Straßenkriege im Clan-Milieu: Experten warnen vor Gewaltwelle – „Da kommt was auf uns zu“
Die Massenschlägereien zwischen verfeindeten Clans im Juni 2023 waren nur ein Anfang, glauben Szene-Kenner – und machen bei Jugendlichen eine besorgniserregende Beobachtung.
Gelsenkirchen/Berlin – Am Anfang war ein Kinderstreit. Am Ende fielen Sätze wie dieser: „Die Busraya fürchten den Tod nicht und treiben die Libanesen wie Schafe vor sich her.“ Die Busraya sind Angehörige eines Stammes aus Syrien. Ein loser Familienverbund, der sich manchmal auch Al-Busraya oder Al-Busarayah schreibt. Im Juni waren die sozialen Medien voll mit solchen Posts. Kurz darauf gingen in NRW Hunderte mit Eisenstangen und Messern aufeinander los. Anlass soll ein Streit unter Kindern zweier Großfamilien gewesen sein. Doch die eigentlichen Gründe für die Massenschlägereien gehen weit darüber hinaus – und werden für immer neue Gewaltwellen sorgen, wenn der Staat nicht schnell gegenlenkt, sagen Experten.
Verfeindete Clans: Menschen mit Kriegserfahrung, die Streitigkeiten mit Gewalt lösen
Einer von ihnen ist Mahmoud Jaraba. Der Politikwissenschaftler forscht am Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE) zu Clan-Strukturen. Die Gefahr von Straßenkriegen zwischen verfeindeten Familien sei hoch, sagt er: „Der nächste Konflikt kommt.“ Dahinter stecken auch Rivalitäten zwischen kriminellen Clan-Mitgliedern mit kurdisch-libanesischen Wurzeln und solchen aus Syrien. Die allermeisten Menschen, die aus Syrien kommen, sind ebenso wie die meisten hier lebenden Familien aus dem Libanon nicht kriminell. Doch manche arbeiten nach Einschätzung von Sicherheitsbehörden mit hochkriminellen Schleuserbanden in Syrien zusammen und bauen kriminelle Netzwerke in Deutschland auf. Es sind Menschen mit Kriegserfahrung, die bereit sind, Streitigkeiten sofort mit Gewalt zu lösen. „Man darf sie nicht einfach sich selbst überlassen“, sagt Jaraba. Und im Zweifel müsse man Kriminelle auch konsequent abschieben, wo es das Recht zulasse.
Konflikte unter kriminellen Clan-Angehörigen „nach dem Prinzip des Stärkeren ausgehandelt“
„Das Problem ist, dass bei manchen dieser Familien Gewalt als Konfliktlösungsmechanismus etabliert ist. Die würden nicht vor einem Zivilgericht um ihre Rechte streiten“, sagte SPD-Innenexperte Sebastian Fiedler im Interview mit IPPEN.MEDIA. Der Bundestagsabgeordnete aus Mülheim a.d. Ruhr ist Kriminalhauptkommissar und war bis 2021 Chef des Bundes deutscher Kriminalbeamter. Vor allem die Situation in NRW kennt er gut. Fiedler sagt: „Zusätzlich besteht die Gefahr, dass es zu Konflikten kommen könnte zwischen Clankriminellen, die Gegner des syrischen Diktators Assad sind, und dessen Anhängern. Das sind Konflikte, die nach dem Prinzip des Stärkeren ausgehandelt werden.“
Jugendliche haben Kriegstraumata: „Da kommt was auf uns zu“

Eine ähnliche Beobachtung macht der Sozialpädagoge Akin Sat. Er arbeitet in Gelsenkirchen beim Präventionsprogramm „Kurve kriegen“. Ziel vom Projekt: Kinder und Jugendliche, die schon mehrfach kriminell geworden sind, sollen nicht zu Intensivtätern werden. Seine Klientel kommt oft aus schwierigen sozialen Verhältnissen, manche haben Migrationshintergrund, andere nicht. Neuerdings habe er immer wieder mal mit Jugendlichen zu tun, die aus Syrien stammen. „Die haben einen Krieg erlebt“, sagt Sat. Manche seien traumatisiert, bei einigen bemerke man eine niedrige Gewaltschwelle. Sie bräuchten eine umfassende Betreuung und Aufarbeitung, sagt Sat. Er glaubt, dass das Problem größer werde: „Da kommt noch was auf uns zu.“