Erst 8 Jahre und schon Straftäter: Was die Polizei dagegen unternimmt

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Sie rauben, erpressen, schlagen zu: Immer öfter werden Kinder und Jugendliche kriminell. Die Risikofaktoren dafür seien immer dieselben, heißt es beim Präventionsprojekt „Kurve kriegen“.

Gelsenkirchen – Manchmal ist Akin Sat sowas wie ein Onkel. Dann geht der Sozialpädagoge mit einem seiner Schützlinge ein Eis essen, am Geburtstag etwa. Weil es sonst keiner macht. Seine Klientel sind Kinder und Jugendliche, die schon Straftäter sind. Die jüngsten sind erst acht, die meisten zwischen elf und 17 Jahre alt. Viele kommen aus schwierigen sozialen Verhältnissen und haben immer wieder gestohlen, erpresst und geschlagen. Die Initiative „Kurve kriegen“ will verhindern, dass sie zu Intensivtätern werden. Bei dem Präventionsprojekt vom NRW-Innenministerium arbeiten Polizei und Sozialarbeiter zusammen, es gilt als Vorbild auch in anderen Bundesländern. Denn: Die Kinder- und Jugendkriminalität steigt deutlich an.

Akin Sat ist pädagogische Fachkraft im Gelsenkirchener Team von „Kurve kriegen“
Akin Sat ist pädagogische Fachkraft im Gelsenkirchener Team von „Kurve kriegen“. © Peter Sieben

Kriminelle Kinder und Jugendliche: Es geht ums „Abziehen“

2022 hat es laut Bundeskriminalamt (BKA) 93.095 Delikte gegeben, bei denen Kinder und Jugendliche Verdächtige waren. Ein Plus von 35,5 Prozent. Eine relativierende Erklärung des Bundesinnenministeriums: Das Ende der Corona-Pandemie. Nach den Lockdowns der letzten Jahre gebe es wieder mehr Gelegenheiten für Straftaten. Doch Experten beobachten auch eine neue Qualität der Straftaten, mehr kriminelle Energie. Oft geht es bei den Delikten um Raub, Erpressung und Gewalt, ums „Abziehen“, wie Thomas Bartella von der Polizei Gelsenkirchen sagt. Er ist polizeilicher Ansprechpartner bei „Kurve Kriegen“ in der Ruhrgebietsstadt.

Jugendkriminalität: Familien wohnen oft in sozialen Brennpunkten

Wenn Kinder und Jugendliche mehrfach Straftaten begangen haben, prüfen Bartella und seine Kolleginnen und Kollegen, ob sie Kandidaten für das Präventionsprogramm sind. Die Teilnahme beruht auf Freiwilligkeit, die Familien der Kinder müssen mitziehen. Für sie gibt es dann Anti-Aggressionstrainings, Hausaufgabenbetreuung und immer wieder Reflexionsgespräche. Aktuell sind 25 Teilnehmer aus Gelsenkirchen dabei.

Kriminalhauptkommissar Thomas Bartella von der Polizei Gelsenkirchen.
Kriminalhauptkommissar Thomas Bartella von der Polizei Gelsenkirchen beobachtet: Bei den Jugendlichen wächst das Vertrauen in die Polizei. © Peter Sieben

Warum werden Kinder denn überhaupt schon so früh kriminell? „Es sind immer die gleichen Risikofaktoren“, sagt Sozialarbeiter Akin Sat. „Die Familien haben oft finanzielle Schwierigkeiten und wohnen in sogenannten sozialen Brennpunkten. Manche haben Sprachschwierigkeiten.“ Manche stammten auch aus Großfamilien, deren Namen man vielleicht „aus den Medien“ kenne, sagt Sat und meint die sogenannten kurdisch-libanesischen Clans. Mit den kriminellen Sub-Clans, die unter anderem in NRW und Berlin im organisierten Verbrechen tätig sind, hätten sie kaum etwas zu tun. Doch schon wegen ihres Namens träfen sie immer wieder auf Vorurteile. All das begünstige eine Abwärtsspirale: „Die Kinder werden schlecht in der Schule, erfahren von niemandem Wertschätzung. Die holen sie sich dann auf anderem Weg.“ In Gruppen spielen sie die starken Männer – und werden zu Tätern.

„Dabei sind sie auch selbst Opfer. Manche werden von Älteren immer wieder gedemütigt, das hinterlässt Spuren“, sagt Polizist Thomas Bartella und erzählt von einem Video, das eines der Kinder den Polizisten gezeigt hat. Darin zu sehen: Ein Jugendlicher, der dem Jungen drohend befiehlt, ihm die Füße zu küssen. Dass der Junge den Vorfall zur Anzeige gebracht habe, sei schon ein Riesenfortschritt. „Vor 30 Jahren wäre das noch undenkbar gewesen, da waren wir ein Feindbild. Doch durch die Präventionsarbeit entwickelt sich ein gewisses Vertrauensverhältnis.“

Polizeihauptkommissar Frank Dute.
Kriminalhauptkommissar Frank Dute. © Peter Sieben

Die meisten bleiben zwei bis drei Jahre im Programm, sagt Bartellas Kollege Frank Dute. „In diesem Jahr haben acht Teilnehmer das Programm verlassen, sieben als Absolventen“ sagt Dute. „Absolventen“ nennen sie diejenigen, die nicht mehr als gefährdet gelten, Intensivtäter zu werden. Manche von ihnen machen inzwischen eine Ausbildung, erzählt Sozialarbeiter Akin Sat. „Da kommen sie vielleicht nicht so schnell wie mit Diebstahl an das dicke Auto, das sie sich wünschen. Dafür haben sie ein Leben und echte Wertschätzung. Das vermitteln wir den Jugendlichen.“

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