrormiliz.
Demnach erklärte eine Splittergruppe unter dem Namen „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK), für die Tat verantwortlich gewesen zu sein. Das bestätigte dann zwar auch Putin, drei Tage nach dem Anschlag deutete der russische Präsident aber weiter an, dass er eine ukrainische Beteiligung vermutet. Die Drahtzieher hinter dem Massenmord säßen woanders, meinte er und sah ein Motiv im Land des Kriegsgegners. Bis heute ist Moskau von dieser Theorie nicht abgerückt – und will dafür nun sogar Beweise gefunden haben.
Russisches Staats-TV zeigt Verhörvideos: Ukraine soll hinter Anschlag auf Konzerthalle in Moskau stecken
Das zumindest soll derzeit im russischen Staats-TV zu sehen sein. Wie die ukrainische Zeitung Pravda am Sonntag (7. April) berichtete, hat der erste Kanal des russischen Fernsehens jüngst Aufnahmen der Verhöre der festgenommenen Verdächtigen gezeigt. In diesen hätten die Männer über ihren angeblichen Koordinator, einen Mann namens Saifullo, gesprochen. Er habe ihnen in Kiew die Zahlung von einer Million Rubel (etwa 9.950 Euro) versprochen.
„Saifullo hat uns gesagt, wir sollten in die Ukraine gehen, nach Kiew. Sie werden uns dort eine Million Rubel geben“, zitiert auch die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS aus dem ausgestrahlten Verhör eines der Verdächtigen mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Ein anderer Inhaftierter habe darüber gesprochen, dass den Männern Hilfe beim Überqueren der Grenze versprochen worden sei. „Wir gehen nach Kiew, wo wir auf das Geld warten müssen – eine Million Rubel für jeden. Saifullo hat gesagt, dass Männer an der Grenze zur Ukraine auf uns warten würden“, heißt es bei TASS.
Vier mutmaßliche Täter des Anschlags waren laut Russland angeblich auf Weg in Ukraine
Die vier mutmaßlichen Täter waren bereits Stunden nach dem Anschlag nach einer Verfolgungsjagd in der Region Brjansk gefasst worden. Bevor die vier Tadschiken am Sonntag (24. März) dem Haftrichter vorgeführt wurden, schienen sie gefoltert worden zu sein. Ihre Gesichter waren von Blutergüssen und Schrammen entstellt, einer wurde bewusstlos auf einem Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben, einem anderen fehlte der Großteil eines Ohres. Auf einem Video im Netz war zu sehen, wie ein Sicherheitsmann ihm das Ohr in den Mund stopft, zudem zeigten Videos, wie die Männer bei ihrer Festnahme zusammengeschlagen wurden.
Alle vier Männer hätten angeblich den angesprochenen Koordinator Saifullo genannt, schreibt Pravda mit Bezugnahme auf die Verhörauszüge. Er soll ihnen den Ort des Angriffs markiert und Zugang zum Rathaus verschafft haben. Zudem soll er die Männer mit Waffen versorgt und einen Fluchtweg aufgezeigt haben. Dieser Weg habe die Verdächtigen laut Verhör über die Autobahn M 3 Moskau-Kiew in die Nähe des Dorfes Kommuna geführt, wo sie 141 Kilometer vor der Grenze verhaftet worden seien. Anhand der Smartphones der Männer hätten russische Sicherheitskräfte angeblich in Erfahrung gebracht, dass sie bis zuletzt Anweisungen von dem Koordinator bekommen hätten.
Laut russischem TV: Ermittler sehen direkte Beteiligung der ukrainischen Seite am Anschlag
Angeblich habe die ukrainische Armee Minenräumungen im Grenzgebiet durchgeführt, um zwei Korridore für die Terroristen vorzubereiten. Der ukrainische Militärgeheimdienst hatte nach den ersten Vorwürfen aus Russland damals gekontert, dass die Grenze seit langem vermint sei, die Festgenommenen also gar nicht über die Grenze kommen könnten.
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Auf den Smartphones der Männer wollen die Behörden laut Pravda auch eine ukrainische Flagge und „nationalistische Symbole“ gefunden haben. Für die Russen sei daher klar, dass „die von den Ermittlern geäußerten Fakten ausreichen, um von einer direkten Beteiligung der ukrainischen Seite an der Vorbereitung des blutigen Massakers von Crocus zu sprechen.“
Medwedes wütet auf X gegen Westen
Das sieht anscheinend auch Russlands Ex-Präsident Dmitrij Medwedew so. Auf X wetterte er gegen den Westen. „Gut, gut, ihr respektierten Führer der USA und europäischer Länder! Die Aussage der Terroristen, dass ihnen in Kiew eine Million Rubel versprochen wurde und dass sie dorthin durch eine Lücke in der russisch-ukrainischen Grenze gelangen müssten, reicht euch nicht aus? Der Terroranschlag wurde also vom IS angeordnet, oder? Die wahren Arbeitgeber sind die ukrainischen Bandera-Bastarde, eure Schützlinge. Und die Komplizen dieses Mordes seid ihr alle, Biden, Macron, Sunak, Scholz und andere Handlanger. Das werden wir nicht vergessen!“, drohte er in einer Mitteilung am Sonntag (7. April).
USA, Ukraine und Experten widersprechen russischer Behauptung
Diese russische Darstellung muss stark anzweifelt werden. So hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Anschuldigungen von Beginn an kategorisch zurückgewiesen. Russland versuche, „jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben“, sagte er. Der Pressesprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, hatte ebenfalls erklärt: „Es gibt derzeit keine Anzeichen dafür, dass die Ukraine an diesem fürchterlichen bewaffneten Angriff beteiligt war.“ Kirby sprach auch von „unsinniger Propaganda“, seitens des Kreml. Einzig verantwortlich für das Attentat sei die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat. Und auch in Russland selbst gibt es wohl Widerspruch für die These. So sahen hochrangige Kreml-Beamte jüngst noch keinen Beweis für die Behauptung einer Verwicklung der Ukraine. Das hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet.
Dagegen spricht auch, dass die IS-Terrormiliz sich im Netz nicht nur zu dem Anschlag bekannte und ein Tatvideo sowie Bilder der mutmaßlichen Beteiligten veröffentlichte, sondern Russland auch danach noch weitere Anschläge androhte. Westliche Experten halten das Bekennerschreiben für authentisch. Für die Experten ist Russland aufgrund der russischen Unterstützung für den syrischen Diktator Baschar al-Assad – eines Gegners des IS – sowie der einstigen Kriegsführung der Sowjetunion in Afghanistan ein „logischer Feind“ für Terroristen.
Zudem wurde dieser Tage bekannt, dass die US-Regierung bereits zwei Wochen vor dem Anschlag russische Beamte darüber informiert habe, dass die Konzerthalle ein potenzielles Ziel sei. Putin hatte die Warnungen der USA nur drei Tage vor dem Anschlag in den Wind geschlagen und von „Erpressung“ und Versuche, „unsere Gesellschaft einzuschüchtern und zu destabilisieren“ gesprochen. (flon)