„Machtwechsel“ bei Clankriminalität: Ermittler in Sorge wegen neuer Gruppierung

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In NRW zeichnet sich ab, dass innerhalb von Gruppierungen aus Syrien kriminelle Clanstrukturen wachsen. Experten warnen davor seit Monaten. 

Düsseldorf – Zahlen laden am Ende ja oft zur Interpretation ein. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zum Beispiel verbucht die Tatsache, dass es 2023 in NRW so viele Straftaten aus dem Bereich der sogenannten Clankriminalität wie nie zuvor gab, unter „Ermittlungserfolg“: „Das zeigt, dass die Polizei ihre Arbeit macht und mehr Straftaten ermittelt wurden“, so Reul neulich bei der Vorstellung des Lagebilds Clankriminalität im Landeskriminalamt in Düsseldorf.

Die Opposition im Landtag hingegen nennt Nordrhein-Westfalen eine „Hochburg der Clankriminalität“: „Das zeigt, dass Minister Reul trotz großer Ankündigungen dieses Problem nach wie vor nicht in den Griff bekommt“, sagte die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Christina Kampmann.

Clankriminalität: Körperverletzung und Nötigung machen Großteil der Straftaten aus

NRW-Innenminister Herbert Reul im Landeskriminalamt in Düsseldorf.
NRW-Innenminister Herbert Reul im Landeskriminalamt in Düsseldorf bei der Vorstellung des aktuellen Lagebilds Clankriminalität. © Peter Sieben

Die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo in der Mitte. Fakt ist: Die Zahl der Straftaten aus diesem Bereich ist im vergangenen Jahr auf 7.000 gestiegen – ein Anstieg von 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ein Höchststand. Einen Großteil machten Rohheitsdelikte wie schwere Körperverletzung aus sowie Straftaten gegen die persönliche Freiheit, also etwa Nötigung oder Entführungen. Auffälligkeiten gibt es bei der Herkunft der 4213 Tatverdächtigen: Etwa die Hälfte von ihnen hat die deutsche Staatsangehörigkeit, gefolgt von 770 Syrern, 580 libanesischen und 407 türkischen Staatsangehörigen.

Konkurrenz zwischen libanesisch-türkischen uns syrischen Gruppen „nicht zu verhehlen“

Tatsächlich habe sich der Anteil der syrischen Verdächtigen seit 2015 vervierfacht, heißt es beim LKA. Das sei aber mit dem Zuzug erklärbar: Er entspreche weiterhin stabil einem Anteil von rund vier Prozent an allen in NRW registrierten Syrern. Allerdings beobachte man, dass syrische Gruppierungen in manchen Städten etwa im Ruhrgebiet in Konkurrenz zu etablierten kriminellen libanesisch-türkischen sogenannten Clans treten, sagte LKA-Ermittler Achim Schmitz: „Das ist nicht zu verhehlen.“ Es sei zu früh, um klare Aussagen treffen zu können, aber: „Es ist denkbar, dass syrische Gruppierungen am Anfang einer Entwicklung hin zu Clanstrukturen stehen“, so Schmitz.

Streit um Begriff Clankriminalität

Der Begriff Clankriminalität ist umstritten. Kritiker monieren, dass Menschen mit Migrationshintergrund nur aufgrund einer bestimmten Familienzugehörigkeit und Herkunft stigmatisiert und diskriminiert würden.

Auch Wissenschaftler wie Mahmoud Jaraba sehen den Begriff „Clan“ in dem Zusammenhang kritisch. Aber: „Es hilft nicht, das Problem zu lösen, wenn wir über Begrifflichkeiten streiten“, so Jaraba. Wichtig sei, den Begriff differenziert zu verwenden und nicht auf eine ganze Großfamilie zu beziehen.

Das deckt sich mit der Einschätzung von Experten, die schon seit Monaten vor dem Phänomen nicht nur in NRW, sondern unter anderem auch in Berlin, Bremen oder Niedersachsen warnen. So etwa der Politikwissenschaftler Mahmoud Jaraba vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE). Es finde „ein Machtwechsel statt, es entwickeln sich neue Strukturen“, so Jaraba vor einiger Zeit im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Die allermeisten Menschen, die aus Syrien kommen, sind nicht kriminell – das zeigen die Zahlen immer wieder deutlich. „Aber innerhalb der Community entwickeln sich kriminelle Strukturen. Kriminelle Clans bauen ihre Macht nach und nach auf. Das ist eine ähnliche Entwicklung, wie sie in den 1980er Jahren in der libanesisch-türkischen Community passiert ist“, stellt Jaraba fest. 

Banden aus Syrien: Politische Konflikte werden auf öffentlichen Plätzen ausgetragen

Oft seien es nach Experteneinschätzung Mitglieder von Banden aus Syrien und teilweise aus dem Irak, die nun in Deutschland aktiver würden. Diese Banden seien in Ländern lange unter anderem im Menschenhandel aktiv gewesen. Beobachter wie Jaraba sagen: Ihr Einfluss wächst in Deutschland auch auf diejenigen, die gar nicht kriminell werden wollen. Auch hinter der aufsehenerregenden Massenschlägerei im Ruhrgebiet 2023 steckte ein Konflikt zwischen Menschen mit libanesischem Hintergrund und Syrern. Dabei ging es wohl letztlich um einen politischen Streit und den Umgang mit syrischen Geflüchteten im Libanon; ausgetragen wurde er auf öffentlichen Plätzen in NRW.

Solche Tumultlagen immerhin, die es in Städten wie Duisburg oder Essen vor einigen Jahren mehrfach gegeben hatte, seien zurückgegangen, konstatierte Minister Reul mit markigen Worten: „Die Straße gehört wieder uns.“

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